Pop oder queer

Darf es ein bisschen queer sein?

Heute »Feminismus« zu sagen, ohne dabei »queer« zumindest zu denken, blendet theoretische wie politische Debatten der vergangenen 20 Jahre aus. Popfeminismus braucht Queerfeminismus.

Popfeminismus ist gleich Sonja Eismanns Buch »Hot Topic« – zumindest hat es in dieser Disko-Serie den Anschein. Wenn dem so ist, muss er als längst fällige nachholende Entwicklung gelesen werden. Während im englischsprachigen Raum bereits in den neunziger Jahren Antholo­gien entstanden, die Erfahrungen mit Diskriminierungen qua Geschlecht und Sexualität eine Ausdrucksweise verschafften und sie ebenso selbstverständlich mit feministischer und auch queerer Theorie in Verbindung brachten, hat es solche Textsammlungen im deutschsprachigen Raum bisher kaum gegeben. (Vergleichbar wäre hier vielleicht noch das 2004 von Sarah Diehl herausgegebene Buch »Brüste kriegen«.) Sonja Eismann hat bereits darauf hingewiesen (15/08), dass in Büchern wie »Third Wave Agenda: Being Feminist, Doing Feminism« oder »Listen Up! Voices from a next feminist generation« – beide sind bereits vor über zehn Jahren erschienen – sich das darstellt, was gerne als »Third Wave Feminism« bezeichnet wird.
Pop ist daran eigentlich wenig. Aber das Interessante ist, dass in einem akademisch geprägten Diskurs über Feminismus plötzlich (wieder) Erfahrungen von jungen Frauen auftauchen, die das Paradigma der Heteronormativität durchbrechen und gleichzeitig den Diskurs zurückweisen, feministische Forderungen seien heute hinlänglich erfüllt. Und so repräsentiert »Hot Topic« ja genau feministische und queere Positionen, die sich mit einem Alltag jenseits kleinbürgerlicher Lebensentwürfe auseinandersetzen. Darin kommen vielfältige Widersprüche zum Ausdruck, die sich aus Lebensrealität, Alltag, theoretischem Anspruch und politischem Aktivismus ergeben. Eben nur einer davon ist der Zwang zur Lohnarbeit, dem die meisten unterliegen. (So viel nur zu den etwas antiquiert erscheinenden Fragen nach Haupt- und Nebenwiderspruch, die zu Beginn der Disko-Serie gestellt wurden.)

Wenn ein popfeministisches Phänomen wie »Hot Topic« das Feld des »Pop für feministische Zwecke urbar« (Sonja Eismann) machen soll, dann wäre die Frage, ob dies gelingt. Es stellt sich so dar, dass damit popfeministische Praktiken, die gar nicht mal so neu sind, in eine Debatte um Feminismus eingebracht werden. In dieser Hinsicht ist eigentlich zu fragen, was heißt Feminismus heute und in welchem Verhältnis steht er zur Erscheinung Popfeminismus? Heute »Feminismus« zu sagen, ohne dabei »queer« zumindest zu denken, blendet theoretische wie politische Debatten der vergangenen 20 Jahre aus. Sagen wir also »Queerfeminismus«. Aber was heißt das?
Versteht man das Verhältnis von queeren und feministischen Positionen als Arbeitsteilung, bedeutet Feminismus immer noch die Kritik der herrschenden Geschlechterverhältnisse, queer fokussiert auf Heteronormativität, also auf heterosexuelle Normen, die Sexualität gesellschaftlich strukturieren. Oft wird queer einfach nur als schwullesbisch übersetzt, gängiger in politischen Kontexten ist jedoch das Verständnis einer politischen Strömung, in der Transgender-Themen jeglicher Art aufgehoben sind. Während sich queer von der theoretischen Idee her einer festen Definition entzieht und für immer neue Bedeutungen und geschlechterpolitische Kämpfe offen bleiben soll, steht es in der politischen Praxis für Genderbending und subversives Spiel mit Geschlechterrollenstereotypen. Judith Butler missverstehend, meinen manche, dass mit der Kri­tik an Zweigeschlechtlichkeit Männer und Frauen bereits abgeschafft wären. Hier tun sich natürlich Gräben zwischen feministischen und queeren Positionen auf, braucht man doch Frauen und Männer, um Geschlechterungleichheiten zu sehen und zu bekämpfen.

Interessant wird es jedoch erst, wenn queere und feministische Positionen nicht gegeneinander diskutiert, sondern als eine gemeinsame Entwicklung gelesen werden, denn die meisten Queer-Theoretikerinnen und -Theoretiker beziehen sich auf feministische (Vor-)Arbeiten. Wo die Grenze zwischen queer und Feminismus theo­retisch, aber auch in der politischen Praxis verläuft, ist eigentlich gar nicht mehr genau zu sagen. Queerfeminismus steht in diesem Kontext für die Möglichkeit einer geschlechtlichen Vielfalt und beschreibt eine Utopie, Geschlecht und Sexualität ohne Angst ausdrücken zu können, und zwar jenseits vereindeutigender Normen und Zwangszuweisungen. Herrschende, also real existierende, Geschlechterverhältnisse können hierin thematisiert und kritisiert werden. Queerfeminismus als theoretische wie politische Allianz bedeutet in diesem Kontext, Sexismus, Homo- und Transphobie gemeinsam als Resultate einer heteronormativen Gesellschaft zu kritisieren und nicht als einzelne Phänomene, die nebeneinander stehen. Das folgt der Einsicht, dass Geschlecht und Sexualität in ihrem Entstehen eng verschränkt sind.
Notwendig ist also das Projekt, vielfältige und komplexe gesellschaftliche Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnisse gemeinsam zu denken (und nicht gegen- oder nebeneinander). Queerfeminismus kann als ein Teil dieses Projekts gelesen werden: als Versuch, Herrschaftsverhältnisse als ineinandergreifend zu verstehen und zu kritisieren. Dass queer mehrheitlich eine white-middle-class-Veranstaltung ist, ist ein berechtigter Hinweis. Allerdings werden damit auch die theoretischen wie politischen Bezüge zu postkolonialen Strömungen unsichtbar gemacht.
Queer als Platzhalter für (Geschlechter-)Möglichkeiten ist jedoch kein Luxus, den sich nur weiße, studentische Menschen leisten (können). Die politischen Kämpfe um und mit dem Queer-Ansatz beziehen sich auf die Grenzen des Lebbaren, auf Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe. In verschiedenster Hinsicht sind queere Kämpfe Kämpfe um Lebbarkeit und die Möglichkeit eines Alltags ohne Diskriminierung und Angst vor Gewalt. Butler bringt das in »Undoing Gender« auf den Punkt: »Possibility is not a luxury, it is as crucial as bread.«
Wie aber können diese Kämpfe geführt werden, wenn über Körper und Sexualität lieber geschwiegen werden soll, wie Ela Wünsch (18/08) es in ihrem Beitrag von Foucault inspiriert vorschlägt? Ist es tatsächlich strategisch sinnvoll, der Diskursivierung entgegenzutreten, indem man gar nichts mehr dazu sagt? Und was hätte das für Folgen? Die »Entpolitisierung von Körper und Sexualität« als Strategie zu wählen, um sich nicht auf Formen der »Biopolitik« einzulassen, verkennt solche Leidensverhältnisse, wo Heteronormativität knallharte Ausschlüsse und Gewaltverhältnisse produziert.

Dass ein Buch wie »Feuchtgebiete« von Charlotte Roche auch als Wichsvorlage für alternde Herren dienen kann, ist sicher zutreffend (Beobachtung in einem Buchladen). Es ist aber ebenfalls Ausdruck eines bestimmten (zeitgenössischen) Verständnisses von weiblicher Sexualität, das einerseits nicht sonderlich aus heteronormativen Vorgaben ausbricht, andererseits aber auch den weiblichen Körper in einer Art thematisiert, der konträr zu Geschlechterstereotypen steht. Die ausgedehnte Beschäftigung der Protagonistin mit ihrem Körper und dessen Flüssigkeiten erinnert an feministische Selbsterfahrungsgruppen der siebziger Jahre (die hier auf keinen Fall diskreditiert werden sollen). Allerdings endet die Geschichte nicht mit der Entdeckung der lesbischen Liebe, die Befreiung bringt, sondern es kommt einfach so ein dahergelaufener Typ vorbei, Geschichte zu Ende. »Feuchtgebiete« ist mit Sicherheit Pop, genügt aber eben nur bedingt queerfeministischen Ansprüchen. Es ist damit ein Phänomen, das sich viel eher dem so genannten »Neuen Medienfeminismus« à la »Alphamädchen« zuschlagen lässt. Auch wenn dieser gerade relativ populär (= in den Medien präsent) ist, hat er wenig mit Popfeminismus und noch weniger mit Queerfeminismus zu tun.
Vielmehr steht Popfeminismus für eine Verwischung der Grenzen von Politik und Kultur, wie sie längst betrieben wird. Ladyfeste als queerfeministische Veranstaltungen und Festivals sind ein Beispiel dafür. Hier ist die Verbindung von politischen Inhalten und Aktionen, Netzwerken, Kunst und Musik Programm. Popfeministisch könnte man Ladyfeste auch deshalb nennen, weil es unter anderem um eine gute Party und coole Bands auf der Bühne geht. Aber es geht eben auch um die Auseinandersetzung mit der Frage, wie queer, wie feministisch diese Subkultur sein möchte und wie dann eine queerfeministische politische Praxis aussehen kann. Das Verhältnis von Popfeminismus und Queerfeminismus zeigt sich also in der konkreten Praxis, für die Ladyfeste nur ein Beispiel sind. Es ist ein Feld (und nicht nur eine Kuschelecke), in dem queerfeministische Positionen zur Geltung kommen können.