Gespräch mit Predrag Azdejkovicüber über den Eurovision Song Contest in Belgrad und Homophobie in Serbien

»Die Mehrheit der queeren Serben ist nationalistisch«

Am kommenden Samstag wird in Belgrad der Eurovision Song Contest stattfinden. Die serbische Lesbe Marija Serifovic gewann im vergangenen Jahr den Wettbewerb. Ho­mo­sexuelle leben in Belgrad allerdings gefährlich. Seitdem die erste Gay Pride Parade in Belgrad 2001 gewaltsam angegriffen wurde, kam es dort mangels öffent­licher Unterstützung nie wieder zu einer schwulen Parade. Predrag Azdejkovic ist Gründer der Belgrader Gruppe Queeria, die Veranstaltungen und Aktionen organisiert (queeriacentar.org) und seit 2001 ein Netzmagazin (queeria.com) betreibt.

Zum European Song Contest (ESC) werden in Belgrad viele homosexuelle Touristen erwartet. Liegt das an der Gewinnerin des vergangenen Jahres?

Nein, der ESC ist seit Jahren zu einem Queer-Event geworden. Das kriegt man als Zuschauer vor dem Fernsehen nicht mit. Aber die Stadt ist jetzt schon voller schwuler Männer. Auf serbischen Dating-Seiten im Internet häufen sich die Anfragen ausländischer Schwuler. Nachdem der transsexuelle Star Dana International 1998 den Wettbewerb ge­wann, gilt der ESC als schwulenfreundlich, aber im Prinzip hat er dieses Image schon seit Abba. Viele Künstler, die dort auftreten, sind schwul oder lesbisch, Gerard Joling aus Holland, die slowenische Transgruppe »Sestre«, Verka Serduchka aus der Ukraine und natürlich die Gewinnerin aus dem vergangenen Jahr, Marija Serifovic, deren Performance sehr schwul war.

In Serbien wurde in den vergangenen Wochen von einer Invasion »unserbischer« Homosexueller gesprochen. Rechnen Sie damit, dass diese Propaganda zu gewalttätigen Übergriffen führen wird?

Verschiedene serbische Zeitungen haben ihre Leser vor einer völlig übertriebenen Zahl Homosexueller gewarnt. Sie sprachen von bis zu 40 000 Homosexuellen und stellten es so dar, als ob der ESC zu einer Gay Pride Parade werden würde. Homophobe Gruppen wie Obraz haben deshalb angekündigt, dass sie während des ESC keine Schwulen in der Stadt dulden würden und kündigten an, notfalls mit Gewalt gegen sie vorzu­gehen. Bislang kam es trotz zahlreicher schwuler Touristen in der Stadt aber zu keinen gewalttätigen Übergriffen. Wir rechnen auch damit, dass das bis zum Ende des ESC so bleibt. Was danach passiert, wird sich zeigen.

Wer ist diese Gruppe Obraz?

Obraz (»Ehre«) ist eine orthodoxe Neonazi-Organi­sation, die offen dafür eintritt, Homosexuelle zu bekämpfen. Obwohl die Organisation von verschie­denen Vereinigungen und staatlichen Ins­titu­tio­nen, darunter das Parlament der Vojvodina und der serbische Innenminister, als klerikalfaschistisch klassifiziert wurde, ist Obraz sogar offiziell als NGO registriert. Das sind eben serbische Zustände.

Seit einiger Zeit gibt es aber doch ein Anti-Diskriminierungsgesetz in Serbien. Hat das keine Auswirkungen gehabt?

Nein, niemand macht davon Gebrauch. Die Berichterstattung der Medien ist zwar freundlicher geworden und etliche Prominente treten für die Rechte der Queeren ein, aber nur von der kleinen Liberaldemokratischen Partei Serbiens erhalten wir politische Unterstützung.

Der österreichische Schwulenverband hat Homosexuellen, die zum ESC nach Belgrad reisen, empfohlen, sich nicht offen als schwul zu zeigen. Die Gruppe Queeria dagegen geht in Serbien offen mit den Drohungen um und fordert in ihrer neuesten Kampagne »Liebe auf den Straßen – Hooligans ins Gefängnis«.

Ihre Gegenüberstellung ist berechtigt. Wenn sich Schwule verstecken sollen, klingt das tatsächlich nach Kapitulation vor den Faschisten. Aber wir leben nicht in einer perfekten Welt, wo Solidarität einen Hauptwert darstellt. Die Leute kommen und gehen, und sie wollen vor allem eins, ihre Par­ty feiern und eine nette Zeit haben. Sie wollen sich nicht mit den Problemen der Queeren in Ser­bien beschäftigen. Selbstverständlich träume ich von einer Gesellschaft, deren Basis die Solidarität mit den Unterdrückten ist. Aber es wäre zu viel verlangt, dass Leute aus anderen Ländern hierherkommen und für die Rechte der Queeren in Serbien kämpfen sollen.

Sie unterstützen aber, dass europäische Poli­tiker zum ESC reisen. Was versprechen Sie sich davon?

Wir brauchen diese Unterstützung einfach, weil wir in Serbien keine demokratische Öffentlichkeit haben, die uns unterstützt. Wir brauchen die Hilfe von außen vor allem deswegen, um Druck auf serbische Regierung und Politiker ausüben zu können, damit diese endlich die Rechte der Quee­ren anerkennen und respektieren. Wir mussten auch dieses Jahr wieder unsere geplante Gay Pride Parade absagen, weil wir die Sicherheit der Teilnehmer nicht gewährleisten können. Die Polizei weigert sich, unsere Demonstration zu schützen, und weder politische Parteien noch kulturelle Institutionen haben sich dafür eingesetzt.

Als Marija Serifovic nach ihrem ESC-Sieg nach Hause kam, wurde sie in Belgrad von begeisterten Massen empfangen wie sonst nur Fußballstars. War das ein Zeichen dafür, dass sich in der serbischen Gesellschaft etwas verändert hat im Hinblick auf Homosexualität?

Nein, das war reiner Nationalismus. Als Lesbe stellt sie für die Mehrheit der Leute immer noch ein hässliches Mannweib dar. Doch Serifovic wollte von der Massenbegeisterung profitieren und glaubte, dass es dafür notwendig sei zu behaupten, dass sie gar keine Lesbe ist, sondern einen Freund hat und von Familie, Ehemann und Kindern träumt. Es ist ihr gutes Recht, so etwas zu träumen. Aber sie ist feige und täuscht einfach alle. Zudem hatte sie nach ihrem Coming-out als Lesbe ein Coming-out als Nationalistin und unterstützte die Radikale Partei (SRS) von Tomislav Nikolic. Queeria hat sie dafür offen kritisiert, und später hat sie dann behauptet, sie habe die SRS nie unterstützt. Aber das ist nicht wahr, und sie unterstützt die Partei nach wie vor, wenn auch nicht offen.

Wie nationalistisch ist die queere Community in Serbien?

Wir Queer-Aktivisten haben mit Nationalismus in unserer Community das größte Problem, aber auch mit rechten Schwulen und Lesben. Die Mehr­heit der Queeren in Serbien ist nicht stolz auf ihre sexuelle Orientierung, und queere Identität hat für sie keinen Wert. Es ist die Nationalität, auf die sie in erster Linie stolz sind und aus der sie ihre Identität ziehen. Auf diese Weise versuchen sie, von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert zu werden.

Die queeren Aktivisten in Belgrad gelten als eine der aktivsten linken Gruppen der Stadt. Woran liegt das?

In Belgrad sind derzeit vor allem das Kosovo und die EU das große Thema. Rassismus, Kapitalismus und Nationalismus werden zwar in bestimm­ten NGO verhandelt, aber zum wirklichen Diskus­sionsgegenstand wird dies immer nur dann, wenn es rassistische Übergriffe gegeben hat. Tatsache ist, dass queere Gruppen in Belgrad linke Gruppen sind, aber die Mehrheit der queeren Serben ist na­tionalistisch, so wie die Mehrheit der serbischen Bevölkerung. Interessanterweise gibt es aber keine rechte Queergruppe, wahrscheinlich haben sie Angst, sich zu ­outen. Queere Gruppen wurden von Friedensaktivisten und Feministinnen gegründet, die schon gegen die Regierung von Slobodan Milosevic protestiert haben. Queeria ist nicht nur eine Special-Interest-Gruppe, sondern antifaschistisch, profeministisch und antirassistisch. Für uns ist Antifaschismus sehr wichtig, vor allem, da wir es in Serbien auch mit falschen Antifaschisten wie den Tschetniks zu tun haben.

In Serbien gibt es eine Verbindung zwischen dem antieuropäischen Ressentiment und na­tionalistischen und faschistischen Positionen. Glauben Sie, dass ein EU-Beitritt Serbiens das Leben von Homosexuellen erleichtern würde?

Auf jeden Fall. Die Homophobie würde sich nicht einfach in Luft auflösen, nur weil Serbien plötzlich in der EU ist. Auch mit neuen Gesetzen würde sie nicht über Nacht verschwinden; man denke nur an homophobe Gesellschaften in der EU wie beispielsweise die polnische. Um die Haltung gegenüber Homosexualität zu ändern, ist ein langwieriger Prozess notwendig, und wir stehen erst am Anfang.