Bali Saygili im Gespräch über Homophobie in Deutschland, queere Muslime und türkischen Nationalismus

»Es bleibt nicht nur bei verbaler Gewalt«

Bali Saygili ist seit 2006 Projektleiter von MILES, einer Beratungsstelle für homo­sexuelle Migranten in Berlin.

Welches sind die Hauptprobleme, mit denen homosexuelle Migranten in Deutschland konfrontiert sind?
Es sind im Großen und Ganzen dieselben, mit denen deutsche Homosexuelle zu tun haben. Aber das größte Problem ist die Angst vor dem Ausschluss aus der Familie und den dazugehörigen sozialen Strukturen. Selbst wenn der engere Familienkreis das Coming Out nicht sanktioniert, besteht die Angst, von anderen Verwandten und Bekannten verurteilt zu werden. Als türkischer Homosexueller muss ich damit rechnen, auf mich alleine gestellt zu leben. Das ist nicht so einfach, wenn man nie gelernt hat, selbstän­dig zu sein. Kommt man aus einer religiösen Familie, ist es noch schwieriger. Als Homosexueller steht man nicht im Einklang mit der Religion.
Welche Reaktionen auf ihre Arbeit erhalten Sie von Seiten der migrantischen Communities?
Positiv ist, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Jugendliche zu uns kommen und unsere Angebote annehmen. Gleichzeitig wurden wir im selben Zeitraum immer heftiger von muslimischen Vereinen und Moscheen attackiert. Erst kürz­lich haben sie uns untersagt, einen Stand auf einem Straßenfest in Neukölln aufzustellen, wo wir über Lesben und Schwule aufklären wollten.
Heftige Reaktionen erlebe ich auch in den Orientierungs- und Integrationskursen, bei den Aufklärungs- und Sensibilisierungsveranstaltungen, die ich zum Thema Homosexualität an Schulen etc. leite. Die größten Probleme habe ich mit Russen und Leuten aus dem islamisch-arabischen Raum. Es bleibt nicht nur bei verbaler Gewalt, ich werde auch schon mal angespuckt. Eine russischstämmige Dame sagte mir einmal, dass sie wisse, dass Homosexualität in Deutschland nicht verboten sei, aber wenn es nach ihr ginge, würde sie mich an die Wand stellen und erschießen. Ich bin da mittlerweile ganz krass geworden und vertrete die Position, dass die Leute, die die demokratischen Spielregeln in diesem Land nicht akzeptieren wollen, auch nicht eingebürgert werden sollten.
Dann müssten Sie aber auch konsequent fordern, dass homophobe Deutsche ausgebürgert werden.
Da haben Sie Recht. Man kann nicht erwarten, dass die Menschen von heute auf morgen alles vergessen, was man ihnen bisher erzählt hat. Aber es gibt in Deutschland schon 30 Prozent, die Lesben und Schwule am liebsten einsperren und kastrieren würden, wieso sollte man diese Zahl noch erhöhen? Worüber ich mich immer wieder aufrege und was von vielen lesbischen und schwu­len Migranten auch noch toleriert wird, ist diese Opferhaltung. Das bringt für meine Arbeit gar nichts. Ich weiß, in welchen Schwierigkeiten die Jugendlichen stecken, aber wir kommen einfach nicht weiter, wenn wir das Problem nicht benennen und Migranten vor Kritik schützen.
Kritisieren und die Einbürgerung verweigern sind aber auch zwei Paar Schuhe.
Ich bin nicht grundsätzlich gegen die Einbürgerung, und ich weiß, dass man als migrantischer Homosexueller in Deutschland einer doppelten Diskriminierung ausgesetzt ist und die deutsche Gesellschaft einen Anteil an der Entwicklung trägt. Viele migrantische Jugendliche haben in Deutschland keine Perspektive und keine wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft, auch das verstärkt Homophobie. Von allen Seiten wird diese Benachteiligung in der deutschen Gesellschaft angeklagt, aber in der Realität verändert sich daran kaum etwas. Jugendliche werden weiter in den Hauptschulen aufbewahrt. In vielen Berliner Schulen hat das nichts mehr mit Lernen und Unterricht zu tun, sondern nur noch damit, die Leute einzuschließen. Ihre Zukunft ist damit schon vorprogrammiert. Man muss diese Jugendlichen stärken, ihnen ein Selbstwertgefühl geben, deswegen mache ich ja auch diese Kurse und Veranstaltungen. Aber die Leute müssen auch dazulernen wollen. Dabei geht es nicht darum, die eigene Herkunft zu verleugnen. Das habe ich ja auch nicht getan, als ich mich einbürgern ließ. Ich habe das, was ich an der türkischen Kultur fortschrittlich fand, mit dem verbunden, was ich an der deutschen Kultur fortschrittlich fand. Es geht nicht um Assimilation, sondern um Demokratie.
In den vergangen Jahren traten gerade türkischstämmige Homosexuelle offensiv auf: Filme wie »Lola und BilidiKid«, die Wahl von Suat Bahceci zum Mr. Gay Germany 2004, der Kongress türkischstämmiger Homosexueller in Berlin im selben Jahr. Hat sich dadurch innerhalb der türkischen Community die Akzeptanz Homosexueller vergrößert?
Ich und andere türkischstämmige Homosexuelle haben als Reaktion auf die doppelte Diskriminierung immer versucht, beide Seiten zu attackieren. Auf der deutschen Seite haben wir vieles erreicht, obwohl wir lange auch innerhalb der deutschen schwul-lesbischen Community als Aussätzige behandelt wurden, wo türkische Schwule als Stricher galten. Diese Klischees gab es aber auch von türkischer Seite, wo es oft hieß, dass man mit deutschen Schwulen keine Beziehung führen könne.
Vor ein paar Jahren dachten wir, dass wir auch unter den Türken den Durchbruch geschafft hätten, und bekamen zumindest von den großen türkischen Organisationen wie dem Türkischen Bund Berlin-Brandenburg Unterstützung, beispielsweise bei unserer Plakataktion »Kai ist schwul. Murat auch«. Aber das Klientel der türkischen Vereine ist in den vergangenen Jahren immer konservativer und religiöser geworden, und die Organisationen haben Angst, Themenfelder wie Homosexualität zu besetzen. Da ging dann auch die Unterstützung für uns immer mehr zurück. Die liberale türkische Gesellschaftsstruktur wird nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland an den Rand gedrängt. Das religiöse Spektrum gewinnt immer mehr an Gewicht.
Was halten Sie von Gruppen wie Queer Muslime Hamburg?
Ich finde das ganz gut, was die machen. Ich bin zwar atheistisch, aber ich respektiere es, wenn Leute religiös sein wollen. Ich habe auch Klientinnen, die verschleiert zu mir zur Beratung kommen. Das ist wunderbar. Diese Menschen müssen ihre Homosexualität mit ihrem Glauben vereinbaren. Es wäre wünschenswert, wenn solche Grup­pen wie die Hamburger sich innerhalb der Moscheen Gehör verschaffen könnten. Aber ich glaube, das ist verlorene Zeit. Denn so, wie die muslimischen Frauengruppen es nicht schaffen, Gleichheit mit den muslimischen Männern zu erkämpfen, werden auch die Homosexuellen nie akzeptiert werden. Ich kann nicht religiös und homosexuell sein, da würde ich mir ja permanent selbst widersprechen. Diese Religion würde mich steinigen und aufhängen, warum soll ich diese Religion dann unterstützen?
Verstärkt der wachsende türkische Nationalismus auch unter den Deutsch-Türken Phänomene wie Homophobie?
Sicherlich. Allerdings gab es Nationalismus unter den konservativen türkischen Familien gerade in Berlin schon immer. Doch die beängstigenden Entwicklungen in der Türkei spiegeln sich auch hier wieder. Viele türkischstämmige Jugendliche in Deutschland sprechen überhaupt nicht richtig Türkisch, glauben aber, dass sie sich in der Türkei heimischer fühlen als in Deutschland. Dieses Problem muss man ernst nehmen und konkrete Angebote an diese Jugendlichen machen, damit sich diese Entwicklung nicht verstärkt. Das Einzige, was hilft, ist, auf die Bildung zu setzen, das muss auch von Seiten der Eltern gefördert werden.