Deutsche Entwicklungshelfer

Die die Capacities developen

In Afrika sind Heerscharen von Entwicklungshelfern, Freiwilligen, technischen Beratern und Praktikanten tätig, um dem Kontinent aus der Armut zu helfen. Wer sind diese Leute, die sich auf den langen Weg machen, um Gutes zu tun? Janine Hamann hat sich umgesehen

Interkulturell sensibel, tolerant, in politischen Zusammenhängen denkend, sozial kompetent und kontaktfreudig sollen sie sein, die im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) entsandten Helfer. In Bereichen wie Wasserversorgung, öffentliche Gesundheit, Dezentralisierung und Unterstützung der Zivilgesellschaft, Demobilisierung ehemaliger Kombattanten und Friedensförderung oder aber auch Unterstützung der Privatwirtschaft bringen die Berater ihr Fachwissen ein, um wahlweise die Armut zu bekämpfen, Gendermainstreaming zu fördern, die Jugend zu stärken, das friedliche Zusammenleben zu garantieren, die Ressourcen zu schützen und generell die »Capacities« zu »developen« – am liebsten alles zugleich und kombiniert.
Über das Für und Wider von Entwicklungshilfe lässt sich streiten, sei es die projektbezogene Unterstützung, die von den Durchführungsorganisationen (DO) angeboten wird oder aber der »Budget-Support«. Letztgenannter wird von dem Großteil der Empfängerländer ausdrücklich gewünscht. Nach Meinung mancher Regierungen ist das Geld besser direkt in ihrem Staatshaushalt, in manchen Fällen auch auf Privatkonten aufgehoben als in den Händen der zahllosen Organisationen, die meist zuerst ihr eigenes Büro und die eigenen Mitarbeiter samt Chefetage finanzieren, bevor die Einheimischen etwas von den Gaben des Nordens sehen.
Den Entwicklungshelfer an sich gibt es so nicht. Das liebgewonnene Bild vom Wollsocken-in-Birkenstock tragenden Vollbart-Pädagogen trifft erschreckend selten zu. Nichtsdestotrotz kann man das Personal der DO in ein paar Prototypen unterteilen:
Da wäre einmal der Idealist. Die Idealisten rekrutieren sich primär aus jüngeren Männern und vor allem jüngeren Frauen, die man in der Projektarbeit trifft. Praktikanten, Freiwillige und Nachwuchskräfte kommen oft voller Elan und reinen Herzens an und wollen so richtig was reißen – eine Schule mit bloßen Händen hochziehen, Frauenvereine aufbauen, Waisenkinder versorgen, die Armut überwinden – wenn man nur so richtig anpackt, lässt sich alles bewerkstelligen, auch in den Sommerferien! Mitunter trifft man derartige Spezies auch unter den etwas älteren Kollegen, die es erstaunlicherweise schaffen, sich ihre gnadenlose Naivität trotz längerer Konfrontation mit der empirischen Umwelt zu bewahren.
Solange man eben nur sein Projekt betrachtet und ein paar Workshops zu Kinderrechten mit den örtlichen NGO-Aktivisten (die selbstverständ­lich für die Weiterbildungen bezahlt werden) als großen Sprung nach vorne für die Entwicklung des Landes einordnet, bleibt man voller Vorfreude auf das Ende der Misere des Kontinents. Glücklicherweise schaffen es gerade die Praktikanten, Projektarbeits-Touristen und Freiwilligen, sich ihren Enthusiasmus bis zur Abreise zu bewahren. So kehren sie mit dem schönen Gefühl zurück, Afrika so richtig – und nicht wie die von grundauf verhassten Touristen – kennen gelernt, mit den einfachen Menschen an Ort und Stelle tiefgehende Beziehungen aufgebaut und einen unschätzbaren Beitrag zum endgültigen Ende der Armut geleistet zu haben.
Diejenigen, die den Fehler machen, ihr Leben völlig der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu widmen, und seit Jahren draußen sind, lassen sich zum Großteil unter den Typus des Zynikers subsumieren. Von den Zynikern gibt es im Allgemeinen zwei Arten: Zyniker, die sich trotz ausbleibender Wirkung ihrer Arbeit den Humor nicht verderben lassen, gehen Tennis oder wahlweise Golf spielen. In den meisten Fällen hat die Ehe das ständige Herumreisen überlebt, und man genießt trotz des Elends drumherum das Leben.
Zyniker, die der Job die Ehe gekostet hat und denen die Sinnhaftigkeit ihres Tuns abhanden gekommen ist, trinken. Die Alkoholikerrate unter den Entwicklungshelfern liegt knapp unter der der Ärzte und Lehrer. Was auch tun, alleine in einem gottverlassenen Kaff? Oder alleine in der Hauptstadt? Entscheidend ist das Alleinsein. Wechselt man alle paar Jahre seinen Lebensmittelpunkt und damit seinen Kollegen­kreis, tritt bei den meisten der »Mauer-Effekt« auf. Die Leute machen dicht, lassen sich kaum mehr auf die neuen Kollegen und die Menschen in ihrer Umgebung ein und vereinsamen innerlich.
Kaum verwunderlich, dass man irgendwann die Lust verliert, sich ständig neuen Leuten zu öffnen, betrachtet man die Fluktuation unter all den Menschen, die da kommen und gehen.
Charakteristisch ist die Verweigerung einer Auseinandersetzung auch für den nächsten Typ: den EZ-Fachidioten. Dieser weigert sich, innerlich zum Zyniker zu werden, und vermeidet daher jede kritische Analyse seiner Arbeit. Den Blick von außen auf die eigene Arbeit und deren Wirkung meidet er wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen spricht der EZ-Fachidiot pausenlos von »Logframes«, »Capacity Development« (hieß früher »Capacity Building«, ist aber nun der ganz neue, heiße, exklusive Ansatz des »Capa­city Development«), »Armutsstrategiepapieren« und »Geber-Harmonisierung«. Der Zyniker und der EZ-Fach­idiot haben gemeinsam, dass sie die Bereitschaft, einen neuen Menschen wirklich kennen zu lernen, vor Ewigkeiten ad acta gelegt haben. Also fragen sie nicht, was man so denkt und macht, sondern quatschen von sich. Ohne Luft zu holen. Bevorzugt erzählt der EZ-Fach­idiot dann unterhaltsame Anekdoten aus seinen früheren Einsatzländern. Was zumeist interessanter ist als ein Monolog über »Logframes«, »Capacity Development« und »SWAPs«.
Die meisten Leute, die man in den Organisationen antrifft, muss man jedoch fairerweise als eigentlich ganz realistisch denkende Menschen bezeichnen. Gerade die Angehörigen der Alterskohorte 30 bis 40 Jahre gehören im Großen und Ganzen zu den angenehmen Kollegen an Ort und Stelle. Zu alt für weltfremden Idealismus und zu jung für abgebrühten Zynismus und beginnenden Rassismus, lässt sich mit den meisten Technical Assistants und Beratern ganz vernünftig reden – sowohl über die Arbeit und deren Wirkung als auch über Gott und die Welt. Zumindest meistens, denn die großen Themen der Expat-Community sind: die Expat-Community und das Verhalten der Hausangestellten im Be­son­deren und der Einheimischen im Allgemeinen.
Das Thema »Hausangestellte« ist der Renner bei Treffen unter Kollegen. Der viel zu langsam das Tor öffnende Wächter oder der unfähige Gärt­ner ohne Sinn für Ästhetik sind ebenso Evergreens wie die Schwierigkeit, eine Putzfrau mit Kochkenntnissen zu finden. Besonders frappierend wirkt ein solches Lamentieren, wenn es aus den Mündern von Endzwanzigern kommt, die erst vor kurzem die verdreckte WG-Küche hinter sich gelassen haben.
Unangefochtenes Thema Nummer eins der allermeisten EZler ist aber die eigene Suppe. Die Quote der sich in der Misere anderer suhlender Zeitgenossen, die Stunden damit verbringen kön­nen, noch das letzte Detail des Privat­lebens der Kollegen auseinanderzunehmen, ist erschreckend hoch. Gerne wird auch über die Unzulänglichkeiten der eigenen Organisationen geklagt und mangelnde Betreuung moniert. Aber nichts ist so aufregend wie das Leben der anderen. Zugegebenermaßen sind die Geschichten abendfüllend: Unter den Kolleginnen ab 30 Jahren geht der Trend zum verheirateten Mann mit Kind. Die Kollegen hingegen bleiben der alten Maxime »bring ’em young« durch die Bank weg treu.
Das Liebesleben der Kolleginnen sorgt meist für den größeren Aufruhr, da das Sich-Einlassen mit verheirateten afrikanischen Kollegen und Nachbarn schon mal soziale Konsequenzen mit Öffentlichkeitswirkung nach sich zieht. In einem Fall stand eines Tages der Bürgermeister samt Anhang auf der Matte der Kollegin und sprach ein Machtwort. Immerhin befand man sich in einem christlichen Land, und außerdem war die betrogene Ehefrau eine entfernte Verwandte des Ortsvorstehers.
Auch das herzerweichende Weinen und Geschrei einer Ehefrau, deren Mann seit mehreren Wochen bei einer Deutschen verweilte, sorgte lange für Gesprächsstoff. Gekommen war die Mutter dreier Kinder, um den Büroleiter zu bitten, endlich einzuschreiten und die Affäre zu beenden.
Die jüngeren Kolleginnen unter 30 halten sich bisher noch brav an den Nachwuchs der örtlichen Partnerorganisationen. Zumindest der Großteil. Die Besetzung einer Nachwuchs-WG ist ziemlich charakteristisch für die verschiedenen Typen. Da gibt es einmal die in Deutschland liierte Soziologin, die ihrem Freund den Arbeitsaufenthalt über treu ist. Die im Nebenzimmer wohnende Ethnologin kam solo an und hat eine schlechte Erfahrung mit einem Einheimischen gemacht. Also treibt sie sich nun mit dem jungen UN-Staff aus Übersee herum und kategorisiert neu Eintreffende nach Monaten. Bist du ein three-monther, dann bist du für diejenigen attraktiv, die schon drei Monate in Afrika sind und sich so langsam an die mangelnde Auswahl gewöhnt haben. Da Einheimische als potenzielle Affären oder Partner ausgeschlossen werden, tritt in diesen Kreisen ziemlich schnell ein Zeltlagereffekt ein, und Menschen, die man zuhause kaum beachten würde, erscheinen nach einer Weile als doch nicht unattraktiv. Es soll schon Fälle gegeben haben, in denen sich Verzweifelte beiderlei Geschlechts mit 15monthers eingelassen haben. Afrika kann verdammt klein sein.
Die dritte Bewohnerin, Geografin, hat ebenfalls ihren Freund zurück in der Heimat gelassen, hält aber die Einsamkeit schlecht aus. Also lacht man sich einen netten, intelligenten Einheimischen an, und schon ist die Tristesse verflogen. Dass zwischendurch mal der gut verdienende Freund anreist und eine Woche Seychellen spendiert, tut der Affäre keinen Abbruch, zumindest ihrer Harmonie nicht, und darum geht es ja. Nach dem Ende des Arbeitsvertrags wird der zwar nette, aber eben nicht zukunftskompatible Kerl unter Tränen zurückgelassen, und es geht zurück zum Freund nach Hause.
Auch die eine Weile im Gästezimmer wohnende Praktikantin kommt mit der klaren Ansage an, sich erst mal einen Toy-Boy suchen zu wollen. Die männlichen Nachwuchskräfte stehen dem in nichts nach. Im Gegenteil, da wird schon mal der Wettbewerb ausgerufen, wer mehr Mädchen ins Bett bekommt. Gemeinsam ist Männern wie Frauen, dass sie in einem Land ankommen und alle Chancen der Welt beim anderen Geschlecht haben. Die Gründe dafür liegen freilich nicht in der magnetischen Ausstrahlung der meisten Expats. Im Gegenteil: Es drängt sich zuweilen der Eindruck auf, dass mangelnde Attraktivität ein entscheidendes Kriterium der Entsendung ist. Aber egal, wie attraktiv die Leute im Einzelnen sind, einen ­attraktiven Partner zu finden, ist praktisch nie ein Problem, schließlich eröffnen Menschen weißer Hautfarbe die Aussicht auf ein besseres Leben.
Zudem genießen weiße Männer in vielen afrikanischen Ländern den Ruf, Frauen generell besser zu behandeln als die einheimischen Männer. Angesichts der Dichte von Sozialwissenschaftlern unter den Nachwuchskräften der EZ-Organisationen ist es erscheckend, wie wenige augenscheinlich wissen, wie man »Machtverhältnis« auch nur buchstabiert.
Aber auch die älteren EZler lassen sich nicht lumpen, insbesondere die Männer. Der Klassiker: weißer Mann über 50 mit Bierplautze und junger Afrikanerin im Arm in der örtlichen Disco. Unbequeme Kommentare oder gar soziale Konsequenzen scheinen die Herren in der Expat-Community nicht befürchten zu müssen. Da kommt schon mal der vom BMZ entsandte Uni-Professor ungeniert mit zwei jungen Studentinnen im Arm zum Botschaftsempfang am 3. Oktober. Klar goutiert man so etwas nicht wirklich, aber letztlich ist der Kollege doch ein guter Kerl und eben nur ein Mann. Feixend erinnert man sich dann am Ende des Abends der beiden jungen »Dinger«, die er letztes Jahr mitgebracht hat.
Nach zwei Jahren der Entwicklungszusammen­arbeit fragt man sich also, ob man wirklich etwas bewirkt hat. Na ja, ein ganz klein wenig vielleicht schon.
Im großen Stil? Sicher nicht.
Hat man wirkliche Freunde unter den Kollegen gefunden? Fehlanzeige.
Will man die meisten der Leute wiedersehen? Auf gar keinen Fall!
Was also tun?
Mal sehen, ob die UN gerade offene Stellen haben, die zahlen doch so gut.