Der Film »Happy-Go-Lucky« von Mike Leigh

Rohstoff gute Laune

Ausgerechnet der für radikale Gesellschaftskritik bekannte Mike Leigh legt mit »Happy-Go-Lucky« das Buttercremestück unter den Feelgood-Movies hin.

Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Der britische Regisseur Mike Leigh möchte es herausfinden. Wie man das macht, davon handelt sein Film »Happy-Go-Lucky«, zu deutsch: unbekümmert. Im Zentrum steht die 30jährige Grundschullehrerin Pauline (Sally Hawkins), genannt »Poppy«. Die Frau scheint das Glück gepachtet zu ha­ben. Als Meisterin der Kunst, das Leben angenehm zu gestalten, kann ihr der fade Alltag nichts anhaben. Wo sie hingeht, schlägt ihr Witz Funken. So gerät ein simpler Buchkauf zum erotisch-heiteren Wortgefecht mit dem mürben Buchhändler. Nein, sie hätte ihren Spaß auch, wenn das Geschäft leer wäre. Sie macht aus allem eine Inszenierung des Alltags. Das Fahrrad wird geklaut? Juchhu. Sie wäre zwar gern noch weitergefahren, aber bitteschön: Sie nimmt endlich Fahrstunden für den Führerschein.
Knallbunt und spillerig ist sie, als sei sie aus einem Roman Irmgard Keuns entsprungen, die sich bekanntlich an einem Kiosk in Köln zu Tode getrunken hat.
Poppy und ihre Freundinnen, das ist ganz die Natürlichkeit, die Frauenzeitschriften immer predigen: Sie gesellen sich zu jenen Leuten der Filmgeschichte, die barfuß im Regen über Wiesen laufen, Blumen stehen lassen, um der Natur nicht zu schaden, obwohl man eigentlich einen Strauß pflücken wollte; die die Luft anmalen in den Farben von Amelies bunter Welt – oder zusammen ganz viel Spaß haben wie die beiden Frauen in »Thelma and Louise«, wenn sie mit Vollgas über eine himmelhohe Klippe in den Selbstmord starten.
Wer wäre nicht gern so? Leigh setzt den Endorphinen ein Denkmal. Und gibt damit Antwort auf die Eingangsfrage: Das richtige Leben findet in jedem Fall in der Gegenwart statt. Soweit der Stand nach 20 Minuten Film.
Aber sitzt die Botschaft auch? Leigh lässt seine Figur natürlich auch ein paar kritische Situationen durchleben. Der stille Junge in Poppys Klasse, der die anderen haut – ja, was ist mit dem? Der wird zu Hause selbst gehauen! Mama trinkt den ganzen Tag Schnaps. Das hat Poppy in ihrer kosmischen Weisheit gleich erkannt. Rettung naht durch die öffentlichen Stellen. Die prima Pädagogin schaltet den Sozialarbeiter ein, der ist klasse und kann toll mit Kindern umgehen. Schön, dass es sowas noch gibt, im prekären England. Poppy verliebt sich head over heels in den Mann. Einmal ausgegangen, dann in seine Wohnung – alles völlig ohne Zwischenfälle.
Die an Schwangerschafts- und allgemeiner Depression leidende Schwester? Selbst im verkaterten Zustand kein Problem. Soll sie doch gebären hinterm Jägerzaun. Beim Spaziergang am Meer dann schaut man der Sonne beim Scheinen und den Vögeln beim Fliegen zu. Anderntags wird das im Beruf in die Tat umgesetzt: Die Kinder toben mit fröhlich hellen Masken durch die Klasse.
Es ist eine Tatsache: Leute, die Spaß haben, arbeiten eben besser. Poppy ist an ihrem Arbeitsplatz in der Grundschule gut aufgehoben. Kinder brauchen Vorbilder. Für alles. Ein Vorbild, das ist Poppy – zur Not sogar dafür, wie Kin­der als Kinder zu sein haben.
Keine Frage, »Happy-Go-Lucky« ist die Buttercremetorte des Feelgood-Movies – schon weil gute Laune ein extrem seltener Rohstoff ist. Konsequenterweise braucht Leigh nicht allzuviel Drehbuch und Plot – ein bunter Farbklecks braucht wenig Struktur. Zugunsten der Vorführung eines absolut intakten Seelenlebens und damit verbundener Authentizität kann alles andere ein wenig in den Hintergrund rücken.
An Poppy exerziert der für düstere Arbeiterfilme gelobte und gepriesene Regisseur Mike Leigh ein Sprachspiel: Aus Gefühlskino wird Kino des Gefühls.
Der Knackpunkt: Bei Poppy wird das alsbald zum Extremsport. Und da schleichen sich Zweifel ein. Hat die nicht vielleicht doch diese Krank­heit, wo man erst großartige Laune hat und dann monatelang in der Psychiatrie sitzt? Reiht sich Sally Hawkins ein in die lange Reihe jener Schauspielerinnen, die in der Darstellung heißer Aggregatszustände jede Menge Festivalpreise abräumen, um dann in Interviews zu betonen, dass alles nicht so gemeint sei und man privat ganz anders sei?
Es scheint, dass Mike Leigh sich ob dieses Zwiespalts genötigt sah, die gute Laune irgendwie zu begrenzen. Er führt den Fahrlehrer Scott (Eddie Marslan) ein, einen griesgrämigen, zu Rassismus, Multikulti-Hasserei und sonstigen Neigungen und Abneigungen des Verklemmten tendierenden Autoinsassen, der der durchgeknallten Poppy das Autofahren beibringen soll. Nun also prallen die Welten aufeinander. Führerschein! Hier kommt dramatische Realität zum Tragen: Denn man kann nicht unbedingt tief, aber immerhin durchfallen.
Wo Poppy anarchisch, situativ und unstrukturiert ist, präsentiert sich mit Scott neben ihr ein voll ausgebildeter analer Charakter. Im Straßenverkehr findet er sein Weltbild bestätigt: Ordnung, kontrollierte Abläufe, Routine.
Bald schaut man genau hin: Auch der Zuschauer kann unmöglich wollen, dass Poppy auf den Londoner Linksverkehr losgelassen wird. Man erwischt sich dabei, wie man für den faschistoiden Mistkerl votiert. Der Verstand, er rattert: Wird es auch im richtigen Leben Fahrlehrer geben? Oder wird dieses Leben von Leuten wie Poppy bevölkert und alle gehen zu Fuß? Wie wollen wir überhaupt leben? Mike Leigh hat einen Zweistundenfilm gedreht über jemanden, der den Führerschein macht.
Die beiden Figuren repräsentieren unterschiedliche Phasen einer Entwicklung. Poppy ist ungefähr so drauf wie ein intaktes Kind mit drei Jahren. Scott dürfte sich auf dem Niveau des vollausgebildeten Kindersoldaten bewegen. Während Scott auf rigide Einhaltung der Regeln pocht, kriegt sich Poppy kaum ein über seine Erziehungsversuche. Erziehen, er sie – sie ist doch die Pädagogin! Da sie sich mit sowas auskennt, reizt sie ihn bis aufs Blut. Ihren Späßchen haftet etwas Sadistisches an.
Und es reicht noch nicht. Dass Poppy eine schöne Seele ist, lässt den starren Mann nicht unberührt. Er ist verliebt. Und weil er nicht weiß, was das ist, findet die Liebe bei ihm nur ihren missratenen Ausdruck als Stalking. Nicht aber in Scott manifestiert sich das Neurotische, das Gescheiterte. Denn der ist gescheitert von Anfang an. Und für derlei Gestrandete bedeutet Liebe, nachts als einsamer Mensch vor dem Fenster einer Glücklichen zu stehen. Nein, Poppy ist das Problem. Der Zugewinn, Macht über einen anderen Menschen zu haben, scheint zu verlockend. Und er steigert sich auch noch, wenn sie die verklemmte Zuneigung Scotts zurückweist. Dass sie bestimmen kann, dass es dem anderen durch die mutwilligen Scherze schlechter geht. Ab jetzt geht auch eine gewisse Rohheit von ihrer seelischen Verfasstheit aus. Die Gesunde verstößt den Kranken.
Die Eingangsfrage – richtig und falsch – wird folgendermaßen beantwortet: Glücklich zu sein, macht zwar froh, aber nicht zwangsläufig gut. Poppy wird nicht nur beim Führerschein nachsitzen müssen.

»Happy-Go-Lucky« (GB 2007). Regie: Mike Leigh. Start: 3. Juli