Die Arbeit der Paparazzi im Wandel

Einmal Star und zurück

Eine Ausstellung in Berlin widmet sich dem Arbeitsprofil der Paparazzi und dessen Wandel.

Der Paparazzo befindet sich in einer beruflichen Krise. Früher wurde er von Marlon Brando oder Sean Penn verprügelt, heute steckt er Schläge von Ernst August ein. In den sechziger und siebziger Jahren rauschte er auf seinen Streifzügen mit einer Vespa durch das nächtliche Rom und besuchte Bars und Striplokale. Oder er begleitete die Prominenz in die Sommerfrische an die Côte d’Azur und lag mit seinem Teleobjektiv in den Buchten von Saint Tropez. Mittlerweile steht er zusammen mit 300 anderen Kollegen im verregneten London vor dem Haus von Amy Winehouse und hofft, dass sie ordentlich zugedröhnt auf die Straße wankt. Mit Glamour hat das wenig zu tun, wie auch Frank Griffin, Chef einer der größten Paparazzi-Agenturen, in einem Interview mit der Zeitschrift Galore bestätigt.
Die Pioniere der Paparazzi-Fotografie verfolgten das Projekt einer Entmythisierung von Stars, indem sie Schnappschüsse aus deren Alltags­leben an die Presse lieferten. Diese Mission war extrem erfolgreich, gegenwärtig gibt es wohl niemanden auf diesem Planeten, der nicht weiß, dass das Leben der Celebrities manchmal auch außerhalb von Konzerten, Film-Sets und roten Teppichen stattfindet. Dementsprechend konzentriert sich das Interesse des Boulevards auf die besonders krassen, desaströsen und würdelosen Momente. Harmloses Bildmaterial geht nur noch durch, wenn sich darauf eine bisher un­entdeckte Liebschaft versteckt. Das moderne Paparazzitum leidet jedoch nicht nur an dem von ihm selbst heraufbeschworenen erweiterten Aufgabenfeld, neue Herausforderungen stellen sich auch mit der stetig wachsenden Anzahl von B- und C-Prominenten und dem Management von Ex-Gatten und Ex-Berühmtheiten. Und dann gibt es auch noch die Konkurrenz durch das Internet; Hobby-Fotografen und Handy-User machen die Preise kaputt, so billig wie heute waren die Bilder noch nie. Angesichts dieser komplexen Problemlage könnte man beinahe Mitleid mit den traditionell fast schon reflexartig gehassten Paparazzi empfinden.
Die Ausstellung »Pigozzi and the Paparazzi« in der Berliner Helmut Newton Foundation entzieht sich dem Problem der Gegenwart und zeigt Bilder aus der Zeit von 1930 bis zur Ära des Studios 54 in New York, wo man Grace Jones und Andy Warhol nachschnüffeln konnte. Im Zentrum stehen Prominentenportraits aus den sech­ziger und siebziger Jahren, die hier als »klassische« Phase der Paparazzi-Fotografie bezeichnet werden.
Dabei gab es Paparazzi schon, bevor sie auf den Namen der Fotografenfigur aus Fellinis Film »La Dolce Vita« getauft wurden. Erich Salomon lieferte um 1930 verbotene Einblicke in das Leben der Politprominenz und dokumentierte heimlich Gerichtsverhandlungen und Parlaments­debatten. Arthur Fellig alias Weegee hörte in den vierziger Jahren den New Yorker Polizeifunk ab und knipste, bevor die Einsatzkräfte den Un­glücks­ort erreichten.
Bereits bei den Pionieren kann man die Regeln des Paparazziwesens studieren, die Ron Galella einmal in der FAS formulierte: »Sei ein Detektiv, sei listig, spiele das Spiel.« Doch das Spiel war nicht immer ungefährlich. Nach einem Faustschlag von Marlon Brando fehlten dem Star-Paparazzo Galella fünf Zähne. Stoisch verfolgte er Brando weiter und inszenierte seine Jagd sowohl selbstironisch als auch medienwirksam mit einem Football-Helm als Kopfschutz.
Galella setzte bei seinen Prominentenbildern auf Nähe, an einem guten Tag entstand das stille Porträt eines wunderbar in sich gekehrten Steve McQueen bei einer Kaffeepause am Film-Set. An schlechten Tagen hagelte es Anzeigen und Gewaltausbrüche.
Daniel Angeli arbeitete weniger gesundheitsgefährdend und benutzte ein Teleobjektiv, um Romy Schneider beim Sonnenbad auf einer Yacht abzulichten. Auch Edward Quinn schätzte die Distanz und zeigt eine leicht verwischte Aufnahme von Liz Taylor hinter den Fenstern eines Flugzeugs. Beide Fotografen folgen einer Ästhetik der Filmgeschichte und erinnern an die trägen Liegestuhlszenen zu Beginn des Films »Swimmingpool« und den nebelverhangenen Londoner Flughafen in »Hotel International«.
Diese stilsicher komponierten Aufnahmen zeigen allerdings auch, dass der Auslöser eines guten Paparazzi-Bildes im Moment einer Taktlosigkeit liegt. Die Stars reagieren ganz unterschiedlich auf das ungebetene Eindringen in ihre Privatsphäre, Grace Kelly lächelt souverän unterkühlt wie ihre Filmfiguren und scheint zu akzeptieren, dass der Deal lautet: ohne Paparazzi keine Celebrity. Sean Penn hingegen absolviert eine straßenkampferprobte Abwehrperformance. Mar­lene Dietrich, deren vielzitierter Satz »I’ve been photographed to death« die Brutalität des Paparazziwesens auf den Punkt bringt, wappnet sich mit einer Zeitung. Bestürzend ist die Ähnlichkeit in der Körpersprache von Greta Garbo und Andy Warhol, beide ziehen die Schultern hoch und versuchen, ihr Gesicht zu verstecken, wie Kinder, die glauben, wenn sie die Augen verschließen, werden sie unsichtbar. Der Unterschied ist nur: Warhol war ein erklärter Bewunderer der Paparazzi und nahm zahlreiche Elemente ihrer Kultur in seine Zeitschrift Interview auf, Greta Garbo lehnte die Bilderjagd immer entschieden ab.
In den achtziger Jahren lotete die Fernsehserie »Kir Royal« die damaligen Grenzen und Möglichkeiten des Paparazzo am Beispiel des Klatsch­reporters Baby Schimmerlos und seinem Fotographen Herbie aus. Informationen über die Promiskuitäten der Prominenz erhielten sie über­wiegend von bestochenem Hotelpersonal und enttäuschten Sekretärinnen. Baby und Herbie waren zwar häufig planlos und auf eine sympathische Art dämlich, aber das Machtinstrument Foto unterschätzten sie nie. Die Machtverhältnisse waren allerdings auch etwas simpel strukturiert, entlarvende Bilder wurden entweder erpresserisch zur eigenen Bereicherung eingesetzt oder erpresserisch für eine neue Story verwendet.
Diese »klassische« Zeit der Paparazzifotografie ist passé. In der Gegenwart gestaltet sich das Spiel zwischen Macht und Ohnmacht wesentlich komplizierter. Nahezu jeder verfügt über die technischen Möglichkeiten, selbst Paparazzo zu sein, und alle sind dem Risiko ausgesetzt, Opfer einer Foto-Attacke zu werden, bei der Fotos entstehen, über deren Veröffentlichung man keine Kontrolle hat. Clubs und Konzerte sind zu Orten dokumentationswütiger Besessenheit geworden, der bad guy muss kein professioneller Paparazzo sein, er kann einfach nur neben dir tanzen. Mit zittrigen Händen kontrolliert man MySpace und betet, dass man keine kompromittierenden Bildchen findet. In solchen Momenten verspürt man tatsächlich echtes Mitgefühl mit Britney Spears und anderen.
Greta Garbo sagt als Filmfigur in »Menschen im Hotel« den Satz »I want to be alone«. Die klassischen Paparazzi hielten sich bevorzugt in Hotels auf, die als Transiträume die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre auflösten, ein paar Jahre später hätte der Garbo sicherlich ein Paparazzo mit diabolischem Lächeln zugeflüstert: »You never walk alone.«

»Pigozzi and the Paparazzi« in der Helmut Newton ­Foundation, Berlin. Bis zum 16. November