»Raus aus der Schuldenfalle« (RTL)

Schuld und Sühne

Keine Gnade. Sie sind billig, schnell produziert, sehr erfolgreich, trashig und geschmacklos. Doku Soaps wie »Bauer sucht Frau«, »Schnulleralarm« oder »Die Super Nanny« boomen im deutschen Fernsehen. Gestartet sind gerade die Alm-Soap »Gülcan und Collien ziehen aufs Land«, das Beauty-OP-Spektakel »Aus alt mach neu« und die Ehe-Schnulze »Sarah und Marc crazy in love«. Kann man das ertragen?
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Raus aus der Schuldenfalle« (RTL). Ach kommen Sie, Sie sind doch auch so einer! Wären gerne der gesuchte Superstar, mit einem Topmodel verheiratet und könnten Kraft Ihrer Gedanken Löffel verbiegen. Oder Sie wären gerne das nächste Topmodel, mit einem Superstar verheiratet und könnten kaputte Uhren wieder zum Laufen bringen. Für alle diese Sehnsüchte haben RTL bzw. Pro Sieben großartige Formate parat. Aber, hey, ich kenn’ Sie doch, Sie wollen sich selbstverständlich auch über diesen Dünnpfiff erheben, sich über diese armen Loser mit ihren profanen Wünschen lustig machen, kurz: Ihre potenziellen Konkurrenten auf der Bühne oder dem Laufsteg sollen ordentlich eins auf die Fresse kriegen. Dafür hat man Leute wie Bohlen und Bruce dazugestellt.
Soweit zu Ihrer banalen Traumwelt aus Illusion und Hass. Ihre Wirklichkeit ist aber noch trostloser. Mit der Miete im Verzug, die Kreditkarte gesperrt, immer nur Lidl, und so langsam begreifen Sie auch, weshalb die Bank Ihnen stän­dig Ihren Dispo erhöht. Auch dafür hat RTL eine Sendung, die sowohl Ihr Problem ernst nimmt als auch Ihr dringendes Bedürfnis, zu sehen, wie Leute, denen es noch schlechter geht als Ihnen, ordentlich eins auf die Fresse kriegen. Für beides ist Peter Zwegat zuständig, der Schuldnerberater. Er und unser Comic-Zeichner OL kennen so ungefähr dieselben Leute. Der Zweite zeichnet sie liebevoll, der Erste hilft ihnen im Auftrag von RTL aus der »Schuldenfalle«.
Die Sendung »Raus aus den Schulden« stellt das Prekariat ausnahmsweise nicht nur als pöbelnde Talkshow-Meute dar, und Peter Zwegat ist kein Bohlen oder Bruce, sondern ein netter, seriöser älterer Herr mit Anzug und Krawatte, der die Probleme seiner Klienten ernst nimmt, sehr ernst. So ernst, dass er ihnen – ohne dabei großartig die Gesichtszüge zu verschieben – mitteilt, dass da nicht mehr viel zu machen ist, sie Haus und Auto werden verkaufen müssen, mit dem Saufen aufhören sollten und vielleicht doch einen Job annehmen. Und dass sie dann immer noch in der Scheiße sitzen werden.
Er macht vor allem das, was jeder tun könnte, aber wovor jeder, den es betrifft, normalerweise zurückschreckt. Er schreibt auf eine Tafel oben die monatlichen Einnahmen und listet darunter die monatlichen Ausgaben auf. Was man ahnte, dass zwischen diesen Zahlen eine erhebliche Differenz besteht, wird so erst sichtbar. »Die müssen sich nackig ausziehen, nur so kann Schuldnerberatung funktionieren«, erklärte Zwegat mal in einem taz-Interview.
RTL und Produzent Friedrich Küppersbusch muss man ein Kompliment machen, was die Erschließung der Zielgruppe betrifft. Auf Wikipedia erfahren wir: »Etwa fünf Millionen Menschen sind in Deutschland von der Überschuldung betroffen. (…) Die Show erreichte in der ersten Staffel teilweise Zuschauerzahlen von fünf Millionen.« Allerdings wird Peter Zwegat den Kapitalismus wohl nicht in die Knie zwingen. (Zwegat: »Ich als Person repräsentiere so etwas wie den letzten Rest des Sozialstaats.«) Aber was soll er auch raten, der gute Mann, außer sparen, sparen, sparen?! Schulden seien eines der letzten Tabuthemen in unserer Gesellschaft, sagt Zwegat. Da ist was dran, Sparen allerdings ist im Gegenteil das Mantra dieser Tage, das auch bei dieser Sendung penetrant vervielfacht wird. Vergebens warten wir bisher darauf, dass Peter Zwegat Tipps für einen erfolgreichen Bankraub gibt. Vielleicht in der nächsten Staffel (ab Herbst).
Falls Sie es bis dahin beim Casting zum Superstar oder Topmodel nicht in die zweite Runde geschafft haben, wenden Sie sich doch vertrauensvoll an: Rausausdenschulden@rtl.de