Drogen-Supermarkt im Slum

Die Bronx von Malle

Auf Mallorca gibt es ein kleines Dorf, in dem seit Jahren ganz offen Drogen verkauft werden. Ein Trip nach Son Banya.

Vor dieser Recherche haben wir tatsächlich ein wenig Respekt. Was man über Son Banya so gehört hatte, klang schon etwas verunsichernd, abenteuerlich. Ein Dorf, das wie ein Drogen-Supermarkt funktioniert, Kriminalität, Mafia, brennende Ölfässer auf der Straße, die Bronx von Malle – es gibt viele Gruselgeschichten über Son Banya, auch viele rassistische, denn die Bewohner, die hier das Kokain-Geschäft erledigen, sind Gitanos, Roma. Normalerweise fährt man mit dem Auto hinein, kauft sein Koks wie in einem Drive-In und fährt schnell wieder hinaus. Dort, wo eine Laterne am Fenster brennt, soll es Kokain geben, erzählt man sich auf Mallorca. Die Stammkunden des »Supermercado«, wie die Mallorquiner das Viertel nennen, wissen das. Wir nutzen die Gelegenheit, einen befreundeten Mallorquiner bei seinem Einkauf zu begleiten. Aber natürlich wollen wir etwas mehr mitbekommen, daher beschließen wir, zu Fuß hineinzugehen. Das Auto bleibt an der Landstraße stehen. Wir befinden uns zwischen der östlichen Stadtgrenze Palmas und dem Flughafen. Abgesehen von dem Ort Son Banya gibt es hier nicht viel.

Die ursprüngliche Idee, auf dem Dorfplatz erstmal einen Kaffee zu trinken, erscheint völlig grotesk, nun, da wir vor den Müllhaufen stehen, zwischen denen hindurch die Straße in die kleine Baracken-Siedlung führt. Auf die Mauer an der Landstraße hat jemand »Putos Gitanos« geschrieben, »Hurensöhne Zigeuner«. Das hier ist ein Ghetto im wahrsten Sinne des Wortes, umgeben von einer Mauer und einem Zaun. Das Dorf wurde 1970 während der Franco-Zeit errichtet, im Rahmen einer allgemeinen Vertreibung der Armen aus der Innenstadt von Palma. Die Gitanos wurden hierher umgesiedelt, »vorübergehend«, hieß es damals. In den rund 120 brüchigen Häusern leben heute ungefähr 600 Personen.
Wir laufen die Straße entlang auf den Slum zu. Rechts und links stehen ausgebrannte und ausgeschlachtete Autos, Schrott liegt herum. Ein paar Kinder spielen auf der Straße, eine Oma schläft auf einem Sessel vor einer Baracke. Halbstarke fahren mit aufgemotzten Autos hin und her. Auf den ersten Blick scheint sich eine ganze Reihe der Geschichten über diesen Ort zu bestätigen. Klischees. Bis auf die Geschichte mit der Laterne. Aber vielleicht liegt es nur an der Uhrzeit, es ist kurz nach 13 Uhr. Von der Hauptstraße gehen links und rechts ein paar Straßen ab, dann sind wir auch schon am Ende des Dorfes angekommen. Mit viel Phantasie könnte man dies den Dorf­platz nennen. Über einer der Barackentüren hängt ein Schild: »església«, Kirche. Das erscheint wie ein Witz. Vielleicht ist es auch einer.
Zwei Typen in einem roten Wagen halten an und fragen uns, was wir wollen. Wir überlegen kurz, wie wir die Frage deuten sollen. Wir entscheiden uns für die hier vermutlich einzig akzeptierte Antwort: »Das, was hier jeder will«, erklärt unser spanischer Freund etwas verschämt. Es ist nicht üblich, dass am helllichten Tag ein paar Leute einfach in den Ort reinspazieren, der Verkauf findet eher am Abend statt, und man kommt normalerweise auch nicht zu Fuß. Die beiden Typen wenden ihren Wagen, den sie selten zu verlassen scheinen, und reden mit einer Frau, vielleicht Mitte 30. Sie hat ein Baby auf dem Arm und ist sehr nett. Sie bittet uns in eine der Baracken. Hinter dem Vorhang, der die fehlende Tür ersetzt, befindet sich nur ein Zimmer. Es ist leer bis auf ein Sofa und einen Plasma-Fernseher mit Playstation. Ein Mann kommt mit hinein, er übernimmt das Baby, denn es ist die Frau, die hier das Drogengeschäft abwickelt. Die Ware trägt sie am Körper, und was sie da auspackt, ist eine ganze Menge. Es dürfte ein paar tausend Euro bringen.

Die Verkäuferin ist sehr professionell, sie empfiehlt, gekaufte Ware gut zu verstecken, Frauen würden nicht kontrolliert, und am besten versteck­ten sie den Stoff im Intimbereich. Wir versuchen, mit den beiden ins Gespräch zu kommen. Sie sind freundlich, aber nicht auf allzu viel Kommunikation aus. »Dieses Haus hat 24 Stunden geöffnet, hier könnt ihr immer kaufen«, erklärt der Mann. Und dass er den besten Stoff habe, sagt er. Wir fragen die Frau nach der Polizei, ob es denn nie Probleme gäbe. Doch, sagt sie. Manchmal komme die Polizei in den Ort, schaue sich um und gehe wieder. Wir fragen, ob wir Fotos machen dürfen in der Siedlung. »Nein«, sagt der Mann: »Man kommt hierher, man kauft sein Zeug und man verschwindet wieder.« So sei das. Dies sei ein gefährlicher, ein krimineller Ort.
Bisher haben wir nicht den Eindruck, wenn man von der Illegalität der hier stattfindenden Geschäfte einmal absieht. Wir schlendern durch die Slum-Siedlung zurück. Bevor wir aus dem Ort raus sind, laufen ein paar Kinder um uns herum, höchstens zehn Jahre alt. Sie boxen uns spielerisch, zupfen an den Ärmeln, aber es ist leicht durchschaubar, dass dies nur als Ablenkung dient. Mit der jeweils anderen Hand versuchen sie, unsere Brieftaschen aus den Hosentaschen zu ziehen. Es hat nichts Bedrohliches, doch es ist klar, wenn es ihnen gelänge, wäre das Geld weg. Ein Erwachsener steht am Straßenrand und beobachtet lächelnd die Szene. Er würde uns wohl kaum helfen, und die Polizei können wir selbstverständlich auch nicht rufen.
Die Kinder bleiben erfolglos, aber nun wissen wir erstens, was der Mann damit meinte, dass der Ort gefährlich sei, und zweitens, weshalb man besser mit dem Auto hierher kommt.

Es sind übrigens nicht nur die partywütigen Touristen, die hier den Stoff kaufen, mit dem sie ihre Nächte aufpeppen. Im an Touristen armen Monat Januar waren 94 Prozent der Leute, die wegen Kokain-Missbrauchs im Krankenhaus landeten, Bewohner der Insel, und selbst in der Hauptsaison im August sind es noch 82 Prozent. Kokain-Missbrauch ist eine der Hauptursachen für Einlieferungen in die Notaufnahme der mallorquinischen Krankenhäuser. Über 400 Fälle jeden Monat sprechen eine deutliche Sprache. Ob es wegen der offenbar auch auf der Insel bestehenden großen Nachfrage nach dem Kokain ist oder weil die Polizei in das äußerst lukrative Drogengeschäft involviert ist und Son Banya deshalb halbwegs in Ruhe lässt, können wir natürlich in dieser kurzen Zeit auf Mallorca nicht recherchieren. Vermutlich weiß das kaum jemand so genau.
Hin und wieder kommt es zwar zu Razzien, aber viel ändert sich dadurch nicht. 2006 wurden auf einen Schlag 25 Menschen verhaftet, sieben Kilo Kokain und rund 125 000 Euro beschlagnahmt. Eine als »Clanchefin« bezeichnete 30jährige Frau, »La Eva«, wurde zu sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, ebenso ein Bauunternehmer, der das Kokain nach Mallorca geschmuggelt haben soll. Außerdem wurden 17 Immobilien eines Polizeikommissars beschlagnahmt, der mit einem der Clans im Geschäft war. Zuletzt wurden im Juli dieses Jahres erneut rund 30 Personen wegen Kokain- und Heroin-Handels festgenommen. Bei der Großrazzia, die nicht nur in Son Banya stattfand und unter dem Codenamen »Operation Kabul« lief, wurde auch Francisca Cortés verhaftet. Sie soll die aktuelle Anführerin des größten Drogenclans »La Paca« sein.
Jedes Mal, wenn größere Razzien stattfinden, füllen sich die Zeitungen mit Geschichten über Son Banya. Immer wieder werden »Lösungen« für die Lage im »Problemviertel« der Gitanos gefordert. Neulich kündigte Palmas stellvertretender Bürgermeister Eberhard Grosske an, das Viertel abreißen zu wollen und die Bewohner in verschiedene Stadtteile umzusiedeln. So einfach wird er seinen Plan jedoch nicht umsetzen können. Die Bewohner haben bereits ihre Bedingungen für einen friedlichen Abzug aus der Siedlung klar gemacht. Gabriel Cortés, Sprecher der Nachbarschaftsvereinigung von Son Banya, nannte sie neu­lich in einem Interview: »Eine Eigentumswohnung für jede Familie und einen Arbeitsplatz«, damit die Nebenkosten der Wohnung bezahlt werden können. »Sonst wird es hier Krieg geben.«