Schrottplatz Mallorca

Meiden Sie den Schrottplatz des Mittelmeers!

Kein vernünftiger Mensch fährt nach Mallorca, schon gar nicht, weil es dort so schön ist.

Sollten Sie dummerweise einmal in die Verlegenheit kommen, Mallorca bereisen zu müssen, stellen Sie sicher, dass Sie sich vom Westen her der Insel nähern. Denn von dieser Himmelsrichtung aus betrachtet präsentiert sich die Insel noch recht eindrucksvoll, ist sie doch auf dieser Seite eingemauert von einer überwältigend schönen Steilküste, die in das so viel gerühmte und in der Tat besonders intensive und orangefarbene Sonnenlicht getaucht ist.

Doch der Erbauer dieser Insel muss gewusst haben, warum er diese undurchlässige Sichtblende wie einen Riegel vor das Eiland geschoben hat. Denn hinter dem Bergmassiv Tramontana erstreckt sich nichts weiter als flaches Ödland. Der Schöpfer scheint an diesem Ort eine Kreativpause eingelegt zu haben, statt die Pläne für die Innenarchitektur auszuarbeiten.
Doch damit nicht genug, eine unfassbare Engstirnigkeit und Geistlosigkeit spiegelt sich in den fein säuberlich parzellierten Grundstücken wider, die das sowieso schon dröge Binnenland zu einer riesigen Kleingartenkolonie verkommen lassen. Dass man sich nach wenigstens 6 000 Jahren Besiedlung nichts Besseres hat einfallen lassen können, als in jede Parzelle auch noch eine Windmühle zu pflanzen, zeugt von einer Einfältigkeit, die zu entdecken die Strapazen eines Billigfluges nicht lohnen. Und es kommt noch schlimmer. Aus der Luft besehen gleicht das Innere Mallorcas einem Schrottplatz. Versteckt gelegene Fincas lassen sich kaum von verlassenen Tankstellen unterscheiden. Leicht verwechselt man triste Jeans-Outlets mit verfallenen Klosteranlagen, schwarze Müllbeutel mit streunenden Straßenkatzen, verrottete Straßenschilder mit morschen Heiligendenkmälern und Briten mit Deutschen.

Haben Sie sich einmal dazu gezwungen, genauer hinzugucken, werden Sie freilich reizvolle Fleckchen entdecken. Dabei sollten Sie jedoch auf Tiefenschärfe stellen, denn vor lauter Bergketten, die man durchqueren muss, ist es schon so manchem passiert, dass er ob der Freude, endlich Wasser zu sehen, den Lago Esperanza mit dem Mittelmeer verwechselt hat.
Es gibt sie selbstverständlich, die pittoresken Bergdörfer, wie das traumhafte Valdemossa oder das schmucklosere Pollença. Es riecht hier allerdings weder nach gebratenem Ziegenfleisch, noch können Sie hier unter einem alten großen Johannisbrotbaum auf einer kleinen Placa den Nachmittag genießend verstreichen lassen. Denn überall wimmelt es von Fliegen, Deutschen und anderem Geschmeiß.
Insgesamt gibt es auf dieser Insel nichts, womit die Landschaft wirklich prunken kann. Sie ist karg, aber so karg wie Goli Otok, die »nackte Insel« der kroatischen Adria, ist sie nicht. Sie hat eine üppige Fauna, aber mit der von Rhodos kann sie nicht mithalten. Es gibt ein paar Klöster, aber die atemberaubenden Tempelanlagen Siziliens sucht man vergeblich.
Haben Sie mit Müh und Not erreicht, der Landschaft irgendetwas abgewinnen zu können, begegnen Sie genau in dem Augenblick Mountainbikern mit Eierschalen auf dem Kopf, Kletterern mit Schweißbändern und anderen Naturfanatikern in weißen Tennissocken und Sportsandalen.
Ja, könnten Sie jetzt einwenden, aber was zählt, sind doch die inneren Werte. Was also lässt sich nicht nur über Land, sondern auch über Leute auf Mallorca sagen?

Es gibt sie, die Einheimischen, und sie sind selbstverständlich alle äußerst freundlich und zuvorkommend. Dabei haben sie eine äußerst intelligente Strategie, sich die immergleichen Fragen von Touristen und anderen Spurensuchern des Authentischen vom Leib zu halten, indem sie von Dorf zu Dorf verschiedene Dialekte des Katalanischen sprechen.
Wenn Ihnen die Zeit fehlt, diese Dialekte zu erlernen, werden Sie wahrscheinlich auf die Idee kommen, in die Töpfe der mallorquinischen Küche zu schauen, in der Hoffnung, dort endlich etwas zu finden, was die Reise wert war. Doch nehmen Sie diesen Rat ernst und tun Sie es nicht.
In Spanien gibt es Tapas, Meze serviert man am östlichen Mittelmeer, in Frankreich können Sie sich auf ein Hors d’œuvre freuen. Nirgendwo am Mittelmeer gibt es eine derart unterentwickelte Küche wie auf Mallorca, wo der kulinarische Höhe­punkt in einem Schweineschmalzgebäck, der Ensaimada, und der Sobrasada, einer scharfen Mettwurst vom schwarzen Schwein, besteht. Egal was Sie von George Sand halten, glauben Sie ihr, wenn sie über die mallorquinische Küche sagt, dass selbst die Desserts aus Schweinefleischpastete bestehen.
Gewiss, jeder Schrottplatz verströmt einen gewissen Charme von Vergänglichkeit, so auch Mallorca. Doch die meisten Schrottplätze sind wenigstens von allen Seiten eingezäunt, damit der Müll, der sich dahinter verbirgt, einigermaßen versteckt bleibt. Warum nur hat Mallorcas Schöpfer drei Seiten offen gelassen?