Der »Tag der Hispanität«

Messer, Kette, Baseballschläger

Militante Neonazis verbreiten in Spanien Angst unter Migranten und Linken. Die fehlende Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit kommt ihnen dabei zugute.

Der 12. Oktober, der Jahrestag der »Entdeckung« Lateinamerikas, ist in Spanien als »Tag der Hispanität« offizieller Feiertag. Jedes Jahr gehen zu diesem Anlass Neonazis, Faschisten und Nationalisten auf die Straße, um den »Tag der Rasse« zu feiern, wie der spanische Nationalfeiertag bis 1958 hieß. Auch dieses Jahr wurde in verschie­denen Städten für die »Verteidigung der spanischen Nation« demonstriert.

In der spanischen Gesellschaft wird dieses Treiben nicht nur mit Abneigung betrachtet. Die Fremdenfeindlichkeit nimmt in der derzeitigen Wirtschaftskrise erneut zu. Daran ist die sozialdemokratische Regierungspartei Psoe nicht unschuldig: Sie präsentiert ihr Rückkehrerprogramm für migrantische Arbeitskräfte als Lösung für die Krise auf dem Arbeitsmarkt (Jungle World 35/2008) und benennt so auch das vermeintliche Problem. Und sie verschafft der Forderung der Rechtsex­tremen Geltung, die im vergangenen Jahr zum 12. Oktober gefordert hatten: »Spanier zuerst!«
Die diesjährigen Kundgebungen wurden unter anderem von den rechtsextremen Parteien Alianza Nacional (AN) und Democracia Nacional (DN) organisiert. Die AN wurde 2005 gegründet und gehört zum militanten neofaschistischen Spektrum, ihr Motto lautet »Nation, Rasse, Sozia­lis­mus«. Zu den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr kandidierte unter anderem Pedro Cuevas für die Partei. Er hatte 1993 den 18jährigen Linken Guillem Agulló ermordet und wurde dafür 1995 zu 14 Jahren Haft verurteilt, von denen er vier Jahre absaß. Die DN besteht bereits seit 1995 und wurde 2005 in einer Studie der Polizei als »die am besten organisierte Partei der spanischen extremen Rechten« bezeichnet.
Beide Parteien sind in ihrem Auftreten und ihrer Ideologie der NPD ähnlich, mit der sie auch gute Kontakte pflegen. Auf dem diesjährigen »Fest der Völker« in Altenburg trat der Auslandsbeauftragte der AN, Enrique Valls, als Redner auf. Erst im September war der ehemalige Vorsit­zende der NPD, Günther Deckert, auf Einladung der AN auf einer Lesereise in Spanien unterwegs.
Eine weitere neofaschistische Gruppierung ist die »Falange«. Sie verbindet die bürgerlichen Faschisten, die im Partido Popular (Volkspartei, PP), in der katholischen Kirche und der Wirtschaft fest integriert sind, und den prügelnden Mob auf der Straße. Die Falange war die politische Mas­senbewegung und die einzige zugelassene Partei während der Diktatur von Francisco Franco, in dessen ideologischer Tradition sie sich sieht. Sie hat noch immer in allen Regionen Spaniens Vertretungen.
In den Parlamentswahlen im März konnten jedoch alle rechtsextremen Parteien zusammen mit 42 000 Stimmen nur 0,2 Prozent erreichen. Diese geringe Unterstützung reichte in den Kommunalwahlen 2007 jedoch aus, um in kleineren Ortschaften insgesamt an die 50 Sitze zu erlangen. Die geringen Wahlerfolge sind zum Teil dadurch zu erklären, dass die landesweit zweitstärkste Partei, der 1989 von einem ehemaligen Minister Francos, Manuel Fraga Iribarne, gegründete PP, Altfaschisten und den rechten Rand der bürgerlichen Mitte weiterhin für sich gewinnen kann. Sie veranstaltet Massendemonstrationen für »Spa­nien als einige Nation« und hetzt zusammen mit der Kirche gegen Homosexuelle, Kommunisten und die Selbstbestimmung der Frauen.

Über das ganze Land verteilt gibt es zudem örtliche Schlägerbanden, die unter Namen wie »Resistencia Aria« (Arischer Widerstand) oder »Escuadras Autónomas Blancas« (Weiße Autonome Geschwader) z.B. Konzerte organisieren. Die größ­ten Gruppen sind »Nación y Revolución« und »Combat España«, die an einer Zusammenführung der zerstreuten Szene arbeiten sollen. Der Polizei zufolge gibt es über 250 neonazis­tische Gruppierungen mit annähernd 5 000 Mitgliedern. Die Organisation »Movimiento contra la Intolerancia« (Bewegung gegen die Intoleranz – MCI) spricht hingegen von 10 000 bis 15 000 Neonazis in Spanien, Tendenz steigend.
In Spanien gibt es von staatlicher Seite keine offiziellen Zahlen über Straftaten mit rechts­extre­mem Hintergrund. Das MCI bringt schon seit mehreren Jahren eine eigene Statistik heraus, in der es rassistische, antisemitische und homophobe Angriffe dokumentiert. Die Organisation zählt jährlich etwa 4 000 Angriffe, häufig werden sie mit großer Brutalität ausgeführt. Nicht selten sind Messer, Baseballschläger und Eisenketten im Spiel, wenn Nazis Jagd auf Migranten, Obdachlose, Linke und Homosexuelle machen. Seit 1991 sind dabei mindestens 74 Menschen ums Leben gekommen.
Und die Gewalt der Nazis auf den Straßen nimmt zu. Der jüngste Mord ereignete sich im No­vember vergangenen Jahres in Madrid. Mehrere jugendliche Antifas waren auf dem Weg, um gegen eine Kundgebung der DN zu demonstrieren, als sie in der Metro auf eine Gruppe von DN-Anhängern trafen. Der 24jährige Berufssoldat Josué Estébanez zog ein Jagdmesser und erstach den 16jährigen Carlos Javier Palomino. Für Mi­gran­ten sind aber nicht nur die Nazis eine Gefahr, regelmäßig gibt es Berichte von Misshandlungen durch die Polizei und die Sicherheitsdienste der Metro.

Antifaschistische Gruppen organisieren in jüngster Zeit zwar häufiger Gegendemonstrationen oder greifen Veranstaltungen der Nazis an. So konn­te Günther Deckert auf seiner Spanien-Reise im September nur in Valencia einen Vortrag halten, die Veranstaltungen in Madrid und Barcelona wurden verhindert. In der Regel bleiben die Nazis jedoch recht ungestört. Im Internet werden Konzerte und Treffen mit Orts- und Zeitangaben angekündigt, über vergangene Veranstaltungen wird gerne ausführlich und mit Bildern der Teilnehmer berichtet. Eine wirksame, antifaschistische Arbeit scheinen die Rechts­extre­men nicht zu fürchten.
Vielmehr sind sie es derzeit, die durch Angriffe auf interkulturelle Zentren, Flüchtlingsorganisationen und Büros linker Parteien und Gewerkschaf­ten für Angst sorgen. Im Juni sah sich die Regionalregierung von Valencia daher veranlasst, die »gewalttätigen Aktionen von rechtsradikalen und neonazistischen Organisationen« zu verurteilen. Dabei kommt auch der immer noch andauernde »Pakt des Schweigens« – die institutionalisierte fehlende Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit – den Neonazis entgegen. Gesetze, mit denen die Verherrlichung der NS-Zeit oder des spanischen Faschismus verfolgt werden kann, gibt es wenige oder sie werden nicht angewendet. SS-Totenköpfe, White-Power-Symbole und – trotz Verbots – auch Hakenkreuzflaggen sind auf Aufmärschen üblich.
Im vergangenen Jahr gab der spanische Gerichtshof überraschend einer Klage des bekannten Neofaschisten Pedro Varela Recht und urteilte, dass die Leugnung des Holocaust von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sei und keine Straftat darstelle. Der Urteilsspruch wurde am 9. November verkündet, dem Jahrestag der deutschen Reichspogromnacht.