Campino im Gespräch über Funpunk, Pogo und seine Rolle im neuen Film von Wim Wenders

»In der Nacht ist ein Klo wie das andere«

Campino von den Toten Hosen über Funpunk, U 2-Akzeptanz, die Zartheit des Pogo und die Frage, wer eigentlich an der Jägermeister-Rockliga die Schuld trägt

Soeben ist die Dokumentation »Übriggebliebene ausgereifte Haltungen« der Goldenen Zitronen erschienen. Dort gibt es Aufnahmen von gemeinsamen Touren in den achtziger Jahren zu sehen.

Ted Gaier von den Goldenen Zitronen hat mir davon erzählt. Gesehen habe ich sie leider noch nicht. Muss ich mir aber unbedingt besorgen.

Die Goldenen Zitronen, die sich wie damals auch die Toten Hosen in der Funpunk-Szene bewegten, sagen in dem Film, dass sie irgendwann keinen Unterschied mehr gesehen haben zwischen den immer größeren Funpunk-Konzerten und Volksfesten – obwohl die Funpunk-Szene das Volksfest ja eigentlich ironisieren wollte. Den Toten Hosen hat das nie etwas ausgemacht.

Ich glaube, dass die Zitronen damals ein Abgrenzungsproblem hatten. Wie das manchmal Söhnen mit ihren Vätern ergeht. Die fanden uns cool, aber irgendwann mussten sie klären, was sie denn nun von uns unterscheidet. Die Gefahr, dass man im Kielwasser verendete, wenn man bei uns im Vorprogramm spielte, war sehr groß. Manche Bands, die bei uns im Vorprogramm spielten, wurden vom Publikum beschimpft: »Hach, die wollen jetzt auch Die Toten Hosen sein.« Selbst einer Band wie Stunde X – eine tolle Mod-Band – hat man das nachgesagt. Die Zitronen wollten irgendwo zwischen den Hosen und den Ärzten eine Nische finden. Da mussten eine Menge Späne fallen, bis sich aus der Band die Band entwickelte, die wir heute als die Goldenen Zitronen kennen und schätzen. Von der Urbesetzung sind ja auch nur noch Schorsch Kamerun und Ted Gaier übrig. In der Original­besetzung wäre diese Band von heute niemals möglich gewesen. Aldo Moro zum Beispiel war ein »Spaßpunk vor dem Herren«.

Man darf den Begriff Funpunk also durchaus wörtlich nehmen?

Die Probleme, mit denen sich die Goldenen Zitronen auseinandergesetzt haben, waren für uns einfach nicht existent. Wir hatten die Ramones, wir hatten unsere Akkorde, wir wussten, woran wir uns zu orientieren hatten. Wir haben die Zitronen teilweise echt nicht verstanden und wollten unser Publikum auch nicht bewerten. Also wenig Publikum bedeutet: gut und elitär, und viel Publikum bedeutet: Deppen. Das war eine Schlussfolgerung, die ich nicht zulassen wollte. Ich habe heute noch die Frage an Ted Gaier: Was ist dagegen zu sagen, wenn Tausende von Menschen bei einem U2-Konzert brüllen: »In the Name Of Love«. Ich finde, »Masse« ist ein wertfreier Begriff. Sie wird zur Bedrohung, wenn sie in die falsche Richtung gedrängt wird – was Demagogen damit veranstalten können, wissen wir nur allzu gut. Genauso kann Masse aber auch etwas ungemein Positives sein. Ich glaube, die Leute auf den U2-Konzerten gehen unglaublich entspannt nach Hause. Das ist mir selber so begegnet: Alle Augen haben geleuchtet. Keine Aggressionen! Ich will jetzt nicht pathetisch klingen, aber im besten Fall würde ein Gottesdienst genau so eine Wirkung haben. Das Gefühl, nicht allein zu sein. Das ist ja das Gefühl, das im Idealfall bei einem Konzert transportiert wird. Das finde ich weder schlimm noch verachtenswert.

Was ist dann ein Tote-Hosen-Konzert? Ein Pogo-Gottesdienst?

Wir verwenden unsere Kraft nicht darauf, Leute zu agitieren. Wir freuen uns einfach, wenn sie das besagte Gemeinschaftsgefühl erleben: Wildfremde Menschen lachen sich an und schubsen sich und gehen am Ende glücklich nach Hause. Ich kenne das schon aus der Zeit als junger, verunsicherter Bursche im verrufenen Ratinger Hof. Bei einem Wire-Konzert 1978 war die Mehrzahl der Leute viel älter als ich und sah erst mal beängstigend aus. Man legt sich auf die Fresse, und plötzlich kommt ein langer Kerl, vor dem man eben noch Angst hatte, lächelt einen an und hilft einem wieder hoch. Eine komische, merkwürdige, aber auch schöne Art, in eine Clique aufgenommen zu werden.

Noch mal zurück zum Phänomen U2: Ist das Problem nicht eher, dass die Menge den Song »Sunday Bloody Sunday« mitgrölt, ohne den politischen Hintergrund zu kennen? Und dass dies einer Band ab einem bestimmten Grad des Erfolgs auch vollkommen egal zu sein scheint?

Für mich ist das ein zweischneidiges Schwert. Vor allem stellt sich für mich die Frage: Ab wann geht das Missionieren los? Ich glaube, niemand, der zu unseren Konzerten geht, würde sich fragen, wo wir politisch stehen. Anders gesagt: Ich habe das Gefühl, dass 95 Prozent unserer Fans richtig tippen würden, wenn man sie fragen würde: »Was glaubt ihr, was Die Toten Hosen für eine Partei wählen?« Insofern muss man nicht jedes Lied in ein Manifest verpacken und einwandfreie Richtungsanweisungen formulieren. Das habe ich nie verstanden. Ich habe Verantwortung gegenüber dem Publikum, definitiv. Der Spaß ist natürlich auch dann zu Ende, wenn er sich politisch gesehen nach rechtsaußen bewegt. Das ist der Punkt, wo das Ende der Fahnenstange bei mir erreicht ist. Was unsere Botschaften oder unsere Inhalte angeht, habe ich es immer so verstanden, dass die Leute sich zuhause Gedanken zu unserer Haltung machen. Wenn sie unsere Platte hören und im Booklet stöbern. Der Konzertabend ist mir dafür emotional viel zu aufgeladen.

Seit geraumer Zeit gibt es die Jägermeister-Rockliga, die bei den Poplinken für extremen Zündstoff gesorgt hat: »Darf man als Band mit politisch linken Inhalten bei so einem Wettbewerb mitspielen oder nicht?!« Ihr habt damals den Song »10 kleine Jägermeister« aufgenommen und damit unfreiwillig die werbewirksamste Aktion in der Geschichte des Kräuterlikörs bewirkt.

Das ist ein schlimmer Punkt. Das muss ich ganz klar sagen. Es hat mich erst heute wieder jemand gefragt, warum so ein Song auf unserer neuen Platte nicht drauf ist. Als wir damals das Album »Opium fürs Volk« gemacht haben, hatten wir einfach noch Angst vor dem Stempel »Erwachsenenmusik«, und deshalb haben wir dieses Lied noch hinzugegeben. Als Kontrapunkt. Es hat damals für uns Sinn gemacht, und irgendwo bin ich diesem Lied heute auch dankbar. Dass dann aber tatsächlich der Umsatz von Jägermeister, einem Unternehmen, das damals von einem ganz üblen, reaktionären Kerl geführt wurde, explodierte, ist schlimm. Wer weiß, hätte es die Jägermeister-Rockliga ohne unseren Song jemals gegeben? Ein schlimme Vorstellung, dass es da einen Zusammenhang gibt. Aber da befinden wir uns auch schon inmitten eines viel größeren Themenkomplexes.

Welchen Themenkomplex meinen Sie?

Das Sponsoring von Bands: Was ist da korrekt, und was nicht? Ich bekomme graue Haare bei dieser Diskussion. Wie weit quatschen die einem rein?! Nahezu der ganze Kulturbetrieb der Bundesrepublik stützt sich auf Firmensponsoring. Die Deutsche Bank schickt Ballettgruppen in die Welt oder finanziert Theater. Die Kehrseite der Medaille ist aber: Was wäre, wenn sie das nicht mehr tun würde? Wie viel Kultur leistet sich denn eine Gesellschaft? Wenn die Politik dort nicht so radikal kürzen würde, dann wären wir auf solche Gelder viel weniger angewiesen. Zu den Bands: Es ist einfach eine unfaire Diskussion. Da ist eine junge Band. Die will spielen, sie will sich präsentieren und hat dann eben die Möglichkeit, auf so eine Marken-Package-Tour mitzufahren. Wie auch immer diese Scheiße genannt wird: Wer will so einer Band absprechen, daran teilzunehmen? Aus einer Position wie der meinen finde ich das vollkommen ungerecht, mit dem Zeigefinger auf die zu deuten und zu sagen: Das macht man nicht …

Auf dem neuen Tote-Hosen-Album »In aller Stille« gibt es ein Stück mit dem Titel »Disco«. Ist das Stück als Anti-Disco-Stück zu verstehen?

Nein, es geht einfach um die Ambivalenz aller Gefühle, wenn man in eine Disco geht. Es pendelt einfach zwischen sehr sexy, sehr geil und sehr eklig und daneben. Eine Frage der inneren Einstellung, vor allem natürlich eine Frage des DJs. Wenn ich zu Sven Väth gehe und der ist gut drauf und die Leute drehen durch, dann ist es wie auf einem guten Rockkonzert. Man ist verschwitzt, hat Energie rausgelassen, und es gab wenig Solos zu hören.

Außer vielleicht das mittlerweile legendäre Solo-Ausrasten von Sven Väth am Mikrofon.

Das kann natürlich passieren. Aber zurück zum Stück: Es ist nicht als Disco-Diss ­gemeint. Auch die beschriebenen Situationen im Text des Stücks: Menschen fragen auf dem Klo nach Kokain, das könnte doch heut­zutage auch in jedem Szene-Café passieren. In der Nacht ist ein Klo wie das andere.

Die anstehende Tour erlebt gerade gigantische Vorverkäufe. In Berlin ist die O 2-Arena ausverkauft. Es gibt ja nicht viele deutschsprachige Bands, die das hinbekommen. Die Ärzte vielleicht und Grönemeyer. Wie fühlt es sich an, als Funpunk zur Speerspitze des deutschen Rockpopbetriebs zu gehören?

Es fühlt sich gar nicht an, weil man sich auch nicht so sieht. Die aufgezählten Künstler sehen sich ja auch nicht als eine Fraktion. Die Ärzte zum Beispiel sind durchaus geschätzte Kollegen, weil wir ja auch aus der gleichen Generation und einem ähnlichen Umfeld kommen. Man kennt teilweise auch dieselben Leute, und man geht also wohlwollend miteinander um. Wenn die Ärzte ein neues Album herausbringen, dann schicken sie uns das und umgekehrt. Ansonsten unterscheiden wir uns aber doch alle sehr voneinander. Ich sehe das auch nicht als selbstverständlich an, dass immer noch so viele Leute zu unseren Konzerten kommen und dort nicht nur »Hier kommt Alex« hören wollen, sondern sich auf neue Lieder freuen. So lange also unsere neuen Lieder noch eine Relevanz haben, so lange haben wir auch noch ein ungebrochenes Verhältnis zu unserer Vergangenheit und spielen dann gerne Lieder wie »Opel Gang«.

Sie haben sich in den vergangenen drei Jahren als Schauspieler ausprobiert. Am Theater haben Sie den Mackie Messer gespielt, zurzeit spielen Sie die Hauptrolle im neuen Wim-Wenders-Film »Palermo Shooting«. Hat das Schauspielen etwas im Hinblick auf Ihren Beruf als Sänger der Toten Hosen gebracht?

In jedem Fall eine große Erfahrung. Ich habe sehr viel zu lernen gehabt. Man entwickelt ja in so einem Miniuniversum wie Die Toten Hosen immer Tricks und Ausflüchte. Ich muss da ja nie etwas alleine verantworten, ich kann immer die anderen fragen. Es wird sich die ganze Zeit rückversichert, und man tritt als gefestigtes Team auf. Plötzlich stand ich ganz alleine da und war gezwungen, selbst Entscheidungen zu treffen. Sowohl im Theater bei der »Drei­groschenoper« als auch beim Film »Palermo Shooting«. Ich habe lange nicht mehr etwas mit so einer Intensität durchziehen müssen. Es war natürlich auch nicht immer leicht, das zu tun, aber im Grunde genau das Richtige; auch um meine Rolle bei den Toten Hosen nochmals zu überdenken und mich zu vergewissern, dass das auch wirklich die Sache meines Lebens ist. Einfach im Schauspielfach zu sehen: Was fehlt mir denn hier? Was ist die Sahne auf dem Kuchen der Toten Hosen? Das stellt sich heute für mich viel klarer dar.

Sie haben sich sozusagen als Campino, Sänger der Toten Hosen, wiedergefunden und streben keine Karriere als Schauspieler an?

Überhaupt nicht. Das war eine tolle Erfahrung, und als jemand aus der Abteilung Wort/Sprache habe ich auch eine Legitimation, so einen Versuch zu starten. Die haben sich einen Straßenköter ins Programm geholt, der sich mehr oder weniger mit einem gewissen Anfänger­charme retten kann, und ich habe gleichzeitig die Gewissheit erlangt, dass ich mich mit der Rolle als Campino in meinem Leben eben nicht fürchterlich vertan habe. Dass ich in der Band einfach besser aufgehoben bin.