Der neue Film von Ridley Scott

Jihad von gestern

Ridley Scotts neuer Film »Der Mann, der niemals lebte« mit einem bulligen Leonardo Di Caprio in der Hauptrolle will ganz auf der Höhe der Zeit sein, wirkt aber nicht mehr ganz taufrisch.

etzt wissen wir auch, für wen Google Earth wirklich entwickelt wurde: für die CIA. Mit großer Hingabe zoomt die sich in Ridley Scotts Film »Der Mann, der niemals lebte«, der ungefähr alle wichtigen Themen unserer Zeit von Terror bis Fresssucht (die Plautze von Russell Crowe!) behandelt, überall hin, wo es was zu gucken gibt. Ein Marktplatz im Irak, ein karges Stück Erde in Jordanien, die CIA ist auch schon da, vergrößert sich nach Bedarf alle nur erdenklichen Details und sitzt derweil gemütlich daheim im CIA-Office herum. Die Welt erscheint als Kulisse eines globalen Computerspiels, alles hat der Ami im Blick, bei Bedarf kann er überall eingrei­fen oder es eben bleiben lassen.
Trotzdem ist natürlich nicht alles Roger in dieser Weltsimulation. Trotz der unbegrenzten Möglichkeiten der CIA gibt es da diese doofen Terroristen, vorneweg al-Saleem, ein geheim­nis­voller Islamistenführer, der den Jihad vorantreibt und an den kaum ein Rankommen ist; Ähn­lichkeiten zwischen al-Saleem und Ussama bin Laden sind beabsichtigt. Aufgabe in diesem Computerspiel, das sich als Spielfilm tarnt, ist es nun, al-Saleem ausfindig zu machen, ihn zur Strecke zu bringen, die Welt zu retten und sich das Mädchen zu schnappen. Möglichst viel Action zwischendurch gibt Bonuspunkte.
Alles hängt mit allen zusammen, das ist zuvorderst die Message, die uns Ridley Scott näher bringen will. Gibt es in Amsterdam ein Attentat, hat das Auswirkungen auf den Kampf gegen den Terror im Nahen Osten. Hat der Agent vor Ort ein Problem, ruft er seinen Vorgesetzten in den USA an, der dann Maßnahmen ergreift. Atemlos reist man in diesem Film um die Welt, die bekanntlich ein Dorf ist, andauernd wechseln die Schauplätze, irgendwann ist man von den immer neuen Ortsangaben so erschöpft wie der von Leonardo Di Caprio gespielte CIA-Agent Roger Ferris.
Dass dieser Film mit leichter Hand erzählt werde, gerade das kann man wohl nicht be­haup­ten. Er will so unglaublich viel, nebenbei auch noch mehr Action bieten als der neue ­James Bond, und irgendwann, wenn man schon denkt, Frauen kämen in dem Film gleich gar nicht vor, muss auch noch eine Romanze zwischen Di Caprio und einer Iranerin untergebracht werden, die gar nicht glaubwürdig wirkt, weil sie offensichtlich nur dazu dient, die ganze Kampf-gegen-den-Terror-Kiste noch komplizierter erscheinen zu lassen. Ein Amerikaner und eine Iranerin, das kann ja gar nicht gut gehen.
In den USA ist der Film gefloppt, wie die meis­ten Post-Nine-Eleven-Filme, die wie etwa Robert Redfords »Von Löwen und Lämmern« mit einer faden Mischung aus Patriotismus, Anti-Bushismus und Erschauern vor dem Krieg daherkamen und dabei vergaßen, das Ganze wenigstens halb­wegs packend zu erzählen. Ambitioniertes Polit-Kino ist auch »Der Mann, der niemals lebte«. Ambitioniert, weil sich der Film bemüht, die Zu­sammenhänge zwischen Jihadismus und Anti-Terrorkampf einigermaßen klar zu machen.
Wie üblich im liberalen Hollywood-Kino wird dabei nicht in Schablonen gedacht, sondern die Komplexität der ganzen Materie wenigstens halbwegs mitbedacht. Der Geheimdienstchef Jordaniens gehört dann zwar zu denen da unten, ist aber trotzdem, zumindest bedingt, auf der Seite der Amerikaner.
Di Caprio muss zwar den Terror im Auftrag der USA bekämpfen, würde aber trotzdem lieber in unmittelbarer Nähe zu den Taliban leben als in Amerika, und den Krieg findet er ja eigent­lich auch sowieso nicht so gut. Dabei ist »Der Mann, der niemals lebte« aber auch echtes Schau­spie­lerkino. Vor allem dank Di Caprio, der dort anknüpft, wo er in Martin Scorseses »Departed« aufgehört hat. Aus dem ehemaligen Posterboy fürs Mädchenzimmer ist endgültig ein bulliger tough guy geworden, der ohne mit der Wimper zu zucken mehr einsteckt als Daniel Craig in »Ein Quantum Trost«.
Bemerkenswert ist auch Russell Crowe, der inzwischen anscheinend kein Problem mehr da­mit hat, gegen sein Image des echten Kerls besetzt zu werden. Überhaupt sieht man ihn nur selten, und wenn, dann als Familienpapa am Handy, der die Weltlage zurechtrücken muss, während seine Tochter gerade Fußball spielt. Dazu hat er sich einen Bürstenhaarschnitt verpassen lassen, der so daneben aussieht, als hät­ten die Frisuren-Witzemacher von den Coens Crowe extra für seine Rolle noch zum schlechtesten Friseur Amerikas geschickt. Crowe sieht damit so alt aus wie der ganze Film, in dem er mitspielt. Dabei wollte Ridley Scott ganz offensichtlich einen hypermodernen Film auf der Höhe der Zeit schaffen, was Thematik und Problemstellung betrifft. Doch seit Obama gilt »Change«, die bleierne Bush-Zeit ist vorüber, Guantánamo wird geschlossen, mit der Hamas soll gesprochen werden, wahrscheinlich erklärt Ussama bin Laden demnächst aus lauter Liebe zum neuen Amerika die Sache mit dem Jihad für beendet. Würde jedenfalls gut in das Obama-Märchen passen, das gerade Realität werden soll.
In diese Zeit des Umbruchs passt »Der Mann, der niemals lebte« also gar nicht und wirkt so gestrig wie Michael Moore, richtet der Film sich doch eindeutig gegen die alte Regierung und wirkt auch an Stellen, wo er ganz vorne sein will, bei der Darstellung einer total vernetzten Gesellschaft, selbst gegenüber einer ähnlich funktionierenden Serie wie »24« nicht mehr ganz frisch. Über die Tricks der Geheimdienste und ihre Möglichkeiten, ihre Intrigen und Inkompetenzen, so hat man das Gefühl, lernt man in der Serie jedenfalls mehr als in Ridley Scotts schwerfälligem Film, der seine Figuren auch noch an Stellen überzeichnet, wo es nun wirklich nicht nötig gewesen wäre. Dass der un­heim­­liche Islamisten-Chef unheimlich ist, hätte man auch kapiert, ohne dass dieser noch mit sadistischer Genugtuung ein paar Finger seines Opfers zerquetscht, und man hätte wenigstens einmal Crowe in einer anderen Funktion gesehen als der, eine wandelnde Standleitung in den Nahen Osten zu sein.

»Der Mann, der niemals lebte« (USA 2008). Regie: Ridley Scott. Start: 20. November