Serie über Serien: »Rappelkiste«

Proleten haben starke Arme

Serie über Serien. Volker van der Heyden über das revolutionäre Potenzial der »Rappelkiste«

Seitdem ich Kinder habe, weiß ich, dass das mit dem Kommunismus doch keine ganz schlechte Idee ist. Was würde ich darum geben, dass dieses ewige »Das ist aber meins!«-Geplärr endlich vorbei ist, weil es kein »mein« und kein »dein« mehr gibt. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Ideologen, die das Privateigentum als unverzichtbaren Teil einer natur- und / oder gottgegebenen Ordnung sehen wollen, gehe ich nämlich davon aus, dass die Warengesellschaft das Ergebnis einer historischen Entwicklung ist, die nicht nur nicht abgeschlossen, sondern auch beeinflussbar ist. Nur, wie verklickere ich das meinen Kindern?
Genau: Ich setze sie vor die Glotze und damit »unterschwellige(r) sozialistische(r), ja fast kommunistische(r) Indoktrination der Kinder durch Kindesmund« aus, wie es im Jahre 1975 in einem Leserbrief an die Fernsehzeitschrift Hörzu zu lesen gewesen ist. Das ist natürlich großer Quatsch, denn unterschwellig ist in der von 1973 bis 1984 ausgestrahlten Kindersendung »Rappelkiste« gar nichts, vielmehr wird hier ganz offen linke Agitation betrieben.
Die Zielgruppe sind die »bildungsfernen Schichten« (wie es heutzutage heißen würde) bzw. »unterprivilegierte« (wie es damals geheißen hat) Kinder im Vor- und Grundschulalter. So unterhalten sich die Protagonisten der Spielszenen auch in einem restringierten Code, der zeigt, dass es im Deutschen auch schon vor der Entstehung des berühmten Kiezdeutsch vereinfachte Grammatik, reduziertes Vokabular und deviante Aussprache gegeben hat. Dazu brauchen wir nun wirklich keine Migranten! Die in dieser Serie immerhin vorkommen, ebenso wie andere Minderheiten und Randgruppen, z.B. die alleinerziehenden Eltern der Puppenkinder Ratz und Rübe.
So wird in der »Rappelkiste« also immer wieder zur Absetzung von Königen aufgerufen und zur Revolution geblasen. Unternehmer und Vermieter sind die Ausbeuter, lautet die Botschaft, Arbeiter und Mieter sind die Ausgebeuteten. Und Chefs sind schwächlich (auch körperlich!), Proletarier haben dagegen einen starken Arm, der die Räder daher auch mal zum Stillstand bringen kann. Solidarität ist nämlich alles! Dann klappt’s auch mit den Nachbarn und mit dem Mietprotest. Man muss nur ein Flugblatt drucken, eine Versammlung einberufen, und dann geht’s auch schon los. Wohin so was führt, ist ja bekannt – Frau Helga Gollnick aus Brunsbeck-Kronshorst in einem Brief an den ZDF-Intendanten Professor Holzamer: »Sie malen schwarz in schwarz, um Hass und Aufruhr zu erzeugen. Haben wir nicht gerade in den letzten Tagen erfahren (Lorenz-Entführung), wohin Hass führen kann?«
Auffällig ist auch der antiautoritäre Impetus der Serie. Die Kinder widersprechen, tricksen die Erwachsenen aus, bilden Banden, um sich zu wehren, und lassen biedere Geburtstagsfeiern in Anarchie und Chaos enden. Apropos Chaos: Absolut durchgedreht sind auch die Figuren Oswald und Nickel, die jeweils zu Beginn einer jeden Folge auftauchen, um mit ihrer grotesken, absurden Komik jedes Vorschulkind in nachhaltige Verwirrung zu stürzen. Dazu kommen noch die Bauklötze und Knetfiguren, die ebenfalls eine gewisse Bereitschaft zum … nennen wir es einfach: abstrakten Denken voraussetzen.
Aus der zeitlichen Distanz und Erwachsenenperspektive betrachtet, erscheint mir sowohl der pädagogische Zeigefinger als auch die erhobene Proletarierfaust manchmal ein wenig überdimensioniert zu sein, aber als Kontrastprogramm zu dem üblichen infantilen Verblödungs- bzw. Hochleistungsprogramm des heutigen Kinderfernsehens hat es schon wieder etwas Grundsympathisches. Leider hat sich der Zeitgeist auch in diese Sendung gedrängelt, und im Laufe der Jahre nimmt sie immer mehr die tristen Formen der (in einer Übergangsphase parallel laufenden) Nachfolgesendung »Neues aus Uhlenbusch« an – eine Serie, die so deprimierend ist wie ein verregneter Sonntagnachmittag, den man mit einem gebrochenen Bein im Bett verbringen muss.
Die »Rappelkiste«, die von 1973 bis 1984 im Fernsehen gelaufen ist, gibt’s auch auf DVD. Vielleicht sogar auch in der Kinderabteilung Ihrer Bücherei.