50 Jahre Motown

Die Wiege Obamas

Motown wird 50. Eine Liebeserklärung.

Was haben Barbara Streisand, Rod Stewart, die Rolling Stones, Bruce Springsteen, The Jam, Van Halen, die Beatles, Blondie, Frankie Goes To Hollywood, Soft Cell, Phil Collins, Deep Purple und Frank Sinatra gemeinsam? Sie haben allesamt Hits aus dem schier unendlichen Fundus an Motown-Songs gecovert. Bis heute lebt diese erstaunliche Musik fort, die in den Sechzigern und Siebzigern von Detroit aus um die Welt zog. Bis heute gilt: Keine Studentenparty ohne ein paar Motown-Hits, und wer sich einen perfekten Sonntagsbrunch in der ersten Frühlingssonne wünscht, der sein soll wie aus der Margarine-Werbung, der holt sich durch das Auflegen einer Supremes-Platte eine Gutgelauntheit auf den Balkon, die so penetrant ist, dass man den Sekt lieber im Kühlschrank stehen lassen sollte.
Heute gibt es Motown zwar immer noch, aber nur noch als Marktstrategie von Universal, der größten Plattenfirma der Welt. Sie kaufte 1988 den ganzen Laden auf und veröffentlicht nun unter dem Namen »Motown« Acts wie Erykah Badu oder Q-Tip, also R&B- oder Hip-Hop-Stars, die Soul genug haben, um einem das Gefühl zu geben, hier werde eine Motown-Tradition mit neuen Mitteln fortgesetzt. Motown lebt aber auch transzendenter fort, im Detroit-Techno, weswegen beispielsweise die Detroiter Techno-Produzentin K. Hand für eine ihrer Platten auch den schlichten Titel »Soul« wählte. Und die letzten Mods aus Hamburg, die Band Superpunk, gäbe es ohne Motown gar nicht, denn bis heute gilt: Ein echter Mod ist nur, wer sich auf Motown-Parties, den so genannten Northern-Soul-Allnightern, den Arsch abgetanzt hat.
Aber natürlich verbindet man mit Motown vor allem die goldenen Sechziger, vor allem die frühen und mittleren. Als Motown noch gar nicht für Soul stand, sondern, na ja, eben für den Motown-Sound. Smokey Robinson, Stevie Wonder, Marvin Gaye oder die Temptations schufen später großartigste Souldiamanten, und einer, Michael Jackson, sollte sogar erst in den Achtzigern, allerdings ohne Motown, zu einem Giganten werden, aber das eigentliche Motown-Wunder vollzog sich in all den Jahren vor dem Zeitpunkt, an dem für viele dank Woodstock, Vietnam-Krieg, Black Power und Studentenunruhen das richtige Sixties-Feeling erst einsetzte. Das Wunder sah so aus: Mehr oder weniger aus dem Nichts schuf der wohl größ­te Pop-Tycoon, der je die Füße auf den Boden bekam, Berry Gordy, einen Apparat, der permanent neue Stars und Hits ohne Ende ausspuckte. Den Apparat bedienten bald andere für ihn in der straff und streng hierarchisch organisierten Firma, doch die Endabnahme besorgte er immer selbst. Einen »Sound of young America« nannte er sein Schaffen, und gemeint war damit Musik von hauptsächlich schwarzen Musikern, die so wenig schwarz klang, dass die Weißen gar nicht merkten, dass sie da Musik von »Negern« hörten. Blues, Funk, Schweiß, das alles fand bei Motown, zumindest bis Ende der Sechziger, nicht statt. Vielmehr tanzten da smarte Jungs in schicken Anzügen und mit rasierten Haaren, die alle ein wenig aussahen wie der junge Obama, und in Abendkleidern dauergrinsten Mädchen um die Wette, die verpoppte Weiterentwicklungen von Gospel und Doo-Wop trällerten, hundertprozentig radio­tauglich, gerne mit Streicherarrangements, die sich dem Himmel entgegenstreckten, und so schmissig, dass dazu auch der größte Redneck heimlich mit den Fingern schnippte. Amerika steckte damals voll in der Beatle-Mania, Musik aus England beherrschte die Billboard-Charts, doch plötzlich war alles anders: Motown produzierte einen Nummer-Eins-Hit nach dem anderen, und auch die Beatles waren Motown-Fans.
Am Fließband gefertigte Hits, wirklich eine Kulturindustrie, all das, wovor Adorno uns immer gewarnt hat, wurde bei Motown perfek­tio­niert. Und doch entstanden genau so, in der totalen Affirmation kapitalistischer Produktionsweisen, die unglaublichsten Songs und Hits, die einen heute immer noch sprachlos machen. Auch im Reggae kennt man das, dass die immer gleichen Musiker und Produzenten Stars und Hits raushauen, als würden sie Brötchen in Massenfertigung backen, von denen wundersamerweise eines aber noch besser schmeckt als das andere. Nur ließen sich mit Reggae nie so viele Millionen verdienen wie mit dem Motown-Sound; 192 Nummer-Eins-Hits zählt die eben zum 50jährigen Jubiläum ­erschienene Box mit Motown-Hits, und das ist wirklich eine Menge.
Heute ist es keine besonders originelle Idee mehr, Musik von Afroamerikanern zu produzieren, die vor allem jede Menge Kohle abwerfen soll. HipHop-Impresarios von 50 Cent bis zum leicht in Vergessenheit geratenen P. Diddy arbeiten so, gut ist hier, was Erfolg hat. Als Gordy nach Detroit zog und es ausdrücklich mit der Musik ähnlich machen wollte wie Henry Ford mit seinen am Fließband gefertigten Autos, war das jedoch eine revolutionäre Idee. Gordy war nie einer, der der Bürgerrechtsbewegung besonders nahe stand, »Black is beautiful« und all das zählte nur, solange das auch Geld brachte, und doch ebnete Gordy den Weg für ein neues schwarzes Selbstbewusstsein. Er wurde als Schwarzer zum Mister Big in einer noch von Weißen beherrschten Industrie, und allein das, allein dieser sensationelle Erfolg, war einfach revolutionär.
Viel brauchte Gordy dazu gar nicht: sein untrügliches Gespür für Hits, die besten Leute um sich herum, ein Studio, das Tag und Nacht in Betrieb war, und ein paar Jazzmusiker, die nie so klangen wie Thelonious Monk, aber tight spielen konnten wie die Funk Brothers, die fortan fast jedem Motown-Star das musikalische Grundgerüst zusammenwerkelten. In seinem vor kurzem erschienenen Roman »Kill Your ­Friends« beschreibt der ehemalige Talentscout John Niven, wie die Musikindustrie von heute absolut keinen Plan mehr hat, was die Leute da draußen wirklich hören wollen. In den Sechzigern konnte man mit der perfekten Hitformel dagegen noch etwas ausrichten. Berry Gordy und Motown haben das bewiesen.