Harald Lesch im Gespräch über die Evolution im Universum, Gottespartikel und Neutralinos

»Der Außerirdische ist auch nur ein Mensch«

Harald Lesch ist nicht nur Professor für theo­retische Astrophysik, sondern un­terrichtet auch Naturphilosophie und ­moderiert die ZDF-Sendung »Abenteuer Forschung«. Viele kennen ihn auch als langjährigen Moderator der BR-Sendung »alpha-Centauri«, wo er schwierige phy­sikalische und philosophische Fragen auf kurzweilige Art erklärte. Er gilt deswegen auch als »Jürgen Klopp der Astrophysik«.

Was sind die drängenden Fragen der Astro­nomie?

Ob wir alleine im Universum sind, ob andere Planeten existieren, auf denen es andere Lebewesen gibt. Wir finden zwar immer mehr Planetensysteme, aber wir haben noch keines gefunden, dessen Aufbau unserem Sonnensystem gleicht.

Der Astrophysiker Duncan Forgan hat aber kürzlich mit einer Computersimulation errechnet, dass die Evolution intelligenter Wesen zurzeit wahrscheinlich 37 964, mindestens aber 361 außerirdische Zivilisationen hervorgebracht haben muss.

Da hat er sich vertan, es sind mindestens 362. Ach Quatsch, wie will man so was denn ausrechnen?

Was spricht dagegen, dass im Universum die Evolution genauso verläuft wie auf dem Pla­neten Erde?

Wir gehen alle davon aus, dass die Evolution ein Grundprinzip im Universum ist. Das, was sich durchsetzt, was sich den Umweltbedingungen anpasst, das wird sich am ehesten vermehren. Das wird auf anderen Planeten auch nicht anders sein. Wir sind nicht die Besten, aber auch nicht die Schlechtesten, eben Otto Normalverbraucher. Das, was auf der Erde passiert, ist kosmischer Durchschnitt. Auch auf anderen Planeten spielt Sex eine überragende Rolle, denn die geschlechtliche Fortpflanzung hat den riesengroßen Vorteil, neue Möglichkeiten bereitzustellen. Mit der Zeugung eines neuen Menschen wird im wahrsten Sinne des Wortes ein neuer Mensch kreiert. Aber ob da im Universum komplexe Lebewesen beispielsweise gerade ein Interview führen …

… oder die Sendung »Abenteuer Forschung« moderieren …

… das wage ich doch sehr zu bezweifeln. Das gibt es nur einmal, das kommt nie wieder. Aber trotzdem: Wir kennen alle atomaren Konstituenten des Universums, also den gesamten Stoff, aus dem das Leben ist. Es gibt keine anderen Elemente als die, die im Periodensystem aufgeführt sind, und das wichtigste ist der Kohlenstoff. Wir bestehen zu 92 Prozent aus Kohlenstoffverbindungen, die man auch im interstellaren Medium, im Raum zwischen den Sternen findet. Das heißt, wir bestehen aus Sternenstaub. Und in diesem Sinne ist auch der Außerirdische ein Mensch, da er offenbar aus der gleichen kosmischen Geschichte kommt wie wir.

Ist es Zufall, dass das Internationale Jahr der Astronomie mit dem Darwin-Jahr zusammenfällt?

Zufall, aber ein wunderschöner. Darwins Idee der Evolution lässt sich auf das gesamte Universum übertragen. Wie immer das Universum auch begonnen hat, es ist aus einem großen Selbstorganisationsprozess entstanden und hat aus sich selbst heraus immer wieder etwas Neues geschaffen. Und vor dieser großen kosmischen Kulisse spielt sich die Geschichte der Natur ab, zu der wir eben auch gehören.

Im Mittelalter hat man Galileo Galilei nicht geglaubt, aber seine Beobachtungen revolutionierten das Weltbild. Warum sollten wir heute glauben, dass sich das physikalische Weltbild in absehbarer Zeit nicht erneut komplett ändern wird?

Das weiß man natürlich nicht. Über große Teile des Universums, über die so genannte dunkle Materie und, noch viel schlimmer, über die dunkle Energie wissen wir gar nichts. Diese beiden dunklen Formen sind nur spürbar und nicht sichtbar, machen aber immerhin 95 Prozent des Universums aus. Wir haben also gerade mal die Fünf-Prozent-Hürde geknackt. Da stehen uns also möglicherweise noch Revolutionen ins Haus.

Wenn man so wenig weiß, inwiefern ist dann Fiktion die Grundlage physikalischer Forschung?

Mit Fiktion hat das nichts zu tun. Die Entdeckung der beiden Formen von Energie, in Form von Materie und in Form von einem Energiefeld, basiert auf ganz klaren theoretischen Vorgaben. Man hat eine theoretische Vorstellung, macht eine Beobachtung und stellt dann fest, dass diese theoretischen Vorstellungen durch das, was man ­beobachtet, nicht erfüllt werden. Aber wir haben von der Bewegung der leuchtenden Materie bereits so viel verstanden, dass diese Anfangsvorstellungen durchaus berechtigt sind. Uns geht es ein bisschen so wie dem Betrunkenen, der unter der Laterne seinen Schlüssel sucht. Der Polizist kommt dazu und fragt, ob er den Schlüssel hier verloren habe. Und der Betrunkene antwortet: »Nein, aber hier habe ich wenigstens Licht.«

Also nicht Fiktion, aber Stochern im Nebel?

Wenn wir nichts sehen, dann haben wir keine Chance. Wir wissen aber, dass sich die leuchtende Materie unter der Wirkung der beiden oben genannten Energieformen bewegt. Nur können wir nicht genau sagen, was deren Natur ist. Für die dunkle Materie wird uns der LHC, der riesige Teilchenbeschleuniger in der Schweiz, vielleicht Erkenntnisse liefern, über eine Teilchensorte, die weder Proton, Neutron noch Elektron ist, sondern irgendwas ganz anderes. Stichwort Neutralino, das leichteste supersymmetrische Teilchen.

Handelt es sich dabei um den so genannten Gottespartikel?

Das könnte so einer von den Dingern sein, ja. Aber mit Gott hat das Teilchen, so weit ich weiß, nichts zu tun.

Sondern?

Wenn es das Neutralino gibt, dann wissen wir, dass der ganze Ansatz, wie wir bisher nach den Grundstrukturen der Materie gesucht haben, richtig ist. Kernspintomographen oder CD-Player, das sind alles Geräte, die es nur gibt, weil Wissenschaftler vor 80 Jahren angefangen haben, rein akademische Probleme zu lösen. Sie wollten die Frage klären, woraus eigentlich Materie besteht, warum sie stabil ist. Daraus entwickelte sich die so genannte Quantenmechanik. Die gesamte digitale Elektronik, wozu jeder Computer, CD-Player oder Laser gehört, ist Quantenmechanik. Das haben die Forscher damals bei ihrer Grundlagenforschung nicht vorhersehen können. In diesem Sinne ist Grundlagenforschung immer ein bisschen Stochern im Nebel, und wenn man was findet, dann kann man gucken, ob man etwas damit anfangen kann.

Was wir mit den Neutralinos anfangen können, wissen Sie also nicht?

Sicherlich keine technischen Geräte bauen. Aber wir können beispielsweise herausfinden, wie wir mit weniger Energie auskommen können. Das sind irdische Probleme, deren Lösung aber gewissermaßen aus der Astronomie, aus dem kosmischen Spiegel abgelesen werden können.

Würde der Neutralino auch den Argumenten der Kreationisten endgültig den Wind aus den Segeln nehmen?

Was die Kreationisten dazu zu sagen haben, ist mir völlig egal. Weder dem Glauben noch dem Kreationismus dient es, den wissenschaftlichen Fakten mit einer reinen Glaubensvorstellung entgegenzutreten.

Wie vereinbaren Sie als bekennender Protestant den Glauben an den Schöpfergott mit der Theorie vom Urknall?

In meinem täglichen Tun als Naturwissenschaftler ist Gott zunächst mal kein Thema. Es gibt ja keine Gleichung, die wir benutzen, in der ein Gottes-, Hoffnungs- oder Angstterm vorkommt. Trotzdem haben alle Menschen Angst, Hoffnung und Visionen. Meine Glaubensvorstellung ist stark kantianisch geprägt, also von einer Vision, Ordentliches zu tun, für den Fall, dass es einen Gott gibt und ich mich rechtfertigen kann, für das, was ich tue. Was ich am Protestantismus sehr schätze, ist der Zweifel. Zweifel gehört zum Glauben, denn man kann sich nie wirklich sicher sein.

Wie würden Sie sich denn rechtfertigen können, wenn Gott in der Tür steht und die Urknalltheorie revidiert?

Ich bin guter Dinge. Im Neuen Testament gibt es keinen schöneren Satz als ›Fürchtet euch nicht‹. Das grundsätzliche Gottvertrauen und eine Grund­fröhlichkeit, das täte uns Deutschen sowieso ganz gut. Denn warum haben wir denn so große Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass Außerirdische existieren? Weil bei uns keine landen. Und warum landen bei uns keine? Weil wir als der Teil des Universums bekannt sind, wo die Kreatur mit der allerschlechtesten Laune lebt.

Wenn aber doch ein Außerirdischer landen würde, was würden Sie ihn zuerst fragen?

Welche Musik hörst du?

Welche Musik hören Sie?

Im Moment die Traveling Wilburys. Das würde ich ihm vorspielen. Ich würde einen Außerirdischen nicht nach den Naturgesetzen fragen, das sind die gleichen wie bei uns, davon gehe ich als Astrophysiker aus. Aber ich würde ihn fragen, welche Musik er macht, welche Märchen er seinen Kindern erzählt, welche Bilder er malt und an welche Götter er glaubt.

Und das alles beim Bier?

Da wäre ich vorsichtig. Denn diese Leute könnten möglicherweise sehr schlechte Laune haben. Die fliegen ja oft in so rotierenden Scheiben, deswegen sind sie auch grün, weil denen bestimmt ganz schön übel ist. Dazu kommt, dass sie mit Lichtgeschwindigkeit die große Distanz zwischen den Sternen zurückgelegt haben. Das bedeutet, bei denen zu Hause sind schon ein paar tausend Jahre vergangen. Das wiederum heißt, sie können niemanden zu Hause von den tollen Abenteuern berichten, die sie auf der Erde erleben, und haben nur noch die Typen, mit denen sie die ganze Zeit durchs Universum geflogen sind. Das sind also große Aggressionsquellen, die durch Biertrinken verstärkt werden könnten.

Jetzt mal ganz irdisch: Welchen Beitrag leistet die Astrophysik für eine bessere Gesellschaft?

Ich habe lange in Bonn am Institut für Radio­astronomie gearbeitet, das in der Eifel eines der größten Radioteleskope der Welt betreibt. Eines Tages fragte mich beim Tanken der Tankwart, was ich eigentlich hier mache. Da habe ich ihm lange erklärt, was es mit den schwarzen Löchern auf sich hat. Der Tankwart guckte mich dann völlig ungerührt an und sagte: »Ja, dann seid ihr ja wenigstens weg von der Straße.«
Das Tolle ist, dass man sich mit etwas beschäftigt, das ganz weit weg von dem Vorstellbaren liegt, und man sich vom ganz Kleinen zum ganz Großen bewegt. Wenn es uns gelingt, den Urknall mit der Elementarteilchenphysik, die Entstehung von Leben, wie wir es kennen, mit der Entstehung von Leben auf anderen Planten zu erklären, dann ist das ein wichtiger Teil unseres Naturbildes. Außerdem ist Astronomie die tollste aller Naturwissenschaften, weil sie unglaublich interessant und gleichzeitig harmlos ist.