Ein filmisches Porträt des Journalisten Karl Pfeifer

Nach dem Überleben

»Zwischen allen Stühlen« heißt das filmische Porträt des antifaschistischen jüdischen Journalisten Karl Pfeifer.

Was schon mal sehr an diesem Mann beeindruckt, ist, dass er mindestens sechs Sprachen spricht. Fließend. Deutsch, Englisch, Ungarisch, Hebräisch, Französisch, Italienisch. Nicht jede davon hat er unter selbstgewählten Umständen erlernt: 1938, da war er zehn Jahre alt, musste Karl Pfeifer mit seinen Eltern aus Baden bei Wien nach Ungarn fliehen. 1943 gelangte er unter falschem Namen mit einem Kindertransport nach Palästina, arbeitete in einem Kibbuz und schloss sich 1946 dem bewaffneten Kampf für die Entstehung des Staates Israels an, der von der Sowjet­union damals noch mit Wohlwollen betrachtet wurde. Für die Sowjetunion wiederum verspürte auch Pfeifer zu diesem Zeitpunkt noch große Sympathien; wie so viele andere in dieser Zeit war er Sozialist.
Im jungen Staat Israel aber gab es fast keine Arbeit. Arbeitslosigkeit und Hunger trieben Karl Pfeifer nach Wien zurück, eine Entscheidung, die er zeitlebens bedauert hat, die ihm aber auch das Material geliefert hat, die Basis, auf der er später seine journalistische Arbeit aufbauen konnte.
Der Film »Zwischen allen Stühlen«, den ein Kollektiv von fünf Autoren über den noch heute aktiven und überaus engagierten Journalisten Karl Pfeifer gedreht hat, setzt zu diesem Zeitpunkt ein: Pfeifer erzählt von der Rückkehr nach Österreich, wo man als Jude eigentlich nicht in Würde leben könne, wie er sagt, denn zu manifest ist der Antisemitismus in diesem Land, das den »Anschluss« an das Deutsche Reich begeistert gefeiert und an der Ermordung der europäischen jüdischen Bevölkerung mitgewirkt hat, um sich nach Kriegsende als Opfer zu gerieren. Die Staatspolizei erklärte ihm damals, er könne kein Heimkehrer sein. »Heimkehrer seien in Österreich nur die, die in der Wehrmacht oder in der Waffen-SS gedient haben«, erzählt Pfeifer. Und als er eine junge Frau kennen lernte und die beiden Heiratspläne schmiedeten, ließ der Vater der Frau ihren Geisteszustand überprüfen, weil sie einen Juden heiraten wollte.
Immer wieder trieb es Pfeifer deshalb aus Österreich fort. Beruflich hatte er sich zunächst fürs Hotelfach entschieden, er lebte in der Schweiz, in Neuseeland, in Israel, Italien, in den USA und in London, wo ihn die Weltoffenheit faszinierte, das Los der Arbeitslosigkeit aber wieder ereilte. 1979 kam er während eines Besuchs in Kontakt mit der intellektuellen Opposition in Ungarn und begann darüber zu schreiben: über die Lage der Bevölkerung, die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern, über ungarische Intellektuelle … aus dem Hotelfachmann wurde ein engagierter Journalist, der sich mit den Zuständen in Ungarn, aber auch in Österreich befasste. Er erhielt eine Festanstellung bei der Gemeinde, dem offiziellen Organ der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, arbeitete für den israelischen Rundfunk und publiziert bis heute in zahlreichen Zeitschriften, auch in der Jungle World.
Der Name Karl Pfeifer ist mit dem Skandal Österreich unauflöslich verbunden: Während sich in der BRD zumindest Teile der Gesellschaft Aufklärung zu verschaffen suchten, wurden Kritiker der österreichischen Volksgemeinschaft immer wieder an den Pranger gestellt. Karl Pfeifer wurde 1995 von dem Politologen Werner Pfeifenberger verklagt, weil er Pfeifenberger ausführlich zitiert und somit dessen neo-nationalsozialistisches Gedankengut publik gemacht hatte.
Doch das Gericht folgte dem Expertengutachten, das Pfeifenberger die ihm von Pfeifer vorgeworfene nationalsozialistische und antisemitische Argumentation nachgewiesen hatte; die Fachhochschule Münster, an der Pfeifenberger lehrte, entzog ihm daraufhin die Lehrbefugnis. Als Werner Pfeifenberger Selbstmord verübte, musste sich Pfeifer von der österreichischen Rechtspresse als »Mörder« und »Menschenjäger« bezeichnen lassen. Einem ersten Versuch Pfeifers, sich gegen diese Diffamierung zu wehren, wurde zwar stattgegeben, die Richterin im Revisionsprozess war jedoch der Meinung, dass die Bezeichnung »Mörder« und »Menschenhetzer« eine »zulässige Wertung« sei, und stellte sich damit eindeutig auf die Seite der österreichischen Rechten.
So erzählt Pfeifer im Film von den jahrelangen Querelen um Pfeifenberger, der Deutschland und Österreich als Opfer einer jüdischen Verschwörung dargestellt hatte. Sichtlich bewegt berichtet er, wie man seiner Frau nach dem Suizid Pfeifenbergers irrtümlich von seinem Tod, dem Tod Karl Pfeifers, berichtet hatte. Er erzählt von seiner Kindheit und Jugend, vom Hass, den er gegen die christlichen Mitschüler empfand, die selten eine Gelegenheit ausließen, um ihn zu quälen, bis er überhaupt nicht mehr zur Schule musste. Er erzählt vom einsamen Tod des Vaters, der zwei Tage nach der Befreiung in einem Versteck in Budapest an Entkräftung starb und in einem Massengrab verscharrt wurde. Und immer wieder von seinem Kampf gegen den nach wie vor nicht nur virulent auftretenden Antisemitismus in Österreich.
Der Film ist ein Interviewfilm: Pfeifer spricht, dazu werden Fotos aus seinem Leben gezeigt. Die Kamera begleitet ihn an einen Strand bei Haifa oder dabei, wie er Stätten seines Wirkens besucht. Am Ende des Films sieht man Pfeifer an seinem Arbeitsplatz vor Regalen mit prall gefüllten Ordnern, die erschreckend dick sind, es sind viele: Antisemitismus, Faschismus, Islamismus.
Schockierend stark ist der Faschismus in den vergangenen Jahren in Ungarn geworden und hat die gesellschaftliche Mitte erreicht: 2007 gründete sich eine rechtsextreme paramilitärische Garde, die offen auftritt und mittlerweile den ungarischen Nationalfeiertag instrumentalisiert. Ihre Anhänger marschieren ungehindert durch Dörfer und Siedlungen, in denen Roma leben, um diese in Angst und Schrecken zu versetzen, und skandieren Hassparolen. Und immer wieder kommt es zu verbalen und tätlichen Übergriffen auf Juden.
Dem über 80jährigen, das ist zu befürchten, wird der Stoff nicht ausgehen.

»Zwischen allen Stühlen. Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer«. Ein Film von Daniel Binder, Mary Kreutzer, Ingo Lauggas, Maria Pohn-Weidinger, Thomas Schmidinger. DVD, 87 Minuten, 15 Euro. Zu beziehen über: http://www.antisemitismusforschung.net/film/