Thrill me again!

1. Stell’ dir vor, U2 sind im Sommer auf Tour und keiner geht hin!
2. Michael Jackson wird live nur seine besten, alten Songs spielen. Er verzichtet also dankenswerterweise darauf, sich wie andere Musikerinnen und Musiker fortgeschrittenen Alters von einem derzeit erfolgreichen Produzenten halbgare, neue Stücke zurechtschustern zu lassen, die von all den nervigen Klingeltönen da draußen nur schwer zu unterscheiden sind.
3. Anders als Madonna schafft es Michael Jackson zwischen den unzähligen Klamottenwechseln während seiner Live-Auftritte auch wirklich noch, Musik zu machen.
4. Lange Zeit galt es für die öffentliche Meinung als ausgemachte Sache: Michael Jackson ist pädophil. Sollte sich der Nachwuchs derjenigen, die diesen gerichtlich widerlegten Unfug bereitwillig über Jahre verbreitet haben, nun Karten für eines der etwa 40 Konzerte kaufen, käme das zumindest einer nachträglichen Entschädigungszahlung wegen Rufmords nahe.
5. Nur Michael Jackson kann sich zwischen die Beine fassen, den Kopf ganz schnell nach links und rechts drehen und mit der Kopfstim­me die Laute »Hi, hi!« und »Ahu!« ausstoßen, ohne peinlich zu wirken.
6. Machen wir uns nichts vor: Pop war in den vergangenen Jahren eine ziemlich dröge Veranstaltung. Einfallslose Jungs schrammelten belanglose Songs um die Wette, unzählige, aus­tauschbare R’n’B-Grüppchen boten ihre Choreografien des Grauens dar – vorhersehbar, durchschaubar, öde. Es ist also längst wieder Zeit für das Exzentrische, Abseitige und Bizarre. Nur Michael Jackson kann es uns bringen, denn er ist bad und dangerous. Nur er weiß, wie man blood on the dancefloor verspritzt. Nur Michael Jackson kann Pop wieder zum Thriller machen.
7. Der Typus des Künstlers, der »zum Anfassen« und »am Boden geblieben« ist, langweilt grundsätzlich. Warum muss ein Musiker ein »Mensch von nebenan« sein, wenn man die eigenen Nachbarn schon nicht allzu häufig tref­fen möchte? Michael Jackson ist zum Glück von einem ganz anderen Schlag: unnahbar und over the top.
8. Jahrelang war der Zombie, diese Symbolgestalt für das entfremdete, blinde, untote Dasein der Marktsubjekte, in B-Movies und deshalb nur in schmuddeligen Kinos und auf schäbigen VHS-Kassetten in meist bis zur Unkenntlichkeit überspielten Filmen zu sehen. Erst Michael Jackson brachte den Zombie in Millionen Wohn- und Kinderzimmer – pünktlich zu Weihnachten im Jahr 1983: Im Video zum Song »Thriller« tanzt er selbst als Untoter über einen Friedhof.
9. Im Gegensatz zu Bono oder den Rolling Stones hat Michael Jackson den Zombie nur gespielt. Von Grönemeyer und Dieter Bohlen ganz zu schweigen.
10. Jahrelang war der Werwolf, diese Symbolgestalt für das vergeblich unterdrückte Triebhafte, in B-Movies und deshalb nur in schmuddeligen Kinos und auf schäbigen VHS-Kassetten …(siehe Punkt 8).
11. »Gangs, clubs and nations causing grief in hu­man relations«, heißt es in dem Song »Black or White«. Michael Jackson leitete aus der Zeile Konsequenzen ab und zog in das einzige Land, für das die Aussage nicht gilt: Neverland.
12. Michael Jackson singt nicht nur: »It don’t matter if you’re black or white.« Mit der Hilfe von Chirurgen machte er wie kein anderer Ernst mit dieser Aussage. Das haben ihm »die Schwarzen« nicht verziehen, die wie der Pop-Journalist Greg Tate von der »Abartigkeit, mit der sich Jackson an seiner afrikanischen Physiognomie vergeht«, sprachen. Und auch »die Weißen« verfolgten Jacksons Verwandlungen stets mit Häme und Geringschätzung. Schön, dass sich nun alle wieder aufregen können.
13. Mit dem Kauf und Verkauf der Rechte an den Songs der Beatles hat Michael Jackson dem Liedgut der wohl am fahrlässigsten überschätz­ten Band der Musikgeschichte den Status zugewiesen, den es verdient: Plunder, den man kauft und verkauft, wie es eben gerade erforderlich ist.
14. Bubbles hat Hunger.
15. Michael Jackson ist der einzige Musiker auf der Welt, dessen herausragende Größe einen ansonsten unzulässigen Zirkelschluss statthaft macht: Sein Comeback ist eine großartige Sache, weil es nun mal eine ganz und gar großartige Sache ist.