Thailand und die Krise

Rot sind nur die Hemden

Die thailändische Regierung fürchtet, die Krise werde zu Unruhen führen. Die Oppo­sition protestiert, propagiert jedoch keine politische Alternative.

Als diesjähriger Vorsitzender des Verbands süd­ostasiatischer Nationen (Asean) durfte der thailändische Premierminister Abhisit Vejjajiva am G 20-Gipfel in London teilnehmen. Doch wer von ihm und den anderen Vertretern des Südens eine progressive Rolle erwartete, dürfte enttäuscht worden sein. Abhisits Botschaft erschöpfte sich in der Forderung nach mehr Krediten vom Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Entwicklungsländer und in dem frommen Wunsch, mit neuen Vereinbarungen der Welthandelsorganisation über den Freihandel könnte die Wirtschaftskrise überwunden werden. Während er in London vor einem neuen Protektionismus der Industrieländer warnte, rief er die Thailänder auf, »thailändische Produkte zu kaufen, thailändische Gerichte zu essen, und in Thailand zu reisen«.
Dass Abhisit den Freihandel als magische Lösung propagiert, ist nicht überraschend. Der smarte, in Eton und Oxford ausgebildete Mann ge­hört einer Familie an, die traditionell gute Verbindungen zum Königshaus pflegte. Er verdankte seine Macht dem royalistischen Putsch gegen den populistischen Premierminister Thaksin Shi­nawatra im Jahr 2006 und der Absetzung Somchai Wongsawats, des Schwagers Thaksins, durch das Verfassungsgericht Ende vorigen Jahres. Abhisit wurde zum Premierminister der neuen Regierung gewählt.
Seine Demokratische Partei regierte während der Asien-Krise 1997 und befolgte die Vorgaben des IWF, die nicht nur Ausgabenkürzungen diktierten, sondern die Lösung der Krise in der Selbst­reinigung des Marktes suchten. Der Bankrott verschuldeter Firmen und ihre Übernahme durch westliche Banken wurden damals in Kauf genommen. Abhisits Ruf »Kauft thailändisch« soll einer sozialen Polarisierung mit patriotischen Appellen entgegenwirken.

Abhisit steht vor einer doppelten Krise, in der die Rezession die andauernde politische Instabilität verstärkt. Im letzten Quartal 2008 brachen die Exporteinnahmen um zwölf Prozent, die indus­trielle Produktion um zehn und der Dienstleistungssektor gar um 18 Prozent ein. Es wird für die­ses Quartal von einem Rückgang der industriellen Produktion um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesprochen. Nach Angaben der Regierung haben 100 000 Menschen im Februar ihre Arbeit verloren, allein in der Tourismusbranche werden 50 000 Entlassungen in den nächsten Monaten erwartet. Für ein Land ohne soziales Sicherungssystem bedeutet dies ein Anwachsen von absoluter Armut in kürzester Zeit.
Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme geben den Protesten der »Rothemden«, die seit En­de März das Government House belagern, neuen Auftrieb. Sie werden von Thaksin unterstützt, der aus dem Exil per Videoübertragungen zu seinen Anhängern spricht. Die Unfähigkeit der Demokra­tischen Partei, die Krisenfolgen zu bewältigen, wird als nachträgliche Bestätigung von Thaksins populistischer Politik betrachtet, die eine kapitalistische Modernisierung mit flankierenden sozialen Programmen kombinierte.
Thaksin profitierte von einer nationalistischen Auflehnung gegen den IWF, als er im Jahr 2001 an die Macht kam. Damals rebellierten thailändische Unternehmer gegen die IWF-Auflagen und weigerten sich, Kredit zurückzuzahlen. Thaksin versprach, die Unabhängigkeit Thailands vom »IWF-Kolonialismus« wiederherzustellen und wur­de gewählt. So beeinflussen die politischen Langzeitwirkungen der letzten Krise die Reaktionen auf die derzeitige Rezession.
In London versicherte Abhisit der business community, dass Thailand zur Normalität zurückgekehrt sei. Er weiß aber selbst, dass seine Herrschaft angesichts der doppelten Krise äußerst fra­gil ist. Er reagiert daher mit einem Investitionsprogramm, das den Konsum wieder ankurbeln soll. 116 Milliarden Baht (etwa 2,5 Milliarden Euro) werden dafür bereitgestellt.

Das Programm dient weniger der Rettung angeschlagener Banken, die in Thailand nicht so stark betroffen sind wie die Realwirtschaft. Es soll vor allem die Nachfrage erhöhen, um den Einbruch im Exportgeschäft zu kompensieren. Der Kern des Programms sind die Konsumgutscheine im Wert von 2 000 Baht (ca. 40 Euro), die an acht Millionen Geringverdiener und 1,3 Millionen Beamte verteilt werden sollen. Dazu kommen ein monatliches Taschengeld von 500 Baht für etwa fünf Millionen Rentner, ein Programm, das freie Bildung für rund zehn Millionen Schüler und Studenten für die nächsten 15 Jahre garantieren soll, und ein Investitionsfonds für 78 000 Dörfer.
Hinsichtlich der richtigen Strategie zur Bekäm­pfung der Krisenfolgen gibt es indessen keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen den »Rot­hemden« und den »Gelbhemden« bzw. zwischen Thaksin und der Regierung. Die gegenseitige Kritik ist mittlerweile stark personalisiert und banal, es geht nur noch darum, ob das königliche Netzwerk der alten Oligarchie oder Thaksins Gefolgsleute Zugriff auf die Regierung und den Staats­apparat haben. Bezeichnenderweise kritisieren die Rothemden die Maßnahmen von Abhisit, weil er dafür zu viele Kredite im Ausland aufnehmen müsse. Dass die Staatsschulden zu hoch würden, war früher das Argument der Demokraten gegen Thaksins Ausgabenpolitik. Doch auch Rothemden wollen konsumieren. Die Demonstrationen am 26. März begannen mit Verspätung an, denn etliche Teilnehmer wollten vorher ihre Konsumgutscheine bei der gleichzeitig stattfindenden ersten offiziellen Vergabezeremonie abholen.
Im Juli 1917, als die Bolschewiki aus dem Unter­grund operieren mussten, argumentierte Lenin für eine offensive strategische Wende, die dann zur Oktoberrevolution führte. Darin bestärkte ihn ein Arbeiter, bei dem er untergetaucht war. Er hatte die gute Qualität des Brotes bemerkt. Die Herrschenden hätten so viel Angst vor einer Revolte, dass sie sich nicht trauten, schlechtes Brot zu verteilen. Verhält es sich so ähnlich mit den Konsumgutscheinen in Thailand?
Es spricht einiges dafür. Denn neben der Vertei­lung von Wahlgeschenken hat die Demokratische Partei die politische Repression und Zensur gezielt ausgeweitet. Dazu dient vor allem das Gesetz über Majestätsbeleidung, das Lèse Majesté, das Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren für die Beleidigung der königlichen Familie vorsieht. Monarchen sind sensibel, als beleidigend gilt auch, eine Republik zu fordern oder die Rolle des Königs bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung 1976 und beim jüngsten Putsch zu kritisieren. Das Gesetz wurde seit 2006 inflationär benutzt. Die Gelbhemden der rechten People’s Alliance for Democracy, eines Bündnisses von Politikern der Demokratischen Partei, Oligarchen und Offizieren, und die Rothemden der Untited Front for Democracy against Dictatorship zeigten sich damals gegenseitig immer wieder wegen Majestätsbeleidigung an. Thailand ließ Youtube wegen königskritischen Uploads blo­ckieren. Die Regierung hat eine spezielle Internetpolizei aufgebaut, die Tausende von Webseiten, Blogs und E-Mails auf kritische Inhalte überprüft.

Gezielt eingesetzt wird das Lèse Majesté weniger gegen die Rothemden als gegen Linke, die sich sowohl gegen Thaksin als auch gegen den Putsch engagierten. Ein erstes, prominentes Ziel war das sozialkritische Theoriejournal Fa Diao Kan (Unter einem Himmel), das eines der interessantesten linksintellektuellen Projekte der vergangenen Jahre in Thailand ist. Wegen des königs­kri­tischen Inhalts wurde eine Ausgabe komplett beschlagnahmt und der Chefredakteur verklagt. Ähnlich erging es Prachatai, einer Internetzeitung, die von dem Thaksin- und Putsch-Kritiker Jon Ungpakorn gegründet wurde. Die Webmasterin Cheeranuch Premchaiphorn wurde Anfang März verhaftet und stundenlang befragt, die Com­puter wurden beschlagnahmt. Jons Bruder, Ji Ungpakorn, wurde wegen seines Buches »A Coup for the Rich« der Majestätsbeleidung beschuldigt, er hat sich vor kurzem nach Großbritannien abgesetzt.
Ji Umgpakorns Fall sorgt auch deshalb für Furo­re, weil er als unerschrockener Marxist nicht klein bei gibt. Er veröffentlichte kürzlich ein »Rotes Siam-Manifest«, in dem er offen für eine Republik argumentiert. Das in Thailand verbotene Manifest kursiert im Untergrund und wird von vielen Thais begrüßt. Problematisch ist nur, dass Ji eine Art Einheitsfrontpolitik mit den Anhängern Thaksins propagiert und zur Gründung einer Partei »aller Rothemden« aufruft, die für einen republikanischen Wohlfahrtsstaat kämpfen soll. Das Manifest trägt daher nicht dazu bei, eine unabhängige linke Bewegung zu stärken, die nicht im Konflikt zwischen den Fraktionen der herschenden Klassen Partei ergreift, oder jene so­zialen Proteste zu organisieren, die Regierung und Unternehmer so fürchten.