Die Krise als Chance für soziale Proteste? – Soziale Wut? Welche Wut?

Ihr könnt nach Hause gehen!

An den großen Demonstrationen der letzten Wochen beteiligten sich nur die üblichen Verdächtigen. Auch wenn es viele Linke nicht wahrhaben wollen, ist die Krise alles andere als eine Chance.

»Wut ohne Empfänger«, »Wut über den eiskalten Kapitalismus«, »Wut über Krise treibt Tausende auf die Straße«, titelt die Presse. Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GDP), prophezeit, die Krise »werde sich auf der Straße zeigen«. Die britische Polizei fürchtet den »summer of rage«. »Immer mehr Leute haben Wut im Bauch«, sagen Attac-Mitglieder, Jutta Ditfurths neues Buch heißt »Zeit des Zorns«.
Deshalb denken jetzt selbst halbwegs vernünftige radikale Linke, man müsse diese »Wut« nutzen, eiligst Massenproteste organisieren, schnellst­möglich Gewerkschaften, sozial Bewegte und Globalisierungskritiker zusammenbringen und sich womöglich an deren Spitze stellen. Aber warum? Wozu? Weshalb? Um dafür zu sorgen, dass das, was letztlich im Bündnis-Flugblatt steht, nicht der allerletzte regressive Mist ist?
Das wäre auch schon alles. Denn die Vorstellung, man müsse als Avantgarde linker Intelligenz jetzt die Krise nutzen, die vermeintliche Wut der Massen lenken und so in den Lauf der Geschichte intervenieren, ist Käse. Und zwar nicht nur, weil die Idee der Avantgarde Käse ist. Sondern auch, weil die Demonstrationen in Frankfurt und Berlin Ende März, die Proteste gegen den G20-Gipfel in London und die jüngsten Proteste gegen die Nato gezeigt haben, dass nur eine marginale Min­derheit auf die Straße geht, die dies auch schon vor der Krise tat. Mit der von Medien wie Linken gleichermaßen beschworenen krisenbedingten Wut auf der Straße ist es bislang nicht weit her.

Vor allem nicht in Deutschland. Solange die Krise sich hier nicht in Form von Massenentlassun­gen äußert, ist die Wut nämlich klein, aber die Angst um so größer. Und solange es noch etwas zu verlieren gibt, scheint den allermeisten verschärfter Konkurrenzkampf rationaler als Solida­rität. Wenn französische Arbeiter wütend sind, weil sie ihren Job verlieren, kidnappen sie vielleicht gemeinsam ihren Manager und handeln dadurch eine höhere Abfindung heraus. Wenn deut­sche Arbeiter Angst haben, ihre Stelle zu verlieren, arbeiten sie schneller als die Kollegen, ziehen sich gelbe T-Shirts mit der Aufschrift »Wir sind Opel« an und fotografieren die herbeigeeilte Kanz­lerin mit ihren Fotohandys. Die Kanzlerin schenkt strenge Fürsorge, der blaublütige Wirtschaftsminister zeigt feudale Souveränität, der zerknirschte Finanzminister mimt den Zorn der Gerechten. Was aber bieten schon jene Linken, die sich auf diesen Demonstrationen tummeln?
Die Arbeiter von Opel, Karmann oder Schaeffler wissen: Die Gewerkschaften machen das, was Manager tun, nur schlechter. Attac propagiert noch immer, was die G20 auf ihrem Gipfel längst beschlossen haben. Und die Übersprungshandlungen derer, die auf den Krisen-Demonstrationen das Klima schützen wollen oder Palästina- oder Tibetfahnen schwenken, zeigen selbst den »bildungsfernen« Massen, dass man gegen die Krise wohl nicht demonstrieren kann.

Wenn nun ein paar ideologiekritisch geschultere Linke mitmischen, auf deren Flugblättern es »ums Ganze« geht, wird das an der weithin sichtbaren Ratlosigkeit der Bewegungslinken wenig ändern. Denn der Gewerkschaftsmoral, den Antiimp-Parolen und der Finanzkapitalkritik können sie höchstens einen vollkommen inhaltsleeren Schalala-Kommunismus entgegenhalten, der zwar mit schickeren Transparenten, poppigeren Sprüchen und besserer Musik daherkommen mag, die Demonstrationen aber auch nicht erträg­licher macht. Nur weil man auf Kundgebungen wie dem jährlich wiederkehrenden Euromayday vielleicht auch tanzen kann, wird das noch lange nicht »meine Revolution« – wohl schon gar nicht eine für den Arbeiter von Opel, der um seinen Arbeitsplatz bangt. Die neuen, schon immer nur pseudohedonistischen Protestformen sehen in der Krise verdammt alt aus.
Und die Inhalte? »Was fehlt, sind konkrete Utopien«, klagen jetzt viele Linke, als gälte es, schleu­nigst solche zu entwickeln. Eilig Utopien zu entwickeln, um den Protesten eine Richtung zu geben, wäre aber definitiv die falsche Reaktion. Denn es eilt gar nicht. Die Annahme, in der Krise mache sich das kollektive Bewusstsein für den historischen Abschied vom kapitalistischen Verwertungszwang bereit, ist falsch. Die Krise befördert bislang eher den fatalistischen Glauben an die Naturwüchsigkeit des Systems, führt zu Rufen nach dem autoritären Staat und verstärkt die Sehnsucht nach der Gemeinschaft. Sollte auf die Krise irgendwann mal wieder eine Phase des Aufschwungs folgen, von dem auch die Arbeit­nehmer einen Hauch abbekommen könnten, dann wäre es vielleicht Zeit, etwas zu unternehmen.