Die toxischen Papiere der deutschen Banken

Im Extremfall droht die Staatspleite

Die Bad Banks sollen dafür sorgen, dass die Banken wieder Kredite vergeben. Ob das Konzept aufgeht, ist unklar. Die vom Staat übernommenen Risiken sind kaum kalkulierbar. Und was nicht unklar ist, ist geheim: Der Bankenrettungsfonds Soffin entzieht sich jeder demokratischen Kontrolle.

Die giftigen Papiere liegen hinter dicken Tresorwänden, in geheimen Schließfächern, auf versteckten Konten. Es gibt derzeit wohl kaum ein besser gehütetes Geheimnis: Niemand kennt die genaue Summe und keiner kann ermitteln, wie hoch der Schaden eigentlich ist. Seit Beginn der Wirtschaftskrise halten sich die Banken sorgsam bedeckt, wenn es um Auskünfte über ihre toxischen Wertpapiere geht. Und vermutlich wissen viele Institute nicht einmal, in welchem Ausmaß sich ungedeckte Kredite und wertlose Schuldverschreibungen in ihren Bilanzen verbergen.
Die toxischen Papiere wurden über Jahre erworben, in vielen Fällen lassen sich die ursprünglichen Schuldner gar nicht mehr ermitteln. Wer hätte gedacht, dass eines Tages insolvente Immobilienkäufer aus Oklahoma oder arbeitslose Absolventen aus Illinois, die die Raten für ihre Studiendarlehen nicht mehr begleichen können, deutsche Großbanken in die Verzweiflung treiben? Damals, als die Kredite noch heiß waren und zigfach verschnürt in den Händen smarter Anlagenberater aus Frankfurt landeten, gab es schließlich nur gute Banken und Aussichten auf großartige Profite.
Niemand zwischen Hamburg und München wollte das Geschäft seines Lebens verpassen. Deutschland sei »Weltmeister in riskanten Bankgeschäften« gewesen, sagte der scheidende EU-Industriekommissar Günter Verheugen vergangene Woche der Süddeutschen Zeitung. Nirgendwo, auch nicht in Amerika, hätten sich Banken »mit größerer Bereitschaft in unkalkulierbare Risiken gestürzt, allen voran die Landesbanken«. Die Aufsicht habe die Dinge laufen lassen.

Im Bundesfinanzministerium will man davon natürlich nichts wissen. Verheugens Aussagen zeugten von einer »überraschenden Unkenntnis der Faktenlage«, hieß es in Berlin. Den Handlungen der unbändigen Banker kann sich jedoch auch Finanzminister Peer Steinbrück nicht mehr verschließen. Sollten die deutschen Banken ihre toxischen Wertpapiere komplett realisieren, wären die meisten von ihnen nach Angaben des konservativen Münchner Ifo-Instituts wohl bankrott, da sie nicht mehr über genügend Eigenkapital verfügten, um diese Wertberichtigung zu überleben. Der Präsident des Ifo-Instituts, Hans Werner Sinn, fordert deswegen eine direkte staat­liche Beteiligung an den Banken.
So weit will die Bundesregierung dann doch nicht gehen. Während selbst die britische Regierung ihre krisengeschüttelten Institute ohne große Skrupel zügig verstaatlichte, gilt Gleiches hierzulande in der Regel als blasphemischer Akt gegen die Marktwirtschaft. Die Bundesregierung in Berlin entschloss sich daher zu einem Kompromiss, der gute Chancen hat, gleichermaßen alle Beteiligten zu verprellen: Banken, Wirtschaft und Steuerzahler.
Die Banken sollen demnach die toxischen Papiere an so genannte Bad Banks übergeben und im Gegenzug staatliche Anleihen dafür erhalten. Die Banken können damit auf einen Schlag ihre Bilanzen bereinigen. Eigenkapital, das sie bislang zurückhalten mussten, um die riskanten Papiere abzusichern, wäre wieder frei. Unternehmen, die händeringend um Kredite nachsuchen, könnten dann dringend notwendige Investitionen finanzieren. Auch der Handel zwischen den Banken könnte endlich wieder normal funktionieren: Keine müsste der anderen misstrauen, dass sie noch weitere Leichen im Keller versteckt hält. Bei den maroden Landesbanken hingegen wird ein Staatsvertrag anvisiert: Die giftigen Papiere sollen in eine Anstalt öffentlichen Rechts ausgelagert werden.

Die Bundesregierung wähnt sich auf der sicheren Seite. Mehrere Maßnahmen sollen sie davor schützen, dass sie am Ende auf den ungedeckten Rechnungen sitzen bleibt. Die Banken müssen zunächst einen Abschlag von zehn Prozent auf den nominellen Wert der giftigen Papiere an den Staat abführen. Die restlichen 90 Prozent wandern anschließend in die Bad Bank. Dort soll ihr realer Wert geschätzt werden – liegt dieser unterhalb des ursprünglichen Betrags, muss die Bank die Differenz aus ihren nächsten Gewinnen begleichen. Die Bank hat anschließend 20 Jahre Zeit, die Papiere zu verkaufen. Gelingt dies nicht, oder nur weit unter dem ermittelten Wert, dann muss die Bank auch für diesen Verlust aufkommen. Am Ende sind alle zufrieden: Die Banken können wieder Kredite vergeben, die Unternehmen wieder investieren, und der Staat erhält sein Geld zurück. Soweit der Plan.
Was aber geschieht, wenn der erhoffte Aufschwung ausbleibt und die Banken nicht die erhofften Gewinne erzielen? »Richtig ist, wenn der Himmel runterfällt, sind alle Spatzen tot. Wenn das Institut insolvent geht, dann sind das Risiken für den Bundeshaushalt«, beschreibt Steinbrück blumig das in diesem Fall zu erwartende Szenario.
Steinbrück schätzt den Buchwert der bei den deutschen Banken lagernden toxischen Papiere auf rund 230 Milliarden Euro. 40 bis 50 Milliarden Euro seien davon schon abgeschrieben. Damit müsste eine Bad Bank im Extremfall mit Giftpapieren, die einen Buchwert bis zu 190 Milliarden Euro haben, rechnen. Allein dieses Risiko dürfte jedem Finanzminister jahrelange Albträume bereiten. Denn der Extremfall bedeutet faktisch, dass auch der Staat pleite wäre.
Die Lage der deutschen Staatsfinanzen ist allerdings noch nicht so dramatisch wie in den USA, deren Haushaltsdefizit sich derzeit auf rund zwölf Prozent beläuft. In Großbritannien fällt das De­fizit sogar noch höher aus. Rating-Agenturen drohen mittlerweile sogar, die Bonität der USA und Großbritanniens herabzustufen. Mit dem Problem sind diese Staaten nicht allein. Olivier Blanchard, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds (IWF), schätzt, dass sich die Haushaltsdefizite der 20 größten Industrienationen bis zum Jahresende versechsfachen werden. Alle spielen das gleiche Spiel: Die Regierungen verschulden sich über alle Maßen, um die gigantischen Finanzierungslücken zu überbrücken. Wenn die Wirtschaft wieder läuft, so die Hoffnung, werden die Defizi­te irgendwann von alleine verschwinden.

Auch das Rettungskonzept der Bundesregierung in Berlin geht nur auf, wenn die Konjunktur bald wieder brummt. Dabei ist mehr als fraglich, wie viele Banken sich überhaupt auf das Konzept einlassen. Schließlich will die Regierung, dass die Aktionäre die Miesen übernehmen, die nach Auflösung der Bad Bank übrig bleiben. Wenn es schlecht läuft, müssen die Anteilseigner also lange Zeit auf Dividenden verzichten. Und wer will schon in Titel investieren, die unter Umständen jahrelang keine Gewinne abwerfen? Gut möglich also, dass viele Banken das Angebot dankend ablehnen und ihr Geheimnis lieber für sich behalten.
Wenig erfreut könnten sich am Ende auch die Steuerzahler zeigen. Mit ihren Geldern wird die Bad Bank immerhin finanziert. Sie tragen das Risiko und erhalten dafür – nichts. Im besten Fall kommt der staatliche Einsatz wieder rein. Läuft es hingegen für die Banken gut, dann behalten diese die Gewinne.
Zudem ist völlig unklar, wie die Aufsicht über die Bad Bank, der Finanzmarktrettungsfonds Soffin, überhaupt den faktischen Wert der giftigen Papiere feststellen will und wer wiederum die Aufsicht kontrolliert. Denn von ihrer Einschätzung hängt alles ab.

Es gab wohl noch nie in der deutschen Nachkriegs­geschichte ein staatliches Gremium, das über derart umfangreiche finanzielle Ressourcen verfügte: Dem Sonderfonds stehen insgesamt 480 Milliarden Euro zur Verfügung, um Bürgschaften zu vergeben oder marode Institute wie die Hypo Real Estate zu übernehmen. Ausschließlich ein von Steinbrück eingesetzter »Lenkungsausschuss« entscheidet, welche Bank zu welchen Konditionen vom Soffin profitiert. Eine parlamentarische Kontrolle über die Staatsausgaben existiert faktisch nicht: Nur neun Ab­geordnete aus dem Haushaltsausschuss werden gegenwärtig einmal pro Sitzungswoche in einem abhörsicheren Raum über die Entscheidungen des Lenkungsausschusses informiert.
Allerdings besitzen sie nicht das Recht, die Beschlüsse zu ändern oder gar abzulehnen, berichtete kürzlich das Handelsblatt. Die Informationen aus dem Lenkungsausschuss seien geheim. Wer dagegen verstoße, dem drohe eine Anklage wegen Geheimnisverrats und im schlimmsten Fall eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Nur Steinbrücks Geheimbund weiß daher, mit wie viel Steuergeld er welche Banken stützt.
Das ist auch gut so, zumindest für den Finanzminister. Weil niemand so recht weiß, was der Rettungsfonds eigentlich treibt, fällt auch kaum mehr auf, dass Steinbrück Ziele verfolgt, die nicht zueinander passen: Mit dem Bad-Bank-Konzept will er das Vertrauen in den maroden Kreditmarkt möglichst schnell wiederherstellen, gleichzeitig soll diese Operation aber möglichst wenig kosten. Kurz vor den Bundestagswahlen kommt es bei den Wählern nicht gut an, ausgerechnet den unbeliebten Bankern das Geld hinterherzuwerfen.
Weil aber selbst der notorisch optimistische Finanzminister die gigantischen Bilanzschulden nicht einfach verschwinden lassen kann, bleibt ihm nicht viel mehr übrig, als das Fiasko mit Hilfe der Bad Bank möglichst lange hinauszuzögern. Vielleicht kommen irgendwann wieder bessere Zeiten. Wenn nicht, dann muss sich wohl auch Steinbrück einen Tresor suchen, in dem er sich verstecken kann.