Der Film »Che« von Steven Soderbergh

Stalin mit Frisur

Steven Soderbergh setzt der linken Ikone Ernesto Che Guevara ein filmisches Denkmal.

Hol dein Heft raus und mach deine Hausaufgaben« – wenn man mit Revolutionsikone Er­nes­to – genannt »Che« – Gueva­ra, dem linksradikalen Arzt, angreifen will, geht’s erstmal um Sekundärtugenden: Hände waschen nach’m Klo, Hemd in die Hose, und Schuhe bitte zubinden.
So sieht der Sozialismus aus, zumindest wenn man ihn von Steven Soderbergh drehen lässt: »Che – Revolucion« heißt der erste Teil des Zwei­teilers, der diese Woche anläuft, am 23. Juli startet dann der zweite: »Che – Guerilla«. Da aber wird der argentinische Held gemeinsam mit den Castro-Brüdern (Fidel: Demián Bichir, Raul: Rodrigo Santoro) Kuba schon befreit und seine Rede vor der Uno gehalten haben.
Che Guevara war das Kind einer argentinischen Bürgerfamilie. Früh unternahm er lange Reisen und wurde durch die politischen Ereignisse in La­teinamerika politisiert. Er schloss sich der Gruppe um Fidel Castro zur Befreiung Kubas an und beschäftigte sich mit Militärtheo­rie. Sein Porträt, aufgenommen von Alberto Corda, wurde welt­berühmt und ziert Kleidungsstücke von Wa­shington bis Ramallah – und steht bis heute für revolutionären Aufbruch aus vollem Herzen, als gelungene Mixtur aus freiem Geist (lange Haare) und gewonnenem Krieg (Militäruniform).
Das besondere Glück, dass die richtige Seite den Sieg davongetragen hat, das hängt am Che aus Argentinien; mit ein paar Kampfgefährten schmeißt er die Kapitalisten raus aus Kuba. Da kann der Kuba-Urlauber aus der ersten Welt kaum mithalten. Soderbergh: »Ich wollte zeigen, wie ein Mann, der mit einem unbeirrbaren Willen geboren wurde, seine Fähigkeiten entdeckt, andere zu inspirieren und zu führen.«
Gesagt, getan, Ergebnis siehe oben. In »Che – Revolucion« versucht Soderbergh zwei Stunden lang, Benicio del Toro aussehen zu lassen wie den echten Guevara auf historischen Dokumenten. Mütze, Kippe, Camouflage. Das ist gar nicht schlecht gelungen: Del Toro gewinnt jedenfalls jeden Darstellerpreis, der irgendwo verlost wird – dafür, dass er den Kämpfer mit linkischem Char­me gibt, mit schief gelegtem Kopf spricht und ab und an auch mal zu- und hinrichten kann.
Allerdings – gibt es da genau ein Problem. Das Gleiche macht die Popkultur, zumal die verkaufsfördernde, seit 40 Jahren: Che auf dem Hemd, als Aufkleber auf der Ente, hinten am taz-Fahrrad. Am erdrückendsten gegenwärtig ist wohl der Werbespot für den Dacia Logan: Da sitzt Guevara mit den anderen Untoten des Sozialismus im Busch und tauscht wichtige Phrasen aus. Die Wochenzeitung Zeit bietet in ihrem Guevara-Dossier sogar einen Test an: »Wieviel Che steckt in Ihnen?«
Einen drastischen Versuch, diese Art popkulturelle Verwertung zu durchbrechen, unternahm übrigens der deutsch-kanadische Regisseur Bruce LaBruce in einer Szene seines Films »The Raspberry Reich«: Ein Mann, der aussieht wie Jan-Carl Raspe, steht im Unterhemd vor einem Guevara-Plakat in seinem Zimmer und leckt einen Revolver ab, während er onaniert. Da­nach hat sich eigentlich jegliche vernünftige Basis für historisch korrekte Spielfilmdarstellun­gen des Che erübrigt.
Guevaras Wirken und seine Darstellung ist auch so schon äußerst umstritten; bei den Rech­ten sowieso, die halten ihn für einen völkermordenden Terroristen. Noch im vorigen Jahr brach der CDU-eigene Studentenverband RCDS eine Anti-Che-Kampagne vom Zaun, da der kubanische Minister in viel zu vielen WG-Küchen herumhänge.
Auch in der Linken gibt es durchaus die Ansicht, dass er ein autoritärer Wirrkopf und Stalin-Apologet war, der seine Gegner rücksichtslos aus dem Weg räumte, und dass Fidel Castro alle Hände voll zu tun hatte, seinen Einfluss zu begrenzen.
Da diese Art Fragestellung der Popularität aber keinen Abbruch tut, müssen Soderberghs Interessen nicht so sehr in diesen Off-Bereichen lie­gen. So geht er mit gebotenem Ernst ans Werk, um neue Bilder zu schaffen: Wie geht Revolution, was muss man dafür tun, wie sagt man was, und vor allem: Wie hat man dabei damals wohl revolutionär korrekt aus der Wäsche geguckt?
Sein Film setzt dabei auch auf erprobte Cut-up-Schnipsel-Technik: Satzfetzen aus einem Interview wechseln sich mit ab mit Guevaras Auf­tritt vor den Vereinten Nationen im Jahr 1964. Da ist er schon Industrie- und Handelsminister, hat die Planwirtschaft getestet und verbreitet sich nun über Kubas Rolle in der Welt. Beides, In­terview wie Uno, ist in Schwarz-Weiß gehalten, der Echtheitssimulation wegen.
Wenn es lockerer zugeht, darf es auch wieder bunt sein. Dann schaltet der Film ins Jahr 1955, Che und Fidel sitzen in der Wohnung in Mexiko und planen den Angriff auf das vorrevolutionäre Kuba, das den verhassten USA als Hinterhofbor­dell dient. Mit der Yacht »Granma« schippern die Revolutionäre auf die Insel und werden bei der Landung um fast sieben Achtel dezimiert: Von 82 Kombattanten bleiben zwölf übrig. Sie kämpfen sich durch die Büsche, Guevara pfeift auf seinem Asthma: Denn der revolutionäre Held ist ein Mann mit gesundheitlichen Schwächen.
Alsbald aber organisiert er den Widerstand, die Gruppe erhält regen Zulauf von Freiwilligen, die das System der Leibeigenschaft und Ausbeutung auf der Insel des Diktators Batista satt haben.
Mit einer gewissen Dosis Humor werden die Ereignisse bis zur finalen Schlacht in der Stadt Santa Clara erzählt. Wenn die Stadt fällt, ist der Weg frei: Wenn Guevara hier patzt, ist er versperrt.
Nun soll man nie das Filmende verraten, aber in diesem Fall kann man vorwegnehmen: Der Berufslyriker und Revolutionsroboter hat seine Sache gut gemacht. Auch seinem späten Chronisten Soderbergh kann man attestieren, dass er seine Aufgabe nicht mal schlecht bewältigt. Sein Film ist lange Zeit dies: unaufgeregt und unspek­takulär; er erklärt, zeigt, dokumentiert, bildet naturgetreu ab. Man wird nicht belehrt und lernt durchaus etwas. Es ist was los. Trotz Weltberühmtheit ist Guevara selten Filmfigur geworden. Nun denn, dem Hollywood-Kino sind schon lange die Themen ausgegangen. Stalin, Lenin, Trot­zki – wann landen sie eigentlich in der großen Bildermaschine?
Doch damit ist leider nicht alles paletti. Soderbergh führt zwar heran, erklärt sich selbst, was er anderen erklären möchte – und zwischenzeitlich fühlt man sich sogar an Filme von Ken Loach erinnert, dessen Thema das hier natürlich wäre. Dass Soderbergh leider nicht so genial und kontext-affin ist wie Loach, muss man bald einsehen. Denn allzuviel Energie wird darauf verwendet, dass alles so aussieht, wie es aussehen muss. »Che – Revolucion« bietet eine Menge langer Einstellungen, in denen man den Revolutionären – qualmende Zigarren, qualmende Colts – beim Rauchen zusieht, und dem Betrachter mögen da wiederum die vielen Hansel des Pop-Kosmos einfallen, die genau dieses Verhalten kopiert haben: Sieg eingefahren, Zigarre angesteckt. Dabei u.a. schon gesehen: Arnold Schwar­zen­egger auf der Cebit, Will Smith am »Indepen­dence Day«, nachdem er die Außerirdischen mit der Atombombe verprügelt hat, Rot-grün beim Wahlsieg 1998. So wird Che von der eigenen Serialität eingeholt.
Was würde Guevara heute tun, hätte man ihn bei seiner Mission in Bolivien nicht umgebracht? Wahrscheinlich immer noch rauchen, wenn auch auf dem letzten Loch. Und mit Hugo Chávez und Diego Maradona Solarkraftwerke für Südamerika planen. Vielleicht gäbe es weniger T-Shirts – oder mehr Copyright. Kampfgefährte Camilo (Santiago Cabrera) scheint das Schicksal seines Kumpels schon damals verstanden zu haben. »Ich sperr dich in einen Käfig«, sagt er in einer Filmszene von »Che – Revolucion«, »zieh dich durch Kuba und verlange Eintritt. Bald sind wir reich!«

»Che – Revolucion« (F/E/USA 2008). Regie: Steven Soderbergh. Darsteller: Benicio del Toro, Demián Bichir, Santiago Cabrera, Julia Ormond u.a. Kino-Start: 11. Juni. »Che – Guerilla« startet am 23. Juli