Rente für ehemalige Ghetto-Arbeiter

Suppe für die Rentenkasse

Wer in jüdischen Ghettos für deutsche Unternehmen arbeitete, kann endlich auf eine kleine Rente hoffen.

»Ich hatte nicht mehr daran geglaubt.« Jost Reben­tisch vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte ist glücklich darüber, dass viele tausend Menschen nun doch noch darauf hoffen können, für die während ihrer Internierung in einem jüdischen Ghetto geleistete Arbeit in deutschen Unternehmen wenigstens eine kleine Rente zu bekommen.

Anlass zu Freude sind die jüngsten Entscheidungen zweier Senate des Bundessozialgerichts zum »Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto« (ZRBG). Das im Jahr 2002 vom Bundestag einstimmig verabschie­dete Gesetz fingierte die Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung und sollte den Betroffenen rückwirkend ab 1997 Rentenansprüche verschaffen. Im Gegensatz zur Entschädigung für ge­leistete Zwangsarbeit war die Voraussetzung für eine so genannte Ghettorente allerdings, dass die Beschäftigung »aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen« war und »gegen Entgelt aus­geübt« wurde.
Mit deutscher Gründlichkeit widmeten sich die Rentenversicherungsträger den rund 70 000 Anträgen, die innerhalb der Frist gestellt wurden – und lehnten über 90 Prozent ab. Meist hielt man den Antragstellern entgegen, ihre Arbeit im Ghetto sei nicht freiwillig bzw. nicht gegen ein angemessenes Entgelt geleistet worden. Wer etwa eine Stelle vom so genannten Judenrat zugeteilt be­kommen hatte oder auf dem Weg zum außerhalb des Ghettos gelegenen Betrieb überwacht wurde, galt nicht als freiwillig beschäftigt und bekam keine Rente. Und wenn jemand – wie in den meisten Fällen – kein Bargeld ausgehändigt bekam, sondern hauptsächlich mit den überlebensnotwen­digen Nahrungsmitteln bezahlt wurde, erklärten ihm feinfühlige deutsche Sachbearbeiter, das sei kein Entgelt, sondern lediglich »freier Unterhalt« gewesen.
Nach Andrea Löw, Mitarbeiterin am Münchner Institut für Zeitgeschichte und Gutachterin in Ghet­torenten-Fällen, geht das »an der historischen Realität in den Ghettos vollkommen vorbei. Die Aus­sicht auf einen Teller Suppe zum Mittagessen war oft eine große Motivation zur Arbeitsaufnahme.« Löw gehört wie Wolfgang Benz vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin zu den Historikern, die einen Appell unterzeichneten, in dem sie verlangen, dass die einschlägige Forschung endlich berücksichtigt werde. Viele Ab­lehnungen basierten auf einer geringen Kennt­nis der Tatsachen und auf der »ahistorisch-schematischen Anwendung aktueller Rechtsbegrif­fe auf die historische Ghettosituation«.
Das dürfte auch für die Mehrzahl der bisherigen Gerichtsentscheidungen gelten. Denn rund 20 000 Betroffene entschlossen sich – meist vom Ausland aus – wegen der Ablehnung ihres Antrags auf eine Rente von durchschnittlich 150 Euro im Monat den langwierigen Weg vor ein deutsches Sozialgericht zu beschreiten. Doch Erfolg hatten nur sehr wenige, viele wurden nicht einmal persönlich gehört. Die Entscheidungen ergingen nach Aktenlage.
Überwiegend interpretierten auch die Gerichte das ZRBG sehr restriktiv. Anträge wurden beispielsweise deswegen abgelehnt, weil die Bezahlung unangemessen gering gewesen sei oder nicht direkt an den Arbeitnehmer, sondern an den Judenrat ausgezahlt wurde. Teilweise wurde sogar argumentiert, ein Arbeitsverhältnis sei deswegen nicht freiwillig eingegangen worden, weil es die einzige Möglichkeit darstellte, die Deportation in ein Vernichtungslager zu vermeiden. Vie­len Betroffenen wurde vorgehalten, sie hätten in ihren Anträgen nach dem Bundesgesetz zur Ent­schädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG), die in den fünfziger oder sechziger Jahren gestellt hatten, verschwiegen, während ihrer Zeit im Ghetto für ein deutsches Unter­nehmen gearbeitet zu haben. Damit wurde ihnen vorgeworfen, »etwas nicht erwähnt zu haben, wo­nach sie auch niemand gefragt hat«, wie die Historikerin Löw kritisiert, denn für einen Anspruch nach dem BEG kam es allein auf die erlebte Verfolgung an.

Die meisten dieser Absurditäten können nach den Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht mehr herangezogen werden. Ein bestehender fak­tischer oder rechtlicher Arbeitszwang allein stehe einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss demnach nicht entgegen, Zwangsarbeit liege nur dann vor, wenn der Betroffene gegen seinen Willen für eine spezifische Tätigkeit herangezogen wurde. Und als Entgelt zähle jegliche Entlohnung, ob in Geld oder in Naturalien. Auch ein Mindestalter verlange das ZRBG nicht – zuvor hatten die Versicherer manchmal noch argumentiert, Minderjährige hätten keine Renten­ansprüche erwerben können, weil man mit weniger als 14 Jahren im Deutschen Reich offiziell nicht arbeiten durfte.
Die Rentenversicherer, auf die nun Kosten von rund zwei Milliarden Euro zukommen, begrüßten die Entscheidungen offiziell, da die Rechtslage geklärt sei. Jost Rebentisch meint dagegen, die Kasseler Richter hätten festgestellt, dass »Zehn­tausenden von Überlebenden jahrelang rechtswidrig die Rente vorenthalten« wurde. Und wie viele Menschen ihren Rentenanspruch noch geltend machen könnten, hänge weiterhin von den Versicherern ab. Schnell werde es nur dann gehen, wenn diese die abgelehnten Anträge von sich aus erneut bearbeiteten. Angesichts der bisherigen Erfahrungen ist Rebentisch da skeptisch: Es bestehe leider die Gefahr, dass sie »weiter auf Zeit spielen«.