Roma in Berlin

Touristen wider Willen

Die Stadt Berlin will sich einer Gruppe Roma entledigen, die sich dort seit etwa vier Wochen aufhält. Die Gründe ihrer Flucht aus Rumänien werden größtenteils ignoriert.

Anfang vergangener Woche sah es noch nach einer Einigung aus: Der Gruppe Roma, die zunächst zwei Wochen lang im Görlitzer Park in Berlin kam­piert hatte, von der Polizei aber des Platzes verwiesen worden und vorübergehend im ehemaligen Krankenhaus Bethanien untergekommen war, wurde von Senats- und Bezirksvertretern ei­ne Unterbringung in Notunterkünften für Wohnungslose in Aussicht gestellt (Jungle World 22/09). Doch Mitte der Woche zogen Senat und Bezirk die anfängliche Zusage wieder zurück.
Stattdessen boten die Behörden erneut einen auf eine Woche begrenzten Aufenthalt in der Flüchtlingsunterkunft Motardstraße in Berlin-Spandau sowie eine finanzielle Unterstützung für die »freiwillige« Rückkehr nach Rumänien an. Die Roma lehnten dies ab. Doch nachdem sie En­de vergangener Woche das Bethanien und auch die Kreuzberger Sankt-Marien-Kirche verlassen mussten, die sie in der Hoffnung auf Kirchenasyl besetzt hatten, haben sie auf Vermittlung von Vertretern der Stadt, des Bezirks und von Sozialarbeitern einem Umzug in das Flüchtlingsheim in Spandau doch zugestimmt. Dort leben sie nun seit einer Woche, eine längerfristige Lösung wurde nicht gefunden. Der Berliner Senat besteht nach wie vor auf der Rückreise nach drei Monaten, da die Roma schließlich als Touristen eingereist seien und deshalb auch keine weiteren Forderungen zu stellen hätten.

Über die Vorgänge berichten diverse Medien seit der Ankunft der Roma vor etwa vier Wochen nicht gerade in einem sachlichen Ton: Die »Bettel-Roma« (BZ) oder schlicht »Zigeuner« (Junge Freiheit) wollten sich mittels eines touristischen Aufenthalts Leistungen des deutschen Sozialstaats erschleichen, ist der Tenor. Die Bild-Zeitung fühlte sich zu der Frage veranlasst: »Wie lange tanzen sie Berlin noch auf der Nase rum?« Der migrationspolitische Sprecher der Berliner CDU, Kurt Wansner, warnte, dass der »Missbrauch der Gastfreundschaft« zu einem »Präzedenzfall« und so eine »Armutswanderung innerhalb der EU« aus­gelöst werden könne.
Der Tatsache, dass die Roma nicht als Touristen, sondern als Flüchtlinge eingereist sind, wird kaum Beachtung geschenkt. Lediglich der glückliche Umstand, dass sie seit 2007 EU-Bürger sind und über Reisefreiheit verfügen, hat es der Gruppe ermöglicht, sich überhaupt über die Gren­ze in ein – nach ihrer Meinung – sichereres Land ab­zusetzen. Ebenso werden die Ursachen für die Flucht der Roma aus Rumänien nur selten erwähnt. Schließlich sind diese nicht freiwillig und aus rein touristischem Interesse nach Berlin gekommen, um in einem Kreuzberger Park mal so richtig gemütlich unter freiem Himmel kostengünstig Urlaub zu machen. Darüber, dass den Ro­ma nach eigenen Angaben in ihrem Herkunftsland die Häuser abgebrannt und zerstört wurden, liest man so gut wie nichts. Ebenso selten wird in der Debatte erwähnt, dass Roma in Rumänien systematisch diskriminiert und rassistisch verfolgt werden, dort keinen gleichberechtigten Zugang zu Bildung, Wohnungen und Arbeit sowie zum Gesundheitssystem haben. So prangert die Menschenrechtsorganisation Amnesty international in ihrem Länderbericht 2009 zum wiederholten Mal an, dass die rumänischen Behörden keinerlei Maßnahmen ergriffen, um diese Missstände zu beseitigen.

Für das Vorgehen der Berliner Behörden scheinen diese Aspekte keine sonderlich große Rolle zu spielen. Vielmehr will sich die Stadt des Problems entledigen – die Roma sollen so schnell wie mög­lich wieder in ihr Herkunftsland abreisen. Deshalb sorgte ein Vorschlag der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) Ende vergangener Woche für einigen Aufruhr. Diese hatte vorgeschla­gen, die Roma sollten beim Ordnungsamt ein Gewerbe anmelden und so die bis 2011 einge­schränk­te Arbeitnehmerfreizügigkeit umgehen, indem sie sich selbständig machten. So hätten die Roma die Möglichkeit, sich länger als drei Mo­nate in Deutschland aufzuhalten und ihrem Geschäft nachzugehen, etwa an Ampeln für ein kleines Entgelt Windschutzscheiben zu putzen. Der SPD-Rechtspolitiker Fritz Felgentreu übte energisch Kritik an Knake-Werners Idee: Es sei nicht die Aufgabe des Senats, Ratschläge zu ertei­len, wie man die Aufenthaltsbestimmungen der EU unterlaufen könne. Gegen die EU-Freizügigkeits­richtlinien verstößt Knake-Werners Vorschlag jedoch nicht, was Felgentreu in der Aufregung wohl vergessen haben muss.
So pfiffig die Idee der Sozialsenatorin auch ist, sie scheint nicht sonderlich erfolgversprechend zu sein. Bislang haben sich noch keine Roma bei einem der Bezirksämter gemeldet. Einerseits dürfte die Begegnung mit der Polizei und anderen Vertretern deutscher Behörden ihr Vertrauen in die Institutionen nicht gerade geweckt haben. Andererseits ist ein gewisser Aufwand damit verbunden, ein Gewerbe anzumelden. Dazu müssen eine Anmeldegebühr entrichtet und der Nach­weis erbracht werden, dass ausreichende Mittel zur Existenzsicherung der gesamten Familie vorhanden sind.
Doch die Roma befinden sich darüber hinaus in einem noch ernsthafteren Dilemma: Obwohl sie wegen der Verfolgung in Rumänien zu Flücht­lingen geworden sind, werden sie als EU-Bürger nicht als solche anerkannt. Zwar ist es ihnen wegen der Reisefreiheit möglich, als Touristen für drei Monate nach Deutschland einzureisen, dort werden sie aber wegen ihres Touristenstatus nicht als schutzbedürftig angesehen. Deshalb kön­nen sie keine Unterstützung oder Leistungen beispielsweise im Rahmen eines Aufnahmeprogramms in Anspruch nehmen. Angesichts der anhaltenden Diskriminierung und auch der gewaltsamen, rassistischen Verfolgung von Roma nicht nur in Rumänien, sondern auch in anderen osteuropäischen Ländern wie Tschechien oder Ungarn wäre ein solches Programm aber dringend notwendig.

Deshalb hat Pro Asyl vor der Innenministerkonferenz in der vergangenen Woche zum wiederholten Mal auf die Lage von Flüchtlingen hingewiesen und die Innenminister angehalten, ein kontinuierliches Programm zur Aufnahme beson­ders schutzbedürftiger Personen und Personengruppen wie etwa der Roma zu verabschieden. Die Innenminister diskutierten stattdessen u.a. über die Einführung einer Buchhaltungspflicht für Altmetall und Schrott. Das dürfte die Roma in Spandau wenig interessieren, es sei denn, sie melden doch noch ein Gewerbe im Schrotthandel an.