Das DMY-Designfestival in Berlin

Billy lebt nicht mehr hier

Was kommt nach Omas Schrankwand und Vaters Regalsystem? Auf dem Berliner DMY-Designfestival wurden umzugskompatible Lösungen für die Generation flexibler Freiberufler vorgestellt.

Design definiert die Räume, durch die wir uns bewegen, in denen wir wohnen und arbeiten, und begleitet uns in unseren Alltagsroutinen. Dieser Mechanismus scheint so selbstverständlich, dass wir ihn kaum bemerken. Es sei denn, die schicke Espressomaschine gibt morgens den Geist auf, oder wir sitzen mal wieder in einer neuen Wohnung und scheitern am Wiederaufbau unserer Möbel, weil wir die ohnehin kryptische Gebrauchsanleitung nicht mehr finden. Beim diesjährigen internationalen DMY-Designfestival in Berlin suchte vor allem der Nachwuchs nach dem passenden Design für die flexibilisierten Lebensentwürfe. Wir richten uns in Zwischen­räumen ein, umgeben von Kabelsalat, Umzugskisten und Koffern. Die auf Ewigkeit angelegte Schrankwand der Großeltern passt ebenso wenig in dieses temporäre Leben wie die raumgreifenden Regalsysteme für die umfangreichen Platten- und Büchersammlungen der Elterngeneration. Die Zukunft des Wohnens liegt in leichten Möbeln, die sich der ständig variierenden Größe der Wohnflächen und den wechselnden Bedürfnissen ihrer Benutzer anpassen.
»Wo tut’s weh?« wäre die Frage gewesen, auf die der Berliner Möbeldesigner Daniel Lorch gerne geantwortet hätte. Rückenschmerzen resultieren ja nicht nur daraus, dass wir stundenlang regungslos Bildschirme anstarren. In den Zeiten von Easyjetset, kurzfristigen Engagements in unterschiedlichen Städten und Arbeitstagen, die bis in die Nacht dauern, schleppen wir einfach ziemlich viele Dinge, die wir mögen und brauchen, permanent mit uns herum. Und beim nächsten Umzug beginnen wir wieder mit dem großen Aussortieren. Spätestens, wenn man auf Ebay keine Abnehmer gefunden hat und sich mit den Restbeständen der bis­herigen Lebensphase in die Schlange vor dem »Wertstoffhof« einreiht, wird offensichtlich, dass wir nicht nur Elektroschrott zurücklassen. Die Begriffe »Downsizing« und »Sustainability« bestimmen die Diskurse, die über zukünftiges Design geführt werden.
Der Fokus des Festivals lag auf Design aus den Niederlanden, einem Land, das sich nicht nur durch zukunftsweisende und konzeptuel­le Designprojekte auszeichnet, sondern auch die Produktionsprozesse systematisch auf »Nachhaltigkeit« umstellt. Die Arbeiten aus dem Umfeld der Design Academy Eindhoven oder des Sandberg-Instituts werden von internationalen Galeristen, Kuratoren und Designern alljährlich ungeduldig erwartet, weil sie ironische und gleichzeitig am Benutzer orientierte Design­statements zur gegenwärtigen Lebensrealität liefern und Impulse für technische Innovationen geben.
Die Plakette »recyclable« ist nur ein Kompromiss, wenn es tatsächlich um »Nachhaltigkeit« gehen soll. Natürlich brauchen wir umweltfreundliche Materialen, die nach dem Wegwerfen und bei der Weiterverarbeitung nicht zur toxischen Gefahr werden. Das Umdenken muss allerdings schon früher einsetzen, bei der Herstellung von Designprodukten. Die Eindhoven-Absolventen Katharina Mischer und Thomas Traxler arbeiten in ihrem Wiener Studio an Projekten, bei denen die Wechselwirkung von Umwelt und Wohnung spürbar wird. Ihre Produktions-Installation »The Idea of a Tree« wurde von der Jury mit einem Award ausgezeichnet. Die Maschine wird mit einer Solarzelle betrieben und produziert je nach Sonnenscheindauer und -intensität schnell oder langsam Objekte, auf denen man sitzen oder Kaffeetassen abstellen kann. Bei der Youngsters-Ausstellung wurden Prototypen gezeigt, die sich konzeptuell von den Mechanismen der industriellen Massenherstellung lösen.
Die Zukunft des Designs scheint in einer Symbiose aus Technik, Ästhetik und umweltverträglichen Materialien zu liegen, die sich an Menschen und ihren emotionalen Bedürfnissen orientiert. Kompakte Sofalandschaften, Schrankwände und Einbauküchen, also alles, was früher einmal so etwas wie Zuhause-Sein signalisierte, gehören wohl nicht mehr dazu. Stattdessen wurden an Wänden montierte Stecksysteme für die Sortierung unseres Kabelsalats gezeigt und signifikant viele Leuchtobjekte, die natürlich den Vorteil haben, dass sie leicht transportierbar und somit umzugskompatibel sind. Mit technisch aufgerüsteten Lampen wird die Interaktion zwischen dem Designobjekt und seinen Benutzern durchgespielt. Sie reagieren auf die Bewegungen der anwesenden Körper im Raum und liefern die passende Beleuchtung für die jeweilige Situation – egal, ob man gerade ein Buch liest, Koffer packt oder mal wieder all die Dinge sucht, für die sich immer so schlecht festgelegte Plätze finden lassen. Bei den Lampenschirmen wird mit ganz unterschiedlichen Materialien gear­beitet. Angora, Filz und andere Stoffe aus dem Handarbeitssektor schaffen eine flauschige, heimelige Atmosphäre und signalisieren Wohnkomfort, selbst dann, wenn das restliche Inte­rieur kaum vorhanden ist oder sich noch in der Auf- bzw. schon wieder in der Abbauphase ­befindet.
Die Verwendung von Stahl und Beton folgt anderen Implikationen. Hier werden zwar auch durchaus filigrane Objekte mit interessanten Lichteffekten hergestellt, mit diesen Baumaterialien aus der Architektur des öffentlichen Raums wird aber auch deutlich, dass Wohnräume sich nicht mehr über eindeutige Funktionszuweisungen definieren. Die Küche könnte auch ein Büro sein, und das nicht nur bei Freiberuflern, seit Arbeitgeber wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Privaträume der Mitarbeiter auch jederzeit als Home-Office genutzt werden können.
Aus der Beobachtung, dass sich die öffentlichen und privaten Raumverhältnisse verschieben, Wohnungen sich zu Arbeits- und Produktionsstätten transformieren und ehemals öffentliche Räume durch großangelegte Investorenprojekte privatisiert werden, haben vor allem international renommierte Designer den öffentlichen Raum als Beschäftigungsfeld entdeckt. An der Schnittstelle zwischen Kunst, Design und Architektur bewegt sich das Projekt »The Flying Grass Carpet« aus Rotterdam, dieser temporäre Kunstpark kann jederzeit als Intervention im öffentlichen Raum installiert werden. Berliner Designer entwerfen Sitzbetonmöbel, »die wie ein Fels in der Brandung im hektischen Treiben unserer Städte stehen«, mit ihrer Produktlinie »Moebelbeton« befriedigen die Ingenieure allerdings auch das Bedürfnis nach massiven Möbeln für die Ewigkeit, das im vorigen Jahrhundert noch in Privatwohnungen ­bedient wurde. Das Möbel »You may (take the public space)« aus dem Walking-Chair-Design-Studio in Wien zeigt schon mit seinem Namen, dass dieses Projekt im Kontext von »reclaim the streets« zu verorten ist. Das Modell bietet 15 Personen Platz, Passanten können es als Bank, Konferenztisch oder Bar nutzen – auf Straßen, aber auch in Innenräumen. Eine gute Idee für unwirtliche Orte wie den Potsdamer Platz oder unsere neuen Bahnhöfe, bei deren Planung wohl alle vergessen haben, dass Menschen gerne sitzend warten.