Hartz-IV-Mehrbedarf nach Body-Mass-Index

Krank sein macht hungrig

Die deutschen Behörden haben es sich selbst empfohlen: Nicht wegen jeder schweren Krankheit muss Hartz-IV-Empfängern ein Anspruch auf Mehrbedarf für Ernährung gewährt werden – die Personen müssen vor allem Gewicht ver­lieren.

Neulich wurde in der »Tagesschau« die frohe Botschaft verkündet: Hartz-IV-Empfänger erhalten ab Juli etwas mehr Geld. Was sich durch solche Bekanntmachungen wie ein großzügiger Gnadenakt ausnimmt, ist aber bloß eine regelmäßige Anpassung, nichts für die Nachrichten also.
Wirklich berichtenswert hingegen wäre gewesen, dass Hartz-IV-Empfängern der Mehrbedarf für Ernährung nicht mehr allein wegen schwerer Krankheit gewährt wird – und zwar auf Empfehlung des »Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge«, der im Internet schlicht als »deutscher Verein« auftritt, was nicht nur Nazis irritieren dürfte. Dieser Verein ist aber keine unabhängige soziale Einrichtung, wie man es bei einer Organisation annehmen könnte, die sich der »öffentlichen Fürsorge« widmet. Zu seinen Mitgliedern gehören der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der deutsche Städte- und Gemeindebund. Diese haben sich also mittels des eigenen Vereins die Empfehlung selbst gegeben. Wie praktisch. Das spart eine Menge Geld, und darüber hinaus können Ämter und Behörden etwaige Beschwerden einfach an den Verein weiterleiten, dessen Rat sie ja bloß befolgt haben.

Naive Zeitgenossen haben der Mehrbedarfsregelung bisher unter Umständen einen gewissen Sinn unterstellt. Wer etwa HIV-infiziert ist, Krebs, multiple Sklerose oder andere fiese Erkrankungen hat, der sollte sich wenigstens vernünftig ernähren können, um alles nicht noch schlimmer zu machen, als es schon ist. Der sollte es sich jedenfalls besser gehen lassen, als es der herkömmliche Hartz-IV-Satz vorsieht. Der sollte nicht ausschließlich Industriemüll essen müssen, sein Brot beim Bäcker kaufen können, beim Biobäcker gar, was nicht selten das Zwei- bis Dreifache kostet. Der sollte sich frisches Fleisch und frischen Fisch leisten können, vielleicht sogar einen Fleischer finden, der seinen Schinken nicht mit Nitritpökelsalz vergiftet. Der sollte sich Speisen zubereiten dürfen, die nicht gänzlich mit den hässlichen Zusatzstoffen mit dem Anfangsbuchstaben E durchsetzt sind, die auf den Verpackungen mancher Produkte in Kolonnen vermerkt sind, oder sich auch mal ein Stück Torte schmecken lassen.

Seit Anfang des Jahres ist die Gewährung von Mehrbedarf aber nicht mehr allein an eine schwere Krankheit geknüpft, kürzlich berichtete das »Gegen-Hartz«-Forum über die Auswirkungen des Beschlusses. Für die Gewährung von Mehrbedarf muss man nun an einer »körperzehrenden Krankheit« leiden. Bei Hartz-IV-Empfängern, die an Diabetes, Aids, Krebs, multipler Sklerose oder Leberinsuffizienz erkrankt sind, wird der Mehrbedarf nicht mehr anerkannt.
Die »körperzehrende Krankheit« ist dabei eine Erfindung, die über den Body-Mass-Index (BMI) bzw. eine auffallende Gewichtsabnahme bestimmt wird. Seltsame Begrifflichkeiten werden von seltsamen Zahlen gestützt: Mit einem BMI unter 19,5 oder einer Gewichtsabnahme von mindestens fünf Prozent hat man Anspruch auf Mehrbedarf. Man muss also ordentlich Hunger haben.

Um eine gute Ernährung für Kranke geht es demnach überhaupt nicht. Die Gewährung von Mehrbedarf soll nicht das Leben Kranker verbessern. Sie ist bloß noch eine Mastzulage für Hartz-IV-Empfänger mit Gewichtsverlusten.