Lebensmittel im Selbstversuch

Cuisine d’usine

Analogkäse, Gelschinken und ­andere Leckereien sorgen in Deutschland für eine große Diskussion um Lebensmittel. Das Gourmet-Ressort der Jungle World hat einige ausgesuchte Delikatessen einer Degustation unterzogen.

Surimifleisch

Der Connaisseur weiß es längst: Nur in Surimi entfaltet sich das volle Aroma des Ozeans – nicht umsonst nennt sich der Hersteller »Oceansea«. Fangfrisches Fischmuskeleiweiß wird unter Zugabe ausgewählter Zutaten (Sorbit, Mononatriumglutamat, Trinatriumphosphat, Hühnereiweiß) zu einer bekömmlichen Masse gepresst. Für den einzigartigen Geschmack sorgt authentisches Krabbenaroma. Doch nicht nur die Geschmacksnerven dürfen sich freuen. Capsanthin und Cochenillerot A schenken dem Surimifleisch den charakteristischen zarten Farbton zwischen Ne­onrot und Knallrosa. Noch dazu wird jedes Surimi-Mahl zu einem Fest für Freunde des Fingerfood: Feucht und ölig gleiten die Stückchen dieser Delikatesse geschmeidig von der Hand in den Mund, wo ihre unerhörte Elastizität einen lang anhaltenden Kaugenuss beschert.

Joghurt mit Vanillegeschmack

Der moderne Joghurtfreund muss dank der Firma Milbona keine Kompromisse mehr eingehen: Auf jedem Löffel ballen sich Gesundheit und Geschmack – dank Zucker, Glucose-Fructose-Sirup (aus Weizen), Vollmilchpulver, Süßmolkenpulver, Sojalecithinen, Verdickungsmittel, Säureregulator E 330, Farbstoff E 160a, alles abgerundet mit einer Prise Emulgator E 476 und erlesenen Aromastoffen. Was den bewusst konsumierenden Genießer zusätzlich freut: Der Joghurt wurde besonders umweltschonend hergestellt – anders als es die abgebildeten Vanilleblüten auf der Verpackung suggerieren, kam im Verlauf der Produktion keine einzige Vanillepflanze zu Schaden.

Erdnüsse mit Wasabi-Geschmack

Der in Gourmetkreisen bislang zu wenig gewürdigten Firma Lorenz ist es gelungen, die Genüsse der Anden und des Fernen Ostens in einer originellen Komposition zu vereinen. Diese Kreation erfreut mit ihrer farblichen Harmonie das Auge, die blassbraune Erdnuss bringt das leuchtende Grün des knusprigen Teigmantels zur Geltung. Jede Nuss ist ein Genuss, denn statt des unverträglichen, japanischen Wasabi sorgen die schmackhaften Säuerungsmittel E 262 und E 330 für eine wohltuende Schärfe, die Ihren Magen nicht belastet. Abgerundet wird die Gaumenfreude durch das heilsame Spirulina-Konzentrat, die munteren kleinen Cyanobakterien machen sich nach dem Verzehr umgehend daran, Ihren Cholesterinspiegel zu senken.

Schoko-Gelee-Bananen

Es ist der köstliche Duft synthetischer Substanzen, der die Nase des Genießers umweht: Leider steht in der Liste der Inhaltsstoffe schlicht »Aroma«. Dabei kommt es dem Feinschmecker gerade hier auf die genaue Sorte und Herkunft an: Sind es die edlen Aromen der Symrise AG aus Holzminden oder erlesene Chemikalien aus osteuropäischen Labors? Im vergangenen Jahr wurden die »Schoko-Gelee-Bananen« verdient mit dem »Goldenen Preis« der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft prämiert, wegen der leckeren, gesunden Zutaten aus der Landwirtschaft (Zucker, Wasser, E 476). Die fein abgestimmte Mischung aus Zucker und Wasser überzeugt auch den anspruchsvollen Gaumen rundum. Und das Beste ist: Man muss die Kakaomasse nicht entfernen, wenn man die Delikatesse als Alleskleber verwenden möch­te. Es fragt sich nur, warum der Hersteller sein Produkt mit der Abbildung einer riesigen, hässlichen Banane verunziert.

Käse »Fol Epi Nuss«

Wer braucht eigentlich banalen, altmodischen Käse, wenn er sich ein fortschrittliches, zeitgemäßes Käsesubstitut leisten kann? »Fol Epi Nuss« ist mehr als bloß Käse: hochmoderner Digitalkäse gewissermaßen, Käse 2.0, eine mit kostbaren Phosphaten (E 339) und ausgewählten Polyphosphaten (E 452) verfeinerte »französische Spezialität« (Packungsaufdruck), die zum Teil liebevoll aus diversen Käseresten zusammengeschmolzen wird und die man auch essen kann, wenn man will. Besonderen Wert legt man auf das traditionelle Herstellungsverfahren (»Schmelzkäsezubereitung«), bei dem die Beimischung von gepresstem Fischmuskeleiweiß nicht erlaubt ist. Und jetzt kommt das Beste: »Die Scheiben befinden sich in Verpackung, welche größtenteils transparent ist. So kann man den Inhalt jederzeit gut erkennen«, schreibt eine begeisterte Dame im Internet.

Hähnchenschnitten Cordon-bleu-Art

Die goldgelb gebackene Hähnchenschnitte Cordon-bleu-Art in ihrer knusprig-feinen Panade ist eine Zier für jede Speisekarte. Egal ob im Ofen oder in der Pfanne zubereitet, inspiriert die wohl verführerischste Köstlichkeit aus dem überfüllten Hühnerkäfig Gourmets mit ihrem unvergleichlichen Duft und Geschmack. Frisch aufgetaut schmeckt der hauchzarte Verschnitt aus Stücken von Hähnchenfleisch wie ein echtes Hähnchenschnitzel. Die liebevoll zusammengepresste Masse umhüllt eine fein abgestimmte Füllung aus saftigem Formfleisch-Putenkochschinken und Käse. Doch Achtung: Während sich kürzlich noch die milden Aromen von Analogkäse nach Art des Hauses der Vossko GmbH & Co. KG aus Pflanzenfett, Milcheiweiß und Geschmacksverstärkern im Gaumen verewigten, verwendet das Unternehmen mittlerweile nur noch herkömmlichen Käse. Ein Mythos ist entzaubert.

Alle Fotos: Jungle World