Französische Arbeiter drohen mit der Sprengung von Fabriken

Erst mal eine Maschine anzünden

Erst entführten sie die Firmenmanager, nun drohen sie mit der Sprengung von Fabriken: In Frankreich spitzt sich der Protest von entlassenen Arbeitern zu. In einigen Fällen konnten sie sich mit ihren Forderungen nach akzeptablen Abfindungen durchsetzen.

»Fing das Boss-Napping an, die öffentliche Meinung zu langweilen? Das Butangas hat ihr Interesse wieder geweckt«, kommentierte die Pariser Tageszeitung Libération treffend die jüngsten Entwicklungen bei den Kämpfen französischer Fabrikarbeiter in Zeiten der Krise.
Aus Protest gegen ihre Entlassung drohten in der vergangenen Woche abhängig Beschäftigte dreier französischer Unternehmen damit, entweder die Maschinen, an denen sie bislang arbeiteten, oder aber das Produkt ihrer Arbeit in die Luft zu jagen.
In allen drei Fällen handelt es sich um Zulieferer von Großkonzernen, die in den vergangenen Monaten Konkurs angemeldet haben. Ihnen geht es nun zuerst an den Kragen, sie dienen als Puffer der Mutterkonzerne, die ihr Stammpersonal vorläufig ruhig halten wollen.
Was würde die Entführung des Chefs eines insolventen Subunternehmens bringen? Offenbar nichts, scheint das Kalkül der von der Entlassung bedrohten Arbeiter gewesen zu sein. Deshalb versuchten sie, durch ihre spektakulären Ankündigungen die Aufmerksamkeit der Firmenzentralen, der Öffentlichkeit und der Politik auf sich zu ziehen. Sie entschlossen sich dafür, mit Konsequenzen zu drohen, für den Fall, dass sie ohne halbwegs annehmbare Abfindungszahlungen entlassen werden.

Bei Nortel, einem US-amerikanischen Hersteller von Elektronikkomponenten in Châteaufort bei Versailles, drohten die Beschäftigten vergangene Woche damit, die zehn Gasflaschen, die sie an einem Brunnen aneinandergereiht und mit Drähten verbunden hatten, zur Explosion zu bringen. So wollten sie ihrer Forderung nach 100 000 Euro Abfindung Nachdruck verleihen. Infolge der Insolvenz will die Firma 480 von 680 Stellen streichen. Die Drohung war offenbar erfolgreich. Am Mittwoch ordnete ein Handelsgericht an, die geplante Schließung des Werks vorläufig auszusetzen. Bis zum 20. August, wenn alle Angebote von Aufkäufern gesichtet sind, dürfen keine Kündigungen ausgesprochen werden. Die Beschäftigten zogen ihre Drohung darauf­hin zurück. Industrieminister Christian Estrosi (UMP), der zuvor angekündigt hatte, nicht unter dem Druck einer Drohung zu verhandeln, lobte die »konstruktive Haltung« der Arbeiter und stattete ihnen am Mittwoch selbst einen Besuch ab.
Glimpflich endete auch ein mit vergleichbaren Mitteln geführter Konflikt beim Nutzfahrzeughersteller JLG in Tonneins bei Toulouse. Die Firma war 2006 vom US-amerikanischen Schwermaschinenhersteller Oshkosh Truck übernommen worden. Nach drei erfolglosen Streikwochen stellte die Belegschaft Gasflaschen auf dem Werksgelände auf. Die Beschäftigten drohten damit, fünf Hebebühnen, wie sie in ihrer Firma hergestellt wurden, mit Hilfe von Butangas und entflammbaren Flüssigkeiten in die Luft zu jagen. Die sieben Gasflaschen, die die Polizei freilich ohnehin für leer hielt, kamen allerdings nicht zum Einsatz. Am Freitag versprach die Leitung den 53 von der Entlassung bedrohten Lohnabhängigen jeweils die Abfindungszahlung von 30 000 Euro, die sie gefordert hatten.
Noch nichts erreicht haben hingegen 366 Beschäftigte beim Automobilzulieferer New Fabris in Châtellerault in der Region von Limoges. Das seit Mitte Juni bankrotte Unternehmen baut Zubehör für die großen französischen Automobilkonzerne Renault und PSA Peugeot Citroën.
Anfang vergangener Woche hatten die Beschäftigten damit gedroht, ihr Werk in die Luft zu sprengen. Am Donnerstag begab sich eine Delegation von 150 Beschäftigten zum Hauptsitz des langjährigen Auftraggebers Renault in Boulogne-Billancourt bei Paris. Für jeden entlassenen Arbeiter fordern sie Abfindungszahlungen in Höhe von 15 000 Euro. Dieselbe Summe fordern sie auch von PSA Peugeot Citroën. Jahrelang habe der Konzern auf das Subunternehmen zurückgegriffen, um im eigenen Haus Kosten zu sparen, er sei daher für ihr Schicksal mitverantwortlich, argumentieren sie. Renault lehnt die Forderung jedoch rundheraus ab, der Konzern ist der Auffassung, sie ermögliche einen gefährlichen Präzedenzfall, wenn man ihr stattgebe. Wo kämen wir denn da hin, wenn die Konzernzentrale jahrelang Outsourcing betreibt und ein Maximum an Tätigkeiten an ein Netz von Subfirmen und wirtschaftlich abhängigen Dienstleistern auslagert, nur um dann für deren Lohnabhängige in die Verantwortung ge­zogen zu werden? Der Firma ist nun ein Ultimatum bis Ende Juli gesetzt. Am Donnerstag erklärten die Beschäftigten ihre Absicht, »erst einmal eine oder zwei Maschinen in Brand zu setzen«. Einen Tag später verliehen sie dieser Ankündigung Nachdruck, indem sie tatsächlich Feuer an eine Maschine legten, die speziell auf das Herstellen von Ersatzteilen für Renault-Autos verwendet wird.

Ganz »neu«, wie sie in der französischen und internationalen Presse beschrieben wird, ist diese Kampfform allerdings nicht. Bereits im Sommer 2000 hatten abhängig Beschäftigte in der Krisenregion der französischen Ardennen – die damals vom allgemeinen Konjunkturaufschwung abgeschnitten waren – zu spektakulären Mitteln gegriffen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Die entlassenen Arbeiter der Textilfirma Cellatex hatten damals angekündigt, 56 000 Liter Schwefelsäure ausschütten zu wollen, die ansonsten zur Kunstseideproduktion dient. Sie erhielten relativ günstige Abfindungszahlungen und Umschulungsprogramme.
Heute ist die Situation anders, denn Frankreich befindet sich nicht in einer Phase des wirtschaft­lichen Aufschwungs wie zu Beginn des Jahrzehnts. Spektakuläre Konfliktformen in Einzelbetrieben sind derzeit darauf zurückzuführen, dass die großen Gewerkschaftsverbände eine ausgesprochen defensive Politik verfolgen. Auf die Erzeugung eines realen sozialen Konflikts haben sie weitgehend verzichtet, obwohl das Potenzial dafür vorhanden wäre. Ende Januar und Mitte März nahmen jeweils über zwei Millionen Menschen an gewerkschaftlichen Demonstrationen teil. Aber die Dachverbände fingen damit nichts an, sondern beließen es bei folgenlosen Spaziergang-Demonstrationen alle sechs Wochen, die ihre Basis frustrierten.
Ein Grund dafür ist, dass die rechtliche Vertretungsmacht oder Tariffähigkeit der Gewerkschaften derzeit reformiert wird, zugunsten der beiden größten Dachverbände CGT und CFDT. Die regierenden Konservativen haben die Notwendigkeit erkannt, nach dem Ende des Kalten Kriegs die nun »postkommunistische« CGT in ihre Sozialpo­litik zu integrieren, um betriebliche Entscheidungen weitaus besser zu legitimieren. Dafür opfern sie nun die kleineren, christlichen und »gelben« Gewerkschaften, die jahrzehntelang künstlich vom Gesetzgeber als Tarifpartner anerkannt waren. Dafür wiederum ist die Spitze der CGT offenbar nur allzu bald bereit, nachzugeben. Aber an ihrer Basis und in einzelnen Betrieben rumort es umso heftiger, wie die jüngsten Aktionen zeigen.