Ein Besuch in der Berliner Disco »Jeton«

Partyschaum und Hiebe

Bevor vier Nazis einen 22jährigen in Berlin beinahe totschlugen, hatten sie die Diskothek »Jeton« besucht. Diese hat seit längerem den Ruf, ein Treffpunkt für rechte Hooligans und Nazis zu sein. Die Jungle World hat sich den Laden angesehen.

»Wart ihr schon mal hier?« Wir schütteln den Kopf. Der bullige Mann kennt anscheinend seine Gäste. »Na gut, dann erkläre ich euch mal, wie das hier läuft: Eintritt kostet 14 Euro, dafür könnt ihr so viel trinken, wie ihr wollt, bis vier Uhr früh.« Wir zahlen die 14 Euro. »So, hier sind eure Bons. Ordnung muss sein. Die gebt ihr an der Bar ab, dann kriegt ihr was zu trinken«, sagt der Einlasser und wünscht uns noch viel Spaß.
Kirmes-Techno rumpelt uns entgegen, als wir die von Schwarzlicht bestrahlte, menschenleere Treppe nach oben nehmen. Auch im ersten Stock, dem Mainfloor der Diskothek in Berlin-Friedrichshain, tritt man sich nicht auf die Füße. Zehn Besucher stehen verloren herum. Die zweite Bar wird gar nicht erst geöffnet, obwohl sich die sechs hartnäckigen Flat-Rate-Trinker, die sich an einem Tisch versammelt haben, alle Mühe geben.

Angesichts der schlechten Presse der vergangenen Woche ist der Mangel an Gästen nicht verwunderlich. Von einer »Nazi-Diskothek« war in den Zeitungen der Stadt die Rede, nachdem vier ­Besucher des Jeton, allesamt Nazis aus Brandenburg, nur 200 Meter vom Eingang entfernt einen 22jährigen beinahe totgeschlagen hatten. Den Ruf, rechte Hooligans und Nazis bei sich feiern zu lassen, hat die Diskothek ohnehin. Der Angriff am vorvergangenen Wochenende scheint Ronny Berkahn, den Betreiber des Jeton, aber um sein Ansehen fürchten zu lassen. In einer Stellungnahme auf der Homepage des Etablissements verwahrt er sich dagegen, einen »Nazi­laden« zu betreiben. Im Jeton feierten »Menschen verschiedenster Nationalitäten (Farbige, Asiaten, Araber, Deutsche etc.)«. In der Presse führte Berkahn sein antirassistisches Credo noch weiter aus: »Türken und Fidschis feiern hier.«
An diesem Abend ist das Publikum überaus homogen. Hier trinken weiße, deutsche Männer. Die zwei Frauen, die gelegentlich durch den Raum huschen, gehören offensichtlich zum Personal. Den DJ scheint es nicht zu stören, dass er nur für Männer auflegt. »Wenn ihr tanzt, brauchen wir keine Mädels mehr!« ruft er den sechs Jungs, die ihren Tisch mittlerweile verlassen haben, durch das Mikrofon zu. Sie verausgaben sich abwechselnd an der Stange, die am Rand der Tanzfläche angebracht ist und an der gelegentlich spärlich bekleidete Animateurinnen mit allerlei Verrenkungen die Laune des Publikums heben, wie ein Blick in die Fotogalerie des Jeton zeigt.
Zwei der jungen Männer kommen an unseren Tisch, fragen nach Feuer und sind gesprächig. »Er ist aus Mahlsdorf, ich bin aus Hellersdorf. Wo seid ihr her?« fragt einer. Wir antworten. »Schade, dass heute nicht so viel los ist. Schaumparty letzte Woche war besser«, befindet der Mann. Auf unserem Tisch liegt ein Flyer, der für den »Schaumparty-Summer of ’09« wirbt. »Partyschaum und Liebe« bzw. »250 000 Liter Schaum pro Minute im Mainfloor« gibt es bis September jeweils am zweiten Samstag im Monat. Zur Schaumparty reisten auch die Nazis aus Brandenburg an, ehe sie anschließend die Lust aufs ­Lynchen überkam. Die zwei Jungs, die uns im Weitergehen noch einmal zuprosten, haben kurz geschorene Haare und bemühen sich, wie harte Kerle aus Ostberlin zu gucken, zu laufen und zu trinken. Um erklärte Nazis handelt es sich offensichtlich nicht. Die tragen keine bunten Shirts von Ed Hardy.

Der Mann, der kurz darauf an uns herantritt, ist auch kein Nazi. »Darf ich euch mal was fragen? Ich bin Journalist«, sagt er. Wir geben uns zu erkennen. Der Mann von der Taz hat sich auch einen etwas ereignisreicheren Abend vorgestellt und will am nächsten Tag wiederkommen.
Nachdem der Kollege gegangen ist, stellt sich ein junger Mann an unseren Tisch und mustert uns wortlos. Dann fragt er: »Ihr seid von der Zeitung, oder?« Wir sind enttarnt. Er will sich aber nur mitteilen. »Ist doch alles harmlos und friedlich hier. Da wird echt viel übertrieben«, sagt er. Und die Nazis, die den 22jährigen beinahe totgeprügelt haben? »Na ja, klar gibt es Nazis im Jeton. Aber nur wenige. Die meisten Leute sind Fußballfans wie ich. Schreib das mal auf.« In der Berliner Zeitung sei er auch schon mal erwähnt worden. »Da steht, dass ich kein Nazi bin. Gib mal ein bei denen: Brand, zwei Wohnungen, kein Nazi.« Die spätere Suche im Internet ergibt nichts. Vielleicht hat der deutlich alkoholisierte Mann die Suchbegriffe ein wenig durcheinan­der gebracht.
Für den DJ gibt es mittlerweile kein Halten mehr. Er hat die Electro-Pop-Hits der Achtziger durchgenudelt und spielt nun brüllend laut ­Peter Fox und Seeed. Noch dazu benebelt er die Tanzfläche. Zum Glück kann man durch eine Tür aus dem Raum, der mit seinen großen Spiegeln an der Wand, der Lasershow und den Disco­kugeln doch sehr an die Achtziger erinnert, über eine Treppe in das obere Stockwerk flüchten.
Die Bar dort ist auch geschlossen. Eine einzelne Gestalt sitzt auf einem Sofa herum. Auf der Toilette hat jemand etliche Aufkleber hinterlassen. »Aktionsfront – Deutsche Zukunft« ist auf manchen zu lesen, ein blondes Mädchen ist abgebildet. Auf anderen steht: »Gegen Globalisierung – dem Unrecht ein Ende«. So genannte Autonome Nationalisten verwenden solche Slogans gern. Nazis waren also da. Vielleicht kommen sie ja zur nächsten Schaumparty wieder.