Das Künstlerduo Gilbert&George

Der Herr meißelt noch

Man kennt die seltsamen Männer in ihren Anzügen, die immer vor den eigenen Kunstwerken posieren, und kennt sie doch nicht. Eine Langzeitdokumentation gibt tiefe Einblicke in Leben und Werk von Gilbert & George.

Bis heute weiß man nicht so recht, ob Gilbert & George nun gewitzte Erfinder, charmant-schrullige Herren oder einfach nur nervige Heißdüsen sind. Wahrscheinlich haben sie von allem etwas – oder besser gesagt: von allem ziemlich viel. Als Künstlerpaar haben sie jedenfalls den Status eines der kuriosesten und signifikantesten Labels im Kunstbetrieb erlangt. Dabei ist ihr Auftreten schon interessanter gewesen als ihre stereotypen bunten Tableaus aus schwarz eingerahmten Rechteckfeldern, mit denen sie seit Jahrzehnten die Wände von Galerien und Museen regelrecht zupflastern.
Zurzeit ist in Berlin eine Ausstellung in der Galerie Arndt & Partner zu sehen – es ist die erste Präsentation ihrer Arbeiten in Berlin seit 15 Jahren. Gezeigt wird eine Auswahl aus ihrer umfangreichen Werkgruppe, den »Jack Freak Pictures«, in den dominierenden Farben und Formen der Union-Jack-Flagge gestaltete Bilder mit bekannten Motiven wie Abzeichen, Medaillen, Bäumen und nicht zuletzt den Selbstporträts der beiden Künstler. Die formale Anordnung und das bildnerische Vokabular sind nur allzu bekannt, weshalb die Bilder fast ein bisschen altmeisterlich wirken, auch wenn in den vergangenen Jahren sämtliche Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung geradezu euphorisch in die Arbeit integriert wurden. So reihen sich in den mandalaartigen Tableaus kaleidosko­pisch zerstückelte Körperteile aneinander und bringen Gilbert & George-Freaks hervor. Einen überraschend normalen und geradezu bodenständigen Auftritt hat das britische Künstlerpaar dagegen in Julian Coles Dokumentarfilm.
Die filmische Herangehensweise des Regisseurs (der u.a. schon als Assistent von Derek Jarman gearbeitet hat) klingt bereits im Titel an. Dies ist kein Film, der von außen auf sein Sujet blickt, sondern einer, der »dabei ist«. »With Gilbert and George« – das signalisiert Zugehörigkeit und Nähe, ein Verhältnis auf Augenhö­he. Über 18 Jahre lang begleitete der Filmemacher die beiden Künstler in ihrem Alltag, auf Reisen und bei der Arbeit. Der Hintergrund dieser Form der Zusammenarbeit ist eine Art Tausch: Nachdem Cole im Jahr 1986 den beiden Exzentrikern Modell gestanden hatte, begann er, ihr Leben und ihre Kunst zu dokumentieren, was in diesem Fall dasselbe ist. Denn Gilbert & George erklärten sich Ende der sechziger Jahre zu »living sculptures« – lebenden Skulpturen, die alles in Kunst überführten, ob sie nun mit Farbe im Gesicht bemalt auf Tischen standen und sangen, philosophierten, sich stundenlang betranken oder auch einfach nur einen gemeinsamen Spaziergang machten … »and that’s what we’re still doing, every day«.
1969 formulierten Gilbert & George sogar eine Art Manifest, das sie bis heute mit einer entspannten Mustergültigkeit befolgen:
Sei stets elegant gekleidet, gepflegt entspannt freundlich höflich und völlig Herr der Lage
Sorge dafür, dass die Welt an dich glaubt und dieses Privileg teuer bezahlt
Beruhige dich nicht, bewerte diskutiere kritisiere nicht, sondern sei ruhig, respektvoll, gelassen
Der Herr meißelt noch, also verlasse deine Werkbank nur kurz.
Man kann sich Gilbert & George kaum als einzelne Personen vorstellen, so sehr sind sie zu einem Paar zusammengeschmolzen – die britische Presse schmähte sie nicht selten als »odd couple« oder sogar als »the oddest couple«, der homophobe Unterton ist dabei kaum zu überhören. Tatsächlich erzählen beide – als Gilbert und George – ganz einfach, klar und alles andere als verschroben von ihrer Kindheit und Jugend, einem Leben in ärmlichen Verhältnissen, als Gilbert Proersch und George Passmore.
In der Bildhauerklasse der St. Martin’s School of Art in London hatten sie sich kennen gelernt und gefunden. Frühe Fotos lassen bereits ihr Gespür für Selbstinszenierung erkennen – ihre handlichen minimalistischen Skulpturen verschwinden hinter ihrer Künstlerpersona, sie wirken wie bloße Accessoires. Mit ihren identischen grauen Maßanzügen schienen die beiden nur auf den ersten Blick einen konservativen bürgerlichen Habitus zu verkörpern, denn ihre Auftritte waren oft provozierend und alles andere als fein. »Conservative anarchists« lautet dann auch Gilberts Selbstbeschreibung. Von Beginn an ist das Projekt Gilbert & George von clever gesetzten Widersprüchen durchzogen. Bürgerlichkeit und Punk-Attitude, Unnahbarkeit und Superdemokratie, Authentizität und Künstlichkeit, Schmutz und Eleganz. »Kunst für alle« lautet der künstlerische Anspruch trotz der hermetisch abgeschlossenen elitären Zweisamkeit bis heute. Kunst für Nicht-Akademiker, für Kinder, ja, für die gesamte globalisierte Welt, wie sie mit ihrer 1993 selbst organisierten und finanzierten Ausstellung in der Nationalgalerie von Peking unter Beweis zu stellen suchten – der Film begleitet auch diese Aufsehen erregende Reise.
Cole kommt in dem umfassenden Künstler-Porträt seinen beiden Protagonisten erstaunlich nahe – ohne ihnen jedoch unangenehm auf den Leib zu rücken. Während er sich selbst aus dem Geschehen hält, stellt er ihnen vielmehr eine Art Bühne zur Verfügung, auf der sie vollkommen frei und entspannt agieren können. Einen Höhepunkt des Films stellt ein Besuch in der Wohnung von Gilbert & George dar, die einem edlen Kuriositäten-Salon gleicht. Zwischen Wandvertäfelungen findet sich englisches Kunsthandwerk aus dem 19. Jahrhundert, kostbare Vasen von Christopher Dresser etwa, und eine große Bibliothek – darunter Katechismen und eine große Sammlung homoerotischer Literatur aus zwei Jahrhunderten. Eine Küche gibt es nicht – Einkaufen, Kochen, Abspülen, das sei doch reine Zeitverschwendung. Stattdessen zelebrieren sie die Beschränkung auf Instantkaffee und Teebeutel und den Gang ins ewig selbe Café und Restaurant – natürlich zur ewig selben Uhrzeit.
Als Scharlatane, Ironiker oder Provokateure wurden Gilbert & George in der Vergangenheit bezeichnet. So hat etwa ihr Umgang mit spektakulären und spekulativen Themen – etwa der Einsatz der Swastika, das Porträt eines jugend­lichen Migranten mit dem Titel »Paki« oder auch die Zurschaustellung der eigenen Exkremente in den »Naked Shit Paintings« – immer wieder heftige Kritik von Seiten verschiedenster »po­litical-correctness«-Hüter auf sich gezogen. Sie seien Rassisten, Nazisympathisanten oder Pädophile, war etwa zu hören – reflexhafte Anfeindungen, gegen die sich Gilbert & George in dem Film erfolgreich zur Wehr setzen. Etwa indem sie ihre Arbeit in den Kontext ihres unmittelbaren Lebensumfelds stellen – seit vier Jahrzehnten bewohnt das Künstlerpaar ein Haus in der Fournier Street im ärmlichen Londoner East End, ein vor allem von Migranten aus Bangladesh bewohnter Stadtteil. Der naive Humanismus, den die beiden hier als Generalwaffe in Stellung bringen – nämlich, dass ihre Form der Aufklärung zu Toleranz und Liebe führe –, ist natürlich etwas wunderlich. Aber auch wenn das Bestehen auf Authentizität bei der extremen Künstlichkeit ihres Konzepts geradezu schrullig anmutet: Die unmittelbaren sozialen und kulturellen Verhältnisse haben sie in ihren Arbeiten immer gespiegelt. Für Cole sind die beiden deshalb auch als unmittelbare Zeitzeugen interessant – obwohl Gilbert &George selbst gegen die Zeit seltsam resistent erscheinen.

»With Gilbert & George«. Dokumentation von Julian Cole. Start: 30. Juli

Gilbert and George: Jack Freak Pictures. Galerie Arndt & Partner. Bis 18. September