Punk, Cartoons und Widerstand

Berlin Beatet Bestes. Folge 6. Niebiesko Czarni: Ringon (1965).

Im Februar 2008 hatte ich Besuch von Szymon, einem befreundeten Comic-Verleger aus Warschau. Ein guter Anlass, Singles der polnischen Beatgruppen Niebiesko Czarni, Dzikusy und Skaldowie zu posten. Zwei der Umschläge waren von der polnischen Cartoonistin Anna Goslawska (1915–1975), kurz Ha-Ga, gezeichnet, die mit dem bekannten Cartoonisten Eryk Lipinski verheiratet war. Gemeinsam mit Szymon suchte ich im Internet nach Informationen über Ha-Ga. Über jede noch so unbekannt erscheinende Rockgruppe fanden sich Informationen, so auch über polnischen Beat und Punk. Der 1955 geborene Sohn von Ha-Gas Ehemann Eryk Lipinski, Tomek Lipinski, war eine Schlüsselfigur in der polnischen Punk-Szene der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Er spielte in den Punkbands Tilt und Brygada Kryzys und ist heute ein bekannter polnischer Rockmusiker. Sein Vater Eryk Lipinski, einer der einflussreichsten polnischen Cartoonisten, war Gründer und Chefredakteur der wichtigsten polnischen Satirezeitschrift Szpilki, im Zweiten Weltkrieg aktiv im Widerstand und Häftling in Auschwitz. 1978 gründete er das Karikaturenmuseum in Warschau.
Etwas über seine Frau Ha-Ga in Erfahrung zu bringen, war erheblich schwieriger. Ihr Leben schien sich um Cartoons, Punk und Anti-Nazi-Widerstand zu drehen, das ergab sich aus den von Szymon übersetzten kurzen Texten und einem kleinen Artikel aus dem zu DDR-Zeiten erschienenen Magazin.
Zwei Monate später meldete sich Zusanna, die Tochter von Ha-Ga, bei mir. Auch sie hatte im Internet nach Informationen über ihre Mutter gesucht und war auf meinen Beitrag gestoßen. Zusanna, selbst Grafikerin, die mittlerweile in England wohnt, war mitten in der Planung zu einer großen Retrospektive des Werks ihrer Mutter im Warschauer Karikaturmuseum. Genauer gesagt, der ersten Ha-Ga-Einzelausstellung überhaupt, denn ihre Mutter hatte sich immer geweigert, ihre Cartoons auszustellen: Cartoons lese man am besten in Zeitungen und Büchern. Zusanna wusste nicht, dass ihre Mutter auch Platten­cover gestaltet hatte, klärte aber auch einige Fehler in meinem geposteten Artikel auf. So ist Tomek Lipinski der Sohn aus Lipinskis zweiter Ehe. Richtig aber ist, dass sie, Zuzanna, die Tochter von Ha-Ga und Eryk Lipinski ist. Im Schatten ihres so bedeutenden Ehemanns zu arbeiten, war sicher nicht leicht. Interessanterweise haben Ha-Gas Cartoons im Gegensatz zu Lipinskis ihren Charme nicht verloren. Ihre großäugigen, immer ein wenig traurig anmutenden Figuren wirken immer noch frisch.
Im Zuge unserer Korrespondenz lud Zusanna mich und meine Freundin zur Ausstellungser-öffnung nach Warschau ein, und im Mai fuhren wir tatsächlich hin. Es wurde ein sehr schöner Abend im Karikaturmuseum. Die Ausstellung zeigte die Originale vieler Cartoons und Plakate und auch eine kleine Sammlung von Ha-Gas Büchern. Zum Dank für die Einladung überreichte ich Zusanna eine meiner Ha-Ga-Singles und einige kleine DDR-Cartoon-Sammelbände, die Ha-Ga-Zeichnungen enthielten. Außerdem trank ich Sekt mit Zusannas Halbbruder Tomek und lernte viele junge und alte polnische Cartoonisten kennen. Alles nur wegen »Berlin Beatet Bestes«.