Umweltschützer in Großbritannien kämpfen gegen neue Startbahnen

Pudding für den Minister

In Großbritannien kämpft die Umweltschutzorganisation Plane Stupid gegen den Ausbau der Flughäfen.

Es waren Bilder, die im sicherheitsbesessenen Großbritannien kaum vorstellbar schienen: Wirtschaftsminister Peter Mandelson fährt vor, steigt aus seinem Dienstwagen, eine junge Frau tritt heran, er neigt sich ihr zu. Dann schüttet sie ihm vor laufenden Kameras einen Becher grüne Puddingcreme ins Gesicht und geht unbehelligt davon.
Die Attacke auf Mandelson im März, kurz bevor der Minister die neue Klima-Strategie der Labour-Regierung verkündete, war eine der spektakulärsten Aktionen von Plane Stupid, einem Netzwerk von radikalen Aktivisten, die sich gegen den geplanten Ausbau der britischen Flughäfen wehren. Leila Deen, die 27jährige Pudding-Attentäterin, rechtfertigte die Aktion anschließend vor den Fernsehkameras: »Das einzig Grüne an Mandelson ist der Schleim in seinem Adern. Seine Entscheidung für eine dritte Startbahn in Heathrow ist gegen die Interessen von Millionen Menschen, die ihr Leben wegen des Klimawandels verlieren werden.«

Spektakulär, basisdemokratisch, manchmal an das individuelle ökologische Gewissen appellierend, präsentiert sich Plane Stupid (»Flugzeug dumm«, ein Wortspiel mit plain stupid, »einfach dumm«) seit 2005 der britischen Öffentlichkeit. Am Anfang stand die Besetzung des East-Midland-Airports bei Nottingham durch 25 Leute, später wurde der Betrieb der Business-Flughäfen Biggin Hill und Farnborough gestört, im Dezember 2008 folgte schließlich der größte Coup. Der Londoner Flughafen Stansted, hauptsächlich von der Billigfluglinie Ryanair genutzt, wurde im Morgengrauen für zwei Stunden wegen einer Sitzblockade auf der Startbahn geschlossen, 56 Flüge fielen aus. Dazwischen gab es immer wieder kleinere Aktionen: Man hängte Transparente vom Dach des schottischen Parlaments und im Flughafen Gatwick auf, beschallte das Privathaus des schottischen Regierungschefs stundenlang mit Fluglärm und störte Reden von Labour-Politikern und Repräsentanten der Industrieverbände.
Plane Stupid hat sich auf strikt gewaltfreie Aktionen verpflichtet. Doch Blockaden sind in der öffentlichen Wahrnehmung für gewöhnlich das eine, Aktionen gegen Personen etwas anderes. Normalerweise können solche Aktionen die mühsam erworbene Reputation einer Gruppe schädigen. Die britische Öffentlichkeit nahm das Puddingcreme-Attentat jedoch eher gelassen zur Kenntnis, ein weiteres Indiz für den Popularitätsverlust, der Labour bei den nächsten Unterhauswahlen eine Niederlage bescheren dürfte. »Es gibt nicht viele Leute, die Mandelson mögen«, sagt Graham Thompson, ein Mitbegründer von Plane Stupid. Mandelson, Spin Doctor von New Labour, musste zweimal wegen Skandalen als Minister zurücktreten, er war EU-Kommissar, bis Gordon Brown ihn im Oktober 2008 erneut zum Minister ernannte.
Sollte Labour im kommenden Jahr die Unterhauswahlen wie erwartet verlieren, dann dürfte dies neben dem Irak-Krieg und den Spesenskandalen auch an einer Umweltpolitik liegen, mit der man unmittelbar Betroffene wie ökoliberale Wählerschichten verärgert hat. Labour will zwar erneuerbare Energien fördern, hält sich in der Flughafenfrage aber an ein Regierungsweißbuch aus dem Jahr 2003. Das sieht bis 2050 eine Verdopplung der bisherigen britischen Flughafenkapazitäten vor. Neben der dritten Startbahn in Heathrow ist eine zweite in Stansted geplant, in Bristol und Edinburgh sollen die Abfertigungsterminals vergrößert, beim Londoner Regionalflughafen Lydd und in Aberdeen die Landebahnen verlängert werden.
Da das Mehrheitswahlrecht die Grünen auf nationaler Ebene zur Bedeutungslosigkeit verdammt, äußert sich der Protest außerparlamentarisch. Die Labour-Regierung steht einer Öko­logiebewegung gegenüber, die größer und radikaler ist als in anderen europäischen Ländern. Was in den neunziger Jahren zunächst mit Camps und Besetzungen begann, die sich gegen Straßenbauvorhaben richteten, konzentriert sich nun auf die Themen Klimawandel und Flughäfen.

An allen Orten, an denen es für den Ausbau vorgesehene Flughäfen gibt, haben sich lokale Bürgerinitiativen gebildet. Thompson glaubt, dass der entscheidende Erfolg von Plane Stupid auf politischer Ebene erzielt wurde. Man habe es geschafft, die verschiedenen Gruppen, die gegen den Flughafenausbau sind, miteinander zu vernetzen. »Dabei ist es nicht gerade einfach, Anwohnerinitiativen mit Gruppen der direkten Aktion an einen Tisch zu bringen. Unser Ziel ist nicht, dass sie uns mögen, sondern dass sie mit uns zusammenarbeiten.« Vor allem aber habe man das Flughafenthema in den Mittelpunkt der Ökologiedebatte rücken können. »Als wir angefangen haben, war der Luftverkehr noch kein Teil der Klimadebatte. Heute gilt er als zentrale Messlatte für einen Wandel in der Klimapolitik.«
Die britischen Gerichte haben inzwischen rund 100 Teilnehmer an Aktionen von Plane Stupid verurteilt, die meisten kamen jedoch mit gemeinnütziger Arbeit davon, Gefängnisstrafen gab es bislang nicht. Die Polizei nimmt Plane Stupid ernster. Sie unternahm mindestens einen Versuch, eine bezahlte Informantin in der Gruppe zu gewinnen. Die Aktivistin Terry Gifford machte den Anwerbeversuch öffentlich und übergab der Tageszeitung Guardian den Mitschnitt eines Gesprächs mit den Beamten.

Ausgerechnet David Cameron, der Vorsitzende der konservativen Tories, hat nun erklärt, er wolle auf die dritte Startbahn in Heathrow verzichten. »Ich kann mich nicht dazu durchringen, auf eine Tory-Regierung zu hoffen«, sagt Thompson. »Aber ich hoffe, dass sie sich gegebenenfalls an ihr Programm halten wird.« Einem Bericht des Evening Standard zufolge rumort es allerdings bei den Konservativen wegen Camerons Absage an den Ausbau Heathrows. Mehrere Minister seines Schattenkabinetts sollen sich intern dafür ausgeprochen haben, über das Thema nach den Wahlen noch einmal zu diskutieren.
Plane Stupid hat auch die Debatte um persönlichen Verzicht neu belebt, die in den Anfängen der Ökologiebewegung intensiv geführt wurde, in den vergangenen Jahren angesichts technischer Innovationen, die an eine Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie glauben ließen, jedoch verebbt ist. Die Gruppe fordert, Kurzstreckenflüge zu meiden und auf die Bahn umzusteigen, wobei unter Kurzstrecken auch viele innereuropäische Reisen verstanden werden. Graham Thompson ist sich im Klaren darüber, dass dies eine Konfrontation mit dem zu einer Jugendkultur gewordenen »Easyjetset« bedeutet, glaubt aber: »Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, muss sich unser Lebensstil verändern.« Leila Deen, so berichtet die Times, nötigte ihrer Familie sogar eine dreitägige Bahnreise zum 60. Geburtstag ihrer Mutter ab – nach Marokko.