Roozbeh Farahanipour über den Iran und die iranische Diaspora in Los Angeles

»Sie hätten mich definitiv umgebracht«

Roozbeh Farahanipour ist Vorsitzender der iranischen säkular-nationalistischen Partei »Marze Por Gohar« (MPG), die sich nach eigenen Angaben an den Studentenunruhen im Juli 1999 beteiligte. Nach den Unruhen wurde Farahanipour im Iran inhaftiert. Im Jahr 2000 entkam er in die USA, wo er seitdem in Los Angeles lebt.

Sie sind fast ein Jahrzehnt nach Ihrer Flucht für kurze Zeit in den Iran zurückgekehrt. ­Warum haben Sie das getan?

Zum einen hatte ich meinen Parteikollegen versprochen, dass ich zum 10. Jahrestag des Juliaufstandes von 1999 da sein würde, das war ein Grund. Zum zweiten wollte ich nach neun Jahren wieder einmal in mein Land. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, aber ich stand auch unter unglaublichem Stress. Ich musste ständig daran denken, was passieren würde, falls das Regime mich festnehmen würde. Sie hätten mich definitiv umgebracht. Mein Todesurteil haben sie schon vor zehn Jahren veröffentlicht.
Zum dritten hatte ich dort Treffen mit einigen meiner Parteikollegen. Es ging dabei vor allem um taktische und organisatorische Fragen, wie man sich bei Demonstrationen verhalten sollte, um die richtigen Parolen auf der Straße, und um die Frage, wie man die Proteste weg von den Themen der so genannten Reformer in Richtung nationalistischer Themen lenken könnte.

Wie frei konnten Sie sich im Iran bewegen?

Das war für mich das Erstaunlichste, was ich auf dieser Reise gelernt habe: wie schwach das Regime momentan ist. Mir ist schon an der Grenze aufgefallen, wie wenig Kontrolle das Regime noch ausübt. Ich hatte meine Absicht, in den Iran zu gehen, über die Nachrichtenagentur Reuters verbreitet. Das Regime wusste also Bescheid, konnte meine Einreise aber nicht verhindern. Erst nachdem ich das Land wieder verlassen hatte, wurde eine unserer konspirativen Wohnungen, in der ich mich aufgehalten hatte, gestürmt. Dabei wurde eine Person getötet.
Insgesamt haben die Sicherheitskräfte die Bevölkerung nicht mehr im Griff. Um ein Beispiel für die desolate Moral innerhalb des Sicherheitsapparats zu geben: Zwei meiner Parteifreunde wurden bei einer Demonstration festgenommen. Die Pasdaran haben sie für zwei Tage eingesperrt, um sie zu verhören. Der Verhöroffizier war zufällig ein Cousin von einem meiner Parteifreunde. Er hat die beiden einfach freigelassen. Dabei ist es möglich, dass die Moral bei den Pasdaran und den Basij noch vergleichsweise hoch ist, die Moral der Angestellten des Ministeriums für innere Sicherheit ist dagegen inzwischen sehr schwach.

Woran liegt das?

Im Sicherheitsapparat des Innenministeriums herrscht große Verunsicherung. Die Sicherheitskräfte sollen heute gegen Leute vorgehen, die selbst einmal gute Beziehungen zum Repressionsapparat gepflegt haben. Rafsanjani, der heute sagt, er sei auf der Seite der Opposition, hat etwa viel Geld in den Aufbau des Ministeriums für innere Sicherheit investiert. Jetzt sollen die Leute im Ministerium für innere Sicherheit gegen ihre einstigen Förderer vorgehen? Sie wurden nur ausgebildet, um die normale Bevölkerung zu bespitzeln, einzuschüchtern und zu foltern. Jetzt, da sie gegen Personen aus den Reihen der Macht­elite vorgehen sollen, sind sie offenbar verwirrt.

Können Sie ein Beispiel nennen, wie Sie das selbst im Iran erlebt haben?

Ich habe häufig gesehen, wie sich Polizeieinheiten bei Demonstrationen offensichtlich neutral verhalten haben. Nicht zu übersehen war auch, dass die Milizen, welche die Straßen außerhalb der Stadt bewachen sollten, keine Anstalten machten, Autos anzuhalten. Wenn das System so stabil gewesen wäre wie zuvor, hätte auch ich sehr leicht verhaftet werden können.
Ich kann nicht genau sagen, wie groß die Zahl der noch vorhandenen Unterstützer des Regimes ist, es ist aber auf jeden Fall eine Minderheit. Die Unterstützer sind meist irgendwie in die Verbrechen des Regimes verwickelt oder ökonomisch vom Regime abhängig. Bei vielen nicht mehr existenten Diktaturen kann man in der Phase des Niedergangs beobachten, wie dieser auf Gedeih und Verderb mit dem Regime verbandelte Block zu bröckeln beginnt. Das sieht man jetzt auch im Iran.

Haben Sie das vor Ihrer Reise so erwartet?

Nein, von dem Ausmaß der Schwäche des Regimes war ich überrascht. Es war eine Entdeckung für mich, als mir klar wurde, dass die Idee des allgegenwärtigen Sicherheitsapparats auch ein Stück Propaganda ist. Das Regime versucht, die Leute einzuschüchtern, indem es so tut, als könnte es alles kontrollieren.

Sie waren an den Studentenunruhen im Jahr 1999 beteiligt. Inwiefern unterscheidet sich der heutige Aufstand von den damaligen Ereignissen?

Der Aufstand von 1999 war der Anfang vom Ende des Regimes. Heute erleben wir den Höhepunkt von dessen Umsturz. Das mindeste, was man sagen kann, ist, dass das Regime heute die Hälfte seiner Elite verloren hat – das gesamte Lager der so genannten Reformer. Leute wie Rafsanjani oder Karroubi können unmöglich noch zurückrudern und wieder Teil des Regimes werden, da der Vertrauensbruch zu groß wäre. Ich übertreibe also nicht, wenn ich behaupte, wir haben mindestens das halbe Regime heute schon gestürzt. Es besteht praktisch nur noch aus Khamenei, Ahmadinejad und den Hardlinern.

Prominente Iran-Experten in Deutschland bezeichneten die Islamische Republik vor kurzem noch als sehr stabil.

Ich bin sehr optimistisch. Ich kann Ihnen zwar nicht sagen, wie lange das Regime noch hält, aber eines Tages werden die Menschen auf der Straße stehen, »Nieder mit der Islamischen Republik« rufen, und plötzlich wird ihnen bewusst werden, dass die Islamische Republik schon nicht mehr existiert. Ich kann diesen Tag sehr klar vor mir sehen, und ich hoffe, ich werde an diesem Tag mit den Menschen auf der Straße sein.

Was haben Sie mit den Menschen im Iran erlebt?

Als ich illegal über eine der Landesgrenzen kam, ging ich zuerst in einige Dörfer und habe dort mit der Dorfbevölkerung geredet. Das Regime behauptet, dass die Leute auf dem Land Ahmadinejad und dessen Politik aus ökonomischen Gründen unterstützen. Aber die wirtschaftliche Lage dort ist ein Desaster. Die Leute in den Dörfern sind zwar keine Freunde der Politik der Reformer, aber das bedeutet keineswegs, dass sie Ahmadinejad unterstützen. Die Menschen dort waren zu 100  Prozent gegen das Regime, und dies fast radikaler als die Leute in den großen Städten. Erst dann bin ich mit einer Gruppe von Parteikollegen nach Teheran gefahren, um bei den Protesten zu sein. Ich habe mich dabei meistens im Hintergrund aufgehalten, aber für eine sehr kurze Zeit war ich auch auf der Straße, im Ganzen weniger als eine Stunde.

Hat niemand bezweifelt, dass Sie wirklich im Iran waren? Gibt es Beweise dafür – etwa Fotos oder Videos auf Youtube?

Der beste Beweis, den ich habe, ist eine Nachricht, die die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna über meine illegale Rückkehr in den Iran veröffentlicht hat. Das war das Komischste, was ich je erlebt habe. Irna hat nicht nur von unserer Pressekonferenz berichtet, auf der wir in Los Angeles über meine Reise informiert haben, Irna hat auch berichtet, dass ich an Demonstrationen in Teheran teilgenommen habe. Damit wurde meine Reise quasi amtlich bestätigt.
Irna verfolgt damit natürlich eigene Motive, da die Agentur fest in Händen von Anhängern Ahmadinejads ist. Solche Meldungen sollen beweisen, dass die Proteste aus dem Ausland gelenkt werden. Aber auch der Angriff auf die konspirative Wohnung im Nordwestiran ist ein Beweis, und ich habe auch ein paar Bilder.

In Deutschland gibt es Exiliraner, die sich zwar mit den Protesten solidarisieren, aber jegliche Einmischung in innere Angelegen­heiten des Iran in Form von Sanktionen zurückweisen. Wie sehen das die Menschen im Iran?

Diese unterschiedlichen Meinungen gab und gibt es überall bei den Iranern im Ausland. Es geht aber darum, was die Menschen im Iran uns sagen. Sie wollen, dass die internationale Gemeinschaft russische und chinesische Firmen für ihre Unterstützung des Regimes abstraft, sie wollen den Boykott von Siemens-Nokia und von Firmen, die Baukräne herstellen, die im Iran als Galgen benutzt werden. Siemens-Nokia wird auch im Iran boykottiert, es wurde auch zum inneriranischen Boykott des staatlichen Telekommunikationssystems aufgerufen.

Wie verhält sich die iranische Diaspora in Los Angeles zu den Protesten?

Jeden Tag findet eine Kundgebung in Los Angeles statt. Vor drei Wochen – exakt ein paar Tage bevor ich aus dem Iran nach Los Angeles zurückkam – haben Iraner unterschiedlicher politischer Richtungen, also Monarchisten, Republikaner, Leute von der nationalen Front, aber auch meine Gruppe, gemeinsam eine Demonstration organisiert. Die Los Angeles Times hat von mehr als 30 000 Teilnehmern berichtet. Das war die größte Demonstration von Exil- und Diaspora-Iranern in den vergangenen 30 Jahren gegen die Islamische Republik.