Über die E-Gitarre im Rockumentary »It Might Get Loud«

Die Götter privat

Das Rockumentary »It Might Get Loud« huldigt der E-Gitarre.

Ein ganzer Film über die E-Gitarre also. Von Davis Guggenheim, dem Typen, der mit seinen Dokumentarfilm »Eine unbequeme Wahrheit« über den Schaumschläger, Fast-Präsidenten, Multimillionär und Um­­weltschützer Al Gore den Oscar bekommen hat. Mit The Edge in einer der drei Hauptrollen, dem Gitarristen der nervigsten Rockband des Pla­neten, U2. Kann das gut gehen? Will man so etwas sehen?
Verblüffenderweise: Ja.
Die E-Gitarre hat in den vergangenen Jahr­zehn­ten, seit sie in der Folge von Kraftwerk und Achtziger-Synthiepop ihre Vormachtstellung als bestimmendes Instrument in der Popmusik vorläufig verloren hatte, so einiges erdulden müs­sen. Westbam forderte »No more fuckin’ Rock’n’Roll« und erklärte Techno zur gitarrenfreien Zone, das Instrument verlor in den Hochzeiten von HipHop, Drum & Bass und tausend weiteren, eher elektronischen Spielarten seine dominante Stellung. Postrock, Gender Studies und die Riot-Grrls schließlich versuchten, der E-Gitarre nach tausend Jahren Schweinerock und Eddie Van Halen auch noch das Phallische auszutreiben, die »Flying V« als Schwanzverlängerung wurde nicht mehr achselzuckend akzeptiert. Und dann band der Künstler Christian Marc­lay eine verstärkte E-Gitarre auch noch hinter seinen Pick-Up-Truck und schleifte das Instrument für sein Video »Guitar Drag« 14 Minuten lang hinter seinem Wagen durch die Gegend, so dass sie vor Schmerz kläglich wimmerte. Als Jimi Hendrix sein Instrument in Woodstock verbrannte, beschwor er den Geist der Gitarre in kultischen Gesten, bei Marclay wird sie einfach nur geschändet.
Genutzt hat das alles nichts. Die E-Gitarre war nie wirklich weg, ganz sicher aber ist sie wieder obenauf und wird es auch bleiben. Die Macht, die von ihr ausgeht, ist einfach zu groß, und immer noch lockt die Versuchung, eine E-Gitarre in einen Marshall-Verstärker zu stöpseln, loszulegen und wenigstens mit seinem Instrument zu kopulieren. Das Aufheulen der E-Gitarre ist da­bei kein subversives Ereignis mehr, wie es dies einst bei Bob Dylan, Jimi Hendrix oder My Bloody Valentine war, sondern gesellschaftlich so akzeptiert, dass die New Yorker E-Gitarren-Lärminstitution Sonic Youth sogar in der Letterman-Show auftreten darf. Ganz domestiziert ist das Instrument trotzdem nicht, es bleibt widerständig und unberechenbar, und immer noch sind Legionen von Musikern dabei, immer wieder neue Möglichkeiten in ihrem Gitarrenspiel zu er­forschen. Die Magie, die von der E-Gitarre ausgeht, ist trotz all der Versuche, ihr diese zu nehmen, letztlich ungebrochen.
In »It Might Get Loud« ist dann auch von der Krise, der E-Gitarren-Krise, keine Rede. Das elektronisch verstärkte Holzinstrument ist hier vielmehr wieder unwidersprochen das ultimative Werkzeug der Rockgötter. Und nur ein Rockgott, auch davon handelt der Film, ist wirklich befähigt, das göttliche Instrument seiner wahren Bestimmung zuzuführen.
Welche Effektgeräte sind wie einzusetzen? Wie entstehen überhaupt bestimmte Riffs und unverwechselbare Sounds? Diesen Fragen geht Regisseur Davis Guggenheim nach, indem er drei Giganten der E-Gitarre aus drei verschiedenen Generationen zu einem Gipfeltreffen und Workshop lädt, bei dem Jack White von den White Stri­pes, The Edge und Jimmy Page, der vor allem mit Led Zeppelin berühmt wurde, Einblicke in ih­re jeweilige Arbeit geben.
Gerade in dem fast schon grotesk überhöhten Aufbau des Films liegt sein Reiz. Drei der Größten treffen sich auf dem Olymp, im Zentrum der Rockmusik, in Nashville. Nein, vor Klischees hatte Guggenheim bei der Konzeption seines Rockumentary wahrlich keine Angst. Von dort aber, vom Berg der Götter, steigen die Giganten herab, geben tiefe Einblicke in ihre Biographien, wer­den persönlich, uneitel und demonstrieren tatsächlich, dass auch sie nur mit Wasser kochen.
Der Film zerlegt somit zumindest teilweise genau den Mythos, den er anfangs vermeintlich befeuert. Jeder der drei Gitarristen scheint vor dem Treffen ehrlich gespannt zu sein auf die an­deren, neugierig auf Musiker, die so ähnlich ticken wie sie selbst und doch so ganz anders sind.
Dort aber, am Ort des Aufeinandertreffens, sitzen sie sich gegenüber, nehmen wieder Menschengestalt an und erzählen von damals, finden zueinander, bevor alle drei gemeinsam im großen Finale zum kollektiven Jammen ansetzen. Jimmy Page berichtet von den Sechzigern, von der Zeit, in der er ein kleiner Mietgitarrist war, ein Sessionmusiker, der für ein paar Pfund pro Aufnahme die Rhythmusgitarre in mittelmäßigen Songs spielte. Erst Mitte der Sechziger gründete er die Yardbirds, um später mit Led Zeppelin einer der berühmtesten Gitarristen aller Zeiten zu werden. Von The Edge erfährt man, dass die ganze Sache mit dem Weltruhm und der Rettung Afrikas eher dem Zufall geschuldet war. U2, die damals noch niemand kann­te, suchten per Annonce jemanden, der ei­ne Gitarre richtig halten konnte. The Edge meldete sich, der Rest ist, wie man so schön sagt, Ge­schichte. Und Jack White arbeitete jahrelang in einer Polsterfabrik in Detroit, bevor er auf die Idee kam, aus seiner Leidenschaft für den Blues mehr zu machen.
Im Lauf des Films wird die E-Gitarre zwar einerseits grenzenlos überhöht, andererseits aber auch immer mehr zum bloßen Bindeglied zwischen drei Persönlichkeiten, von denen jede auf ihre Art fasziniert. Jimmy Page ist der Rockdinosaurier, der Erfinder des »Stairway To Heaven«-Riffs, der Befingerer der doppelhalsigen E-Gitarre, über die später der Punk nicht genug spot­ten konnte, weil sie genau die Gigantomanie verkörperte, die man verachtete. Jimmy Page aber erklärt nochmals genau, warum die Doppelhalsige ihren Sinn hatte, weil er nur dank dieses Instruments bei Konzerten schnell zwischen akustischen und elektrischen Parts wechseln konnte. Und wieder hat man was gelernt.
The Edge ist der Raffinierte. Er ist der wohl am wenigsten virtuose auf seinem Instrument, dafür aber der akribischste Tüftler und letztlich derjenige von den dreien, der den unverwechsel­barsten Markenzeichensound kreiert hat, diese simplen, aber ungemein speziellen U2-Akkorde, wellenartige Klangkaskaden, die unter Einbeziehung der ganzen Palette an Effektgeräten so nur von The Edge aufgetischt werden. Jack White wiederum ist der Purist, der geradezu fanatisch darum bemüht ist, den wahren Geist des Blues und dessen Magie zu erforschen. Dank Jack White wird dann auch der entscheidende Anteil der afroamerikanischen Musik bei der Eta­blierung des E-Gitarren-Sounds gewürdigt. Für Jimmy Page war der Blues enorm wichtig, aber das wird in dem Film kaum betont. The Edge ist eher einer, der sich von den afroamerikanischen Wurzeln der Rockmusik befreit hat und einen eher »weißen« Sound pflegt. In einer denk­würdigen Sequenz sieht man Jack White jedoch ganz hingerissen, als er sein Lieblingsstück des Bluesmusikers Son House vorspielt. Mit den Füßen gibt Son House den Rhythmus vor, dazu singt er, die Performance ist reine Magie. Das, was Son House belegt, können Jimmy Page, The Edge und Jack White nur unterstreichen, nämlich die simple Formel: Es kommt nicht darauf an, was du spielst, sondern wie du es spielst.

Davis Guggenheim: It Might Get Loud. USA 2008. Start: 27. August