Besuch im neuen Ungdomshuset am Stadtrand von Kopenhagen

Living the Dream ganz weit draußen

Im März 2007 wurde das Ungdomshuset in Kopenhagen an eine christliche Sekte verkauft und geräumt. Nach unzähligen Demonstrationen mit heftigen Straßenschlachten erkämpften sich die Aktivisten und Aktivistinnen des Kopenhagener Jugendzentrums ein neues Zuhause. Ein Besuch im neuen Ungdomshuset am Rande der Stadt.

»Living the Dream again & again & …« , steht auf dem Ground 69, dem brachliegenden Areal auf der Jagtvej 69, im Kopenhagener multikulturellen Szeneviertel Nørrebro. Hier stand das Ungdomshuset (dänisch für »Jugendhaus«), das über Jahrzehnte das Zentrum der Kopenhagener Polit- und Subkultur war und im März 2007 geräumt wurde. Doch nicht jede Räumung ist das Ende einer Bewegung. Tausende von jungen Kopenhagenern und Kopenhagenerinnen haben unermüdlich für ein neues Haus gekämpft. Und am Schluss stellte die Stadtverwaltung fest, dass die Ausgaben für ein neues Jugendzentrum günstiger waren als Tausende von Polizeiüberstunden und wiederkehrende Straßenschlachten.

Damit existiert nicht nur ein Symbol der dänischen Bewegung der achtziger Jahre weiter. Das Haus, das erst seit 1982 als Jugendhaus bekannt ist, hat eine lange Geschichte. Es wurde Ende des 19. Jahrhunderts erbaut und wurde als Zentrum der dänischen Arbeiterbewegung schnell als »Folket Hus« (Volkshaus) bekannt. Hier fand am 27. August 1910 der sozialistische Frauenkongress der Zweiten Internationale statt, wo der 8. März zum Internationalen Frauentag erklärt wurde. Einberufen hatte die Konferenz die deutsche Sozialistin Clara Zetkin, unter den mehr als 100 Delegierten aus 17 Nationen waren auch Lenin und Rosa Luxemburg.
In den fünfziger und sechziger Jahren scheiterte der Versuch einer Handelskette, aus dem Haus einen Supermarkt zu machen. 1981 wurde es schließlich von einer Gruppe von Hausbesetzern entdeckt, ein Jahr später wurde die städtische Liegenschaft an der Jagtvej 69 ihnen von der Kopenhagener Gemeinde mit einem permanenten Nutzungsvertrag als Jugendzentrum zur Verfügung gestellt. Das Ungdomshuset wurde zum wichtigsten Zentrum der alternativen Szene – selbst Stars wie Björk oder Nick Cave traten dort auf. Als die Bewegung in den neunziger Jahren an Einfluss verlor, verkaufte die Stadt das unliebsame Zen­trum an eine evangelische fundamentalistische Sekte namens Vaterhaus. Das Nørrebro-Viertel sollte »aufgewertet« werden, am Jagtvej 69 wurde der Bau eines christlichen Zentrums geplant. Im März 2007 kam es schließlich zur polizeilichen Räumung des Ungdomshuset, die Bilder der anschließenden Straßenschlachten gingen um die Welt.
Nach der Räumung forderte eine politisch und kulturell von vielen unterstützte Bewegung ein neues Haus. Unnachgiebig wurde jeden Donnerstag demonstriert, insgesamt mehr als 69 Mal. Ein Höhepunkt der Proteste war die so genannte G13-Ini­ti­ati­ve, eine bereits Monate im Voraus angekündigte Besetzung der städtischen Liegenschaft an der Grøndalsvænge Allé 13 im Nordwesten der Stadt. Am 6. Oktober 2007 versammelten sich rund 5 000 potentielle Hausbesetzer zu einer öffentlich angekündigten Gesetzesübertretung. Die geplante Besetzung konnte zwar mit einem riesigen Polizeiaufgebot verhindert werden, ein Erfolg war sie trotzdem: Thematisierte die Presse zuvor hauptsächlich die Gewalt der Bewegung, stand nun das harte Einschreiten der Polizei in der Kritik. Selbst die Polizei forderte eine politische Lösung, da sie angesichts der vielen Überstunden überfordert war. So kam es zu Verhandlungen um ein neues Haus. Als die Gespräche zwischen den Aktivisten des Ungdomshuset und der Stadtregierung nach einem halben Jahr zu scheitern drohten, rief die Bewegung dazu auf, am 4. April 2008 das Rathaus zu blockieren, bis das Parlament ihrer Forderung nachgibt. Drei Tage vor der Blockade verkündete die sozialdemokratische Bürgermeisterin Ritt Bjerregaard, dass sie ein Haus zur Verfügung stellen würde. Anstatt einer Blockade fand an den verschiedenen Schauplätzen des Widerstands eine Street-Party statt.

Am 1. Juli 2008 war es dann soweit, das neue Zentrum wurde eröffnet. Der Deutsche Historiker Peter Birke, der mehrere Jahre in Kopenhagen gelebt hat und die Geschichte des Ungdomshuset im Buch »Besetze deine Stadt« aufgearbeitet hat, besuchte das neue Haus gut ein Jahr nach der Eröffnung. »Die Erfolgsgeschichte um das Ungdomshuset hat Seltenheitswert, die periphere Lage ist aber eine Niederlage«, sagt er während der rund zwanzigminütigen Busfahrt von der Innenstadt ins Nordwest-Quartier, wo sich das neue Haus befindet. Die zwei langgezogenen Gebäude des neuen Ungdomshuset liegen direkt an einer vierspurigen Ausfallstraße und wirken mit ihren Glasfronten von außen fast ein wenig bieder.
Das Publikum ist dagegen alternativ, multikulturell und sehr jung. In der mit Papiervögeln dekorierten Bar steht Simon, der sich im Haus engagiert. Zuerst will er Birke die professionelle Küche zeigen, »die ist eben erst fertig gebaut worden«, sagt er stolz. In der Mitte stehen ein großer Gasherd mit sechs Platten, rundum sauber glänzende Spülbecken, mehrere Kühlschränke und ein imposanter Mixer – nur der Geschirrspüler fehlt noch. Nach einer Hausbesetzer-Küche sieht es hier definitiv nicht aus. Hier kocht das Küchenteam einmal pro Woche ein günstiges vegetarisches Essen. Gleich nebenan ist das Lesecafé mit Bibliothek, das zweimal die Woche geöffnet ist. »Am Anfang wollte ich im Café politische Diskussionen veranstalten, nun bin ich aber für die Finanzen zuständig und muss mich mit Behörden wegen irgendwelcher Bewilligungen herumschlagen«, erzählt Simon mit etwas Bedauern. Die rund 50 Aktiven – Hausbesetzer, Künstler, Politaktivisten, Studierende und andere – haben in ihrer Freizeit vieles geleistet. Das Projekt ist noch immer im Aufbau, nicht einmal der neue Name steht fest. Nachdem die wichtigsten Einrichtungen fertig gebaut sind, widmet man sich wieder Fragen der Politik. Simon stellt dabei die Grundsatzfrage, wie das Haus in Zukunft genutzt werden soll: »Wollen wir einfach ein subkultureller Treffpunkt sein oder ein politisches Zentrum, in dem die verschiedenen aktiven Gruppierungen engagiert sind?« Die fünf Richtlinien – kein Rassismus, kein Sexismus, keine Gewalt, keine harten Drogen, keine Aus­grenzung von Homosexuellen – genügen vielen nicht. Sie wollen ein stärkeres politisches Profil.
Weiter geht die Führung durch den Gymnastikraum, eine T-Shirt-Druckerei, ein Tonstudio und das Gästezimmer. Die Tour endet auf der Galerie des großen Konzertraums, der für die heutige Party mit violetten Ballons und goldenen Sonnen dekoriert worden ist. Die mit silberner Folie geschmückte Bar leuchtet grell wie ein Zuckerwatte-Stand im Tivoli-Vergnügungspark. Die Stimmung brodelt, in den vorderen Reihen werden Spray­dosen angezündet und es wird gegen die Decke gesprüht. Rund 500 Personen sind da, nicht immer finden so viele den Weg ins Ungdomshuset. »Ins neue Haus kommt man nicht einfach für ein Bier, dazu liegt es zu weit draußen«, erklärt Simon. Und Birke ergänzt: »Das alte Haus war das Herz einer Bewegung mitten in ihrem Territorium.« Kritische Stimmen meinen, das neue Haus werde der Vielfalt der Bewegung nicht gerecht, die auf der Straße war. Ein Problem, das die Aktivisten und Aktivistinnen des Ungdomshuset unterdessen selber erkannt haben. Sie versuchen, mit offenen Sitzungen andere Gruppierungen besser zu beteiligen, die sich um ein neues Zentrum bemüht haben, es nun aber nicht mehr aktiv mittragen.

Eine besondere Herausforderung ist die Lage des Hauses im heruntergekommenen Nordwest-Viertel. Kopenhagen ist eine der teuersten Städte Europas. Die Szeneviertel Nørrebro und Vesterbro befinden sich seit Jahren im Prozess der Gentrifizierung. Durch die steigenden Mieten findet eine Verdrängung alternativer Lebensformen und Menschen mit geringerem Einkommen statt. In der Umgebung des neuen Ungdomshuset ist die Situation noch völlig anders. Nordwest ist ein armes Viertel mit einem hohen Anteil von Migranten, ungelernten Arbeitern und Arbeitslosen.
»Es ist kein Zufall, dass die Stadtregierung der Bewegung ein Haus in Nordwest angeboten hat«, sagt Birke. »Sie erhofft sich, dass das Quartier durch das Jugendhaus mit seinem kulturellen Angebot auch für Schichten mit höherem Einkommen attraktiver wird.«
Die Leute aus dem Ungdomshuset sind sich trotzdem bewusst, dass sie ein junges, dänisches Klientel ins Nordwest-Viertel ziehen werden und so langfristig zur Aufwertung der Gegend beitragen werden. »Ich bin jedoch überzeugt, dass wir die Gentrifizierung positiv beeinflussen können«, sagt Simon und glaubt, dass es nicht zwangsläufig zur Verdrängung einkommensschwacher Menschen kommen muss. »Es hat in der Nachbarschaft bereits einige Aktivitäten gegeben, die mit dem ­Ungdomshuset zusammenhängen, zum Beispiel die Bepflanzung einer Brache oder eine Hausbesetzung.« Weiter hat man sie von Anfang an versucht, die Kids aus der Umgebung direkt ins Projekt zu integrieren, was zum Teil gelungen ist.
»Es ist schon eindrucksvoll, wie viel die Leute in diesem Jahr auf die Beine gestellt haben«, sagt Birke. Fasziniert ist er insbesondere vom bewussten Umgang mit den Konflikten im Quartier. »Es hat eine Sensibilisierung in Fragen der Stadtentwicklung stattgefunden.« Dies hänge sicherlich auch mit den besseren internationalen Kontakten zusammen, etwa zu Aktivisten und Aktivistinnen in Deutschland oder zu solchen in anderen skandinavischen Ländern. Derzeit versucht man in vielen europäischen Städten erkämpfte Freiräume »aufzuwerten«. Umso wichtiger ist das Schicksal des neuen Ungdomshuset, das als Symbol der Bewegung der achtziger Jahre weit über die Grenzen Dänemarks hinausvon Bedeutung ist.
Die Bilder von den brennenden Barrikaden gingen nach der Räumung des Ungdomshuset im Mai 2007 um die Welt. Nun steht der nächste Konflikt bevor.

Anfang Juni wurde in der internationalen Presse das bevorstehende Ende der »Freistadt« Christiania vorhergesagt. Das seit 1971 besetzte Areal mit rund 1 000 Bewohnern und Bewohnerinnen ist noch immer ein Zentrum der alternativen Szene. Eine baldige Räumung hält Klaus Danzer, Bewohner von Christiania, jedoch für unwahrscheinlich: »Der dänische Staat stellt Christiania nicht grundsätzlich in Frage«, meint er. Der Druck zur so genannten Normalisierung habe unter der rechtsliberalen Regierung, die 2001 an die Macht kam, aber stark zugenommen.
Seit 2003 geht die Polizei mit harter Hand gegen den Verkauf von Cannabis vor. Im Café Månefiskeren hat es seither mehr als 6 000 bewaffnete Inspektionen gegeben. Die Folge war, dass der Drogenhandel sich unterdessen über die ganze Stadt ausgebreitet hat und der Markt umkämpft wird, auch mit Gewalt. Die repressive Drogenpolitik der Regierung von Fogh Rasmussen steht vor dem totalen Fiasko. Erst kürzlich ließ die Polizei verlauten, Christiania sei »verlorenes Gebiet«.
Weiter möchte der dänische Staat die Selbstverwaltung im Gesundheits- oder Bildungsbereich von Christiania einschränken, und er macht den Bewohnern und Bewohnerinnen das Nutzungsrecht streitig. Mit dem Eigenleben der Freistadt soll Schluss sein, ein Teil des Areals soll mit Wohnungen bebaut werden. Wer nach Juni 2005 eingezogen ist, hat keinerlei Rechte mehr. Ein Rechtsmittel von Christiania gegen diesen Beschluss wurde in erster Instanz nun abgewiesen, was zu den erwähnten Medienberichten geführt hat. Neu eingezogene Bewohner unterliegen einem hohen Druck und werden zum Verlassen des Areals aufgefordert. »Aufgrund der ungewissen Situation warten die Leute immer häufiger mit Renovierungen«, erzählt Klaus. »Das killt uns!« lautete sein Fazit. Die Christianitter, so nennen sich die Bewohner des »Freistaates«, wollen in die nächste Instanz gehen. Wahrscheinlich ist aber, dass der Sonderstatus auch vom höchsten dänischen Gericht abgelehnt wird. Bis zu diesem Entscheid müssen sich die Bewohner von Christiania auf einen Plan B einigen. Gelingt dies nicht, stehen Kopenhagen erneut unruhige Tage bevor.