Die deutsche Linke und die Proteste im Iran – über das Schweigen der Linken

Des Ayatollahs nützliche Idioten

Das Schweigen vieler Linker zu den Protesten im Iran ist die Konsequenz aus ihrer Unterstützung der islamischen Revolution von 1979.

Diese Disko-Tranche zum Iran begann mit der Beschwerde der »Autonomen Antifa (F)« über das Schweigen der antifaschistischen Linksradikalen zum Iran (Jungle World 28/2009); doch längst schon heckte man einen Aktionstag aus, der am 12. August auch stattfand. Die vorgetragene Klage war also keine, sondern ein Manöver zum Zwecke der Agitation. Die Behauptung aber, die Linke, die Antifa oder sonstwer schweige zum Iran und verweigere sich der Solidarität mit der Protestbewegung, zieht sich wie ein roter Faden durch die Beiträge. Auch die »Gruppe Morgen­thau« empfindet »die Sprachlosigkeit« der Linken als »nachgerade verabscheuungswürdig« (30/2009). Pedram Shahyar zieht eine Linie des Schweigens der Linken von »den Verbrechen in Teheraner Gefängnissen« zum »humanitären Verbrechen«, das die israelische Armee seiner Ansicht nach im Januar im Gaza-Streifen verübt habe (33/2009). Was immer der Grund war, diese antizionistische Duftmarke abzudrucken, mit der klargestellt werden soll, dass, egal was passiert, immer Israel die schlimmeren, nämlich »humanitären« Verbrechen begeht: Shahyar jedenfalls weiß, dass »Israel-Kritik« am besten mit Authentizität des ei­genen Sprechorts, sprich: dem Migrationshintergrund, zu legitimieren ist. Er ist Bahman Nirumands würdiger Erbe.
Sebastian Voigt schließlich spricht von einer »In­differenz gegenüber den Verhältnissen im Iran«, die die linke Haltung in den vergangenen Jahren prägte (34/2009). Er wagt zudem den Hinweis, dass die Linke nicht immer so indifferent war, und führt das Beispiel des Schah-Besuchs vom Juni 1967 an. Er wagt es allerdings nicht, den Gedanken ganz zu Ende zu denken – denn das hieße auszusprechen, dass die Linke besser daran täte, den Mund zu halten. Mit dem fortschrittsfeindlichen Befreiungsnationalismus des von Frantz Fanon angefixten Nirumand, der aussprach, was sich seine deutschen Genossen noch nicht zu sagen ge­trauten, war die Geschichte des Abschieds vom linken Universalismus nämlich keineswegs zu En­de, sondern nahm ihren Anfang. Nirumand hatte auf einer Demonstration im Dezember 1978 erklärt: »Wenn der Schleier die Absage an die importierte Scheinwelt und die Besinnung auf die ei­gene Geschichte symbolisiert (...), dann können nicht wir, sondern nur die Imperialisten und anderen Feinde unseres Volkes darüber Zeter und Mordio schreien.« Shahyar verweist traditionsbewusst auf die Ausgabe der Zeitschrift Autonomie zur »Massenautonomie im Iran« von 1979, um seiner Freude über eine mögliche Reprise der Revolution von 1978/79 Ausdruck zu verleihen. Tatsächlich war der Kampf gegen den Schah für die europäische Linke ein Projekt des Dritten Weges jenseits der Blockkonfrontation; man hoffte, wie Joseph Fischer im Februar 1979 im Pflaster­strand schrieb, auf »die in politische Revolution sich umsetzende, in langer Tradition sich erhaltende Glaubenskraft eines Volkes, das Nein sagt zur atheistischen Kultur des Westens«. Auch Michel Foucault war beeindruckt von dem Versuch, »der Politik eine spirituelle Dimension zu verleihen«: Sie haben bekommen, was sie sich gewünscht haben.

Die Freude über die Bewegung von unten wurde im Frühjahr 1979 getrübt vom rabiaten Ausschluss der iranischen Linken, deren Großteil wirk­lich alles getan hatte, um dabei sein zu dürfen. Zunächst deckte dieser Teil 1978 die Gräueltaten der Anhänger der Partei Allahs, das Anzünden von Kinos zum Beispiel, und behauptete, diese An­schläge seien vom Geheimdienst des Schahs begangen worden; dann begrüßte er den Tschador als Ausdruck der kulturellen Identität gegen den US-Imperialismus sowie des Pragmatismus: Frauen würden darunter Waffen und Flugblätter schmuggeln – eine Reminiszenz an die »Frau an der Seite der Arbeiterklasse« bzw. eine frühe Form von »queering identities«; schließlich insze­nierte er gemeinsam mit den Islamisten die Darstellung des Massakers vom 8. September 1978 und behaup­tete unisono die Beteiligung israelischer Soldaten an der Ermordung Tausender Menschen: Es waren weder Tausende umgebracht worden noch israelische Soldaten beteiligt. Man hatte die Demonstrierenden als Staffage einer be­waffneten Auseinandersetzung benutzt; Heckenschützen hatten das Feuer auf das iranische Militär eröffnet. Kurz zuvor war der Ausnahmezustand verhängt worden, und die Revolutionäre erhofften sich eine schnelle Radikalisierung der Massen, indem man ihren Hass auf Amerika und Israel schürte.
Der Tugendterror begann nicht erst mit der Macht­übernahme Khomeinis, sondern schon lan­ge vorher: Linke im Westen und im Iran begrüß­ten ihn mit dem Hinweis auf die fällige Abgrenzung von der westlichen Kultur. Als am 10. Februar 1979 die Entscheidung bewaffnet herbeigeführt wurde, brauchte Khomeini noch die bewaffneten Gruppen der Linken, um die noch vom Schah, der Mitte Januar 1979 das Land verlassen hatte, eingesetzte Übergangsregierung zu stürzen; sie waren des Ayatollahs nützliche Idioten, aber sie waren es sehenden Auges.
Dann wurden die iranischen Linken gewaltsam verfolgt, und das Schweigen vieler westlicher Lin­ker begann. »Heute wissen wir, wie die Linke damals innerhalb und außerhalb des Iran die Gefah­ren des Islamismus unterschätzt hat. Der Preis, den sie dafür zahlen musste, war die Tragödie einer ganzen Generation«, schreibt Shahyar. Die Un­ter­schätzung des Islamismus war keineswegs Zu­fall, sondern die Konsequenz aus der linken Verachtung der Freiheit, zum Beispiel der Freiheit der Frauen.

Als Khomeini am Vorabend des 8. März 1979 den Schleierzwang verkündete und in den darauf folgenden Tagen Zehntausende Frauen auf die Straße gingen, waren es Linke, die den Frauen rie­ten, ihre Proteste einzustellen, um den prekären Status quo zwischen revolutionärer Regierung und islamischer Führung nicht zu gefährden. Befangen in Lehren von Strategie und Taktik, übte man den Verrat an der Freiheit. Schon in den Wochen zuvor, nach der Rückkehr Khomeinis am 1. Februar 1979, waren so genannte Imam-Komitees, die Vorläufer der Revolutionsgarden, auf die Jagd nach unverschleierten Frauen, Homosexuellen und anderen moralischen Abweichlern gegangen. Die Partei Allahs wusste, dass die Linken sich nicht mit denen solidarisieren würden, deren Emanzipationsbestrebungen auch für diese nach westlicher Dekadenz rochen. Schülerinnen denunzierten Lehrerinnen, die keinen Schleier tra­gen wollten; Nachbarn denunzierten Männer, die sie für homosexuell hielten.
Die Frage ist also, warum sich irgendjemand wun­dert, dass die Linke schweigt, und mehr noch, wie man sich darüber beschweren kann. Die Verachtung für die Freiheit setzt sich nahtlos fort, von ihr ist nämlich nur in den seltensten Fällen die Rede, obwohl es gerade die Freiheit ist, die gro­ße Teile der Protestbewegung im Iran zu motivieren scheint – zu allererst die Frauen, die das Bild dieser Bewegung so offensichtlich prägen. Stattdessen wird darüber sinniert, warum ein reiches Land wie der Iran, in dem alle von der Öl-Rente gut leben könnten, so viel Armut und Elend produziert. Als habe es je einen Rentiersstaat gegeben, der die Einnahmen aus dem Rohstoff-Handel an die Bevölkerung weitergegeben hätte.
Dass es der Wunsch nach Freiheit von moralischer Bevormundung und Tugendterror, von Mafia-Herrschaft und Clan-Strukturen sein könnte, was die Leute bewegt, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, reicht diesen Linken nicht aus: Sie hätten dann auch keinen Vorwand mehr, die Freiheit im Namen der Notwendigkeit zu verraten. Sie schei­nen den »Menschen im Süden« nicht mehr zu gönnen als ausreichend Nahrung und Alphabetisierung. Diese rassistische Festlegung darauf, was die Massen zu wollen haben, sagt wenig darüber aus, was diese Einzelnen, die da verheizt werden sollen, wirklich wollen, aber eine Menge darüber, was sich »Metropolenlinke« wünschen.
Der Selbsthass des Westens kristallisiert sich in seiner Linken. Die Unzufriedenheit darüber, dass die Freiheit nicht die ganze Freiheit, sondern lediglich Mittel zum marktwirtschaftlichen Zweck ist, verleitet sie zu der Annahme, diese Freiheit sei nur Schein. Sie schweigen zum Iran, zum Teil sehr beredt, weil sie diesen Wunsch nach Freiheit, die sie mit dem verhassten Westen in Verbin­dung bringen, nicht verstehen können. Sie können nicht verstehen, warum es Frauen gibt, die nicht gern das Kopftuch tragen, oder Schwule, die gern schwul sind, oder warum junge Leute Spaß haben wollen. Sie glauben, es handle sich um die Resultate perfider westlicher Manipulation, wenn Menschen auf Authentizität und Kultur schei­ßen. Eben auf die Fetische, um die sich das Sehnen und Trachten derjenigen dreht, die sich in der Freiheit der westlichen Gesellschaften entwurzelt und entfremdet vorkommen.
Dass sich der Wunsch nach Entwurzelung von ar­chaischen Strukturen personaler Herrschaft und nach Entfremdung von den Zwängen der islamischen Moral, der Wunsch nach Individualität also, nur in den Formen ausdrücken kann, die die Einzelnen vorfinden – und das sind eben Symbole der westlichen Freiheit, von Arschgeweih bis Zungenpiercing –, sollte zu allerletzt jene Linken wundern, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass von der Freiheit nur der Westen übrig blieb.