Über Gerhard Besier

Auf links gewendet

Gerhard Besier, ein ehemaliger Berater Helmut Kohls, warnte früher vor den Gefahren des Linksprotestantismus. Heute sitzt er im sächsischen Landtag – als Mitglied der »Linken«.

Gerhard Besier macht einen erholten Eindruck, hier auf der Terrasse des Restaurants am Berliner Hauptbahnhof. Seine hochgekrempelten Ärmel vermitteln den Eindruck spontaner Tatkraft – nur gibt es nichts zu tun. Bis zur Abfahrt ist noch Zeit; er kann sich entspannt zurücklehnen, mit Blick auf den Reichstag.
Gerhard Besier hat schon vor den Landtagswahlen das Schlimmste überstanden, wie er sagt. Intrigen, Petitionen, Kampagnen – seit er 2003 von der Universität Heidelberg an die Technische Universität Dresden wechselte. Es schmerzt ihn immer noch, dass sein Vertrag am dortigen Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung im vorigen Jahr nicht verlängert wurde. Unter seiner Ägide habe man eine Institutszeitschrift gegründet, erfolgreich Drittmittel akquiriert und Dependancen in Tschechien und Polen aufgebaut. Das der CDU nahestehende Kuratorium sah das anders.
Seinen Lehrstuhl für Europa Studien an der TU Dresden will er nicht aufgeben. Warum auch? Er kandidiert ja nicht für das Europa Parlament.  Dabei hätte Besier das Zeug dazu: Der Theologe und Historiker ist zweifach promoviert, habilitiert und hat ein Psychologiediplom. In der sächsischen »Linken« zeigt man sich denn auch begeistert von seinem »intellektuellen Schwergewicht«. Dass er ein richtiger Linker ist, einer, für den Sozialismus wenigstens ein Lebensgefühl sein sollte, daran glaubt selbst in der Partei keiner. Aber: »Was soll schief gehen?« so ein Mitglied des Landesvorstands, das nicht genannt werden will. »Der will seine Abrechnung mit der CDU, also ist er uns willkommen!« Die Landesvorsitzende und Europa-Abgeordnete Cornelia Ernst sieht in dem Totalitarismusforscher sogar einen Vertreter der »fortschrittlichen Traditionen des Protestantismus und der Aufklärung«.  Gerhard Besier? Der Mann, der im Herbst 2003 durch ein Grußwort bei der Eröffnung eines Scientology-Büros in Brüssel seiner wissenschaftlichen Reputation irreparablen Schaden zugefügt hat und Sekten-Kritikern schon mal »Antifa-Manier« vorwirft? Der in seinen Büchern über die »latente Bedrohung durch den linkspolitischen Protestantismus« sinniert?
Die Parteiführung wollte nicht, dass er sich direkt in den Wahlkampf einmischt. Nur: Warum hat sie ihn dann überhaupt aufgestellt? Als unabhängigen Beobachter? Der Professor sollte keine Reden halten, Prospekte oder Luftballons verteilen. Nicht das Gespräch mit Passanten suchen, nicht missionieren, wie bei den Zeugen Jehovas, zu denen er früher Symposien organisierte. Als Religionsforscher ist er der »Linken« viel zu spät beigetreten. Vorbei die Zeiten, da der Kommunismus noch wie der Katholizismus die Welt erlösen wollte; seine Offenbarung in kanonischen Texten niedergeschrieben war, um deren Auslegung das Heilige Offizium des Politbüros wachte. Besier betont, er kenne die Bundespartei nicht weiter, nur den sächsischen Landesverband, und der sei eben »sehr offen.«
Besier stilisiert sich zum »unbequemen« Denker, der schon 2004 eine PDS-freundliche Erklärung abgegeben hat: Kurz vor den Landtagswahlen war – überraschenderweise – die Stasi-Akte des damaligen PDS-Spitzenkandidaten Peter Porsch aufgetaucht. Von da an habe er immer öfter gefragt, wie lange man diese Art der Auseinandersetzung noch betreiben wolle. »Wir können doch diese Leute nicht bis zu ihrem Tod für die DDR-Zeit stigmatisieren.«
Dabei war Besier nach Dresden geholt worden, um ein Gegengewicht zum eher linksliberalen Universitätsbetrieb aufzubauen. Die DDR sollte in den Kontext zur NS-Zeit gestellt werden. Heute redet dieser Besier von einem »linksrepublikanischen Projekt« mit Grünen und SPD. Und davon, dass viele Menschen in Sachsen das Gefühl hätten, aus dem SED-Staat sei ein CDU-Staat geworden. Die »Freiheitsforschung« ist sein Steckenpferd. Er steht in der angloamerikanischen Tradition: In den USA gilt der freie Glaube als Herzstück der Freiheit, in Europa ist es, seit dem Sturm auf die Bastille, der freie Wille. Bei Rosa Luxemburg ist Freiheit noch die des Andersdenkenden; Besier dagegen fragt, freilich im übertragenen Sinne, ob man unbedingt denken muss, um frei zu sein. Primär ist Freiheit bei ihm nicht der freie Wille, sondern freier Glaube . Sein Verständnis von Religionsfreiheit, brachte ihm viel Kritik ein. In dem gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftler Erwin K. Scheuch 1999 herausgegebenen Band »Die neuen Inquisitoren« wird allen Ernstes die Beobachtung von Scientology durch den Verfassungsschutz mit der Verfolgung der Juden im Dritten Reich verglichen. Die Zeitung Die Welt, die ihm lange gewogen war, schrieb später, das Hannah-Arendt-Institut »verschwinde hinter seinem Präsidenten Gerhard Besier und dessen merkwürdigem Hang zur Scientology-Sekte«, die er gegen Amtskirchen, Verfassungsschutz und überhaupt alle in Schutz nehme, die bei diesem religiös geschminkten Unternehmen zuerst an Geld- und Hirnwäsche dächten.  Dass sein Vertrag bei einer Institution, die Hannah Arendts Namen trägt, trotz »glänzender Evaluierung« nicht verlängert wurde, wundert nur ihn.
Wie kein anderer Publizist griff er in den neunziger Jahren die letzten noch existierenden DDR-Institutionen an, die ostdeutschen Landeskirchen. Bischöfe und Kirchenfunktionäre bezichtigte Besier der Kumpanei mit Partei und Stasi. Vertreter der Bekennenden Kirche beschuldigte er, sich dem totalitären SED-Staat angebiedert zu haben.
Mit den Quellen nahm es der Kirchenhistoriker dabei nicht immer genau. So beklagte er sich in seinem Buch » Der SED-Staat und die Kirche«, dass sich die Magdeburger Landeskirche 1976 an der Ausbürgerung des Pfarrers Klaus-Rainer Latk schuldig gemacht hätte. Bei seinen Recherchen verließ sich Besier auf Latks Tagebuchnotizen, ein Dossier des Politbüros erschien ihm weniger wichtig. Dass der spätere, langjährige Geschäftsführer der »Hilfsaktion Märtyrerkirche«, im selben Jahr zwei Ausreiseanträge gestellt hatte und an der Heckscheibe seines Wagens eine Aufschrift angebracht hatte: »CDU – sie schauen zu, wenn auf Menschen geschossen wird – würden sie auch Juden vergasen?«, dass dieser Mann also offensichtlich alles daran gesetzt hat, die DDR von sich aus zu verlassen, Besier hat es nicht interessiert.
Er habe eine stattliche Zahl von Gegnern, sagt Besier selbst. Und nach dem Motto »Viel Feind, viel Ehr‹«, sollte er auch nur ehrenamtlich für die »Linke« tätig werden. Der Landesrat riet mehrheitlich von seiner Kandidatur ab. Verständlich, das Thema zu dem er substantiell etwas beizutragen hätte, die Religionsfreiheit, interessiert keinen. In Sachsen sind die meisten Menschen mit Gott fertig, selbst die CDU hat kaum etwas mit der Kirche zu tun. Dass der Spitzenkandidat der »Linken«,André Hahn, ihn nahezu unbeschadet durch Gremien und informelle Strukturen der »Linken« bringen konnte, hat weniger mit religiösem Desinteresse zu tun. Die »Linke« war mit sich selbst beschäftigt. Im sächsischen Landesverband – mit rund 13 000 Mitgliedern der zahlenmäßig stärkste – tobt seit PDS-Zeiten ein heftiger Flügelkampf, Linksopposition vs. ostdeutsche Volkspartei. Eine Reihe damaliger Kombattanten hat inzwischen die Partei verlassen. Der Landtagsabgeordnete Ronald Weckesser und die ehemalige Dresdner PDS-Vorsitzende Christine Ostrowski gerieten seit dem Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft parteiintern erst in die Kritik, dann ins Abseits. Beide hatten wiederholt mit CDU und FDP abgestimmt.  Die »Linke« wird auch mit Besier keine neuen Erfahrungen machen, selbst wenn Besier in dieser Legislaturperiode der erste Abweichler sein sollte, der zu keinem Zeitpunkt »auf Linie« war.