Zum 25. Todestages des Underground-Literaten Richard Brautigan

Verlorene Forellen

Der Freitod des Underground-Literaten Richard Brautigan jährt sich in diesen Tagen zum 25. Mal. Wann genau er starb, ist unbekannt. Und auch sonst gehört der Autor zu den weithin Unbekannten.

Er hat mit Dennis Hopper gesoffen und für John Lennon eine Spoken-Words-Platte aufgenommen, war mit Peter Fonda befreundet und ist mit »Forellenfischen in Amerika« zum Kultautor der US-Subkultur der sechziger Jahre geworden. Philippe Djian schrieb nach Richard Brautigans Tod eine Erzählung über ihn und nannte sie »Ein Grund, das Leben zu lieben«.
Wer aber war dieser seltsame schnauzbärtige Mensch, der vor nunmehr 25 Jahren im September 1984 die Zeitschaltuhren seines Hauses im kalifornischen Bolinas vor seinem Selbstmord so programmierte, dass Radio und Licht über Wochen regelmäßig an und aus gingen, so dass sein Tod lange Zeit unbemerkt blieb? Über sein Privatleben ist nicht viel bekannt, über seine Kindheit noch weniger. Seine Tochter Ianthe Brautigan hat einige Fakten zusammengetragen und zusammen mit eigenen Erinnerungen veröffentlicht (»Den Tod holen«, 2002).
Richard wuchs in Armut auf und brach den Kontakt zu seiner Familie ab, nachdem diese ihn in eine psychiatrische Anstalt gesteckt hatte, wo er Elektroschocks bekam, nur weil er der Familie seine Entscheidung mitgeteilt hatte, Schriftsteller werden zu wollen. Er war Alkoholiker, war zwei Mal verheiratet, starb verarmt. Er interessierte sich für Japan und Zen-Buddhismus, litt an Depressionen. Er wird mit den Autoren der Beat-Generation assoziiert, war für diese, 1935 geboren, aber eigentlich zu jung, während er für die Hippies 1968 auf dem Höhepunkt seines Erfolgs als 33jähriger wiederum zu alt war.
Die wohl schönste Beschreibung seiner Person stammt von ihm selber aus seinem vierten Roman »Die Abtreibung«, in dem der Protagonist in einer Bibliothek arbeitet, in die jeder seine Bücher bringen kann, nie jedoch jemand kommt, um ein Buch auszuleihen. Dort sind Bücher zu finden mit Titeln wie »Stereo und Gott«, »Sieg in Vietnam«, »Ufo gegen CBS« oder »Elche« von Richard Brautigan. »Der Verfasser war groß und blond und hatte einen langen flachsgelben Schnurrbart, der ihm ein anachronistisches Aussehen verlieh. Er sah aus, als wäre er eigentlich in einer anderen Ära zu Hause. Das war das dritte oder vierte Buch, das er in die Bibliothek brachte. Jedesmal, wenn er ein Buch hereinbrachte, wirkte er ein wenig älter, ein wenig müder. (…) ›Worum geht’s diesmal‹, fragte ich, weil er so aussah, als wollte er, dass ich ihn etwas fragte. ›Einfach noch’n Buch‹, sagte er. Ich habe mich wohl getäuscht, und er wollte gar nicht, dass ich ihn etwas fragte.«
Ebenso wie die Bücher in dieser Bibliothek einzig vom Bibliothekar ihrem Vergessen entrissen werden, hatte Brautigan in den letzten Jahren seines Lebens nur eine kleine treue Fangemeinde, während seine Bücher bei der Kritik wie dem großen Publikum durchfielen. Auch ohne die Einstellung der Zeitschaltuhren vor seinem Tod hätte ihn wohl so schnell niemand vermisst, erst ein von seiner Tochter Ianthe beauftragter Detektiv fand seine Leiche am 25. Oktober 1984.
Richard Brautigan hätte sich wahrscheinlich gut mit Kurt Cobain verstanden, schreibt Ianthe über ihren Vater. Sie hätten sich nicht nur über ihre Jugend in der Washingtoner Provinz unterhalten können, auch teilten sie eine Faszination für Waffen, und beide hatten das Problem, ohne es zu wollen, zum Sprecher einer ganzen Generation ernannt worden zu sein. »Forellenfischen in Amerika«, womit Brautigan diese Rolle auferlegt wurde, war sein zweiter Roman, wobei die Bezeichnung Roman die Aneinanderreihung skurriler Episoden nicht wirklich trifft. Beim Wiederlesen wundert man sich, warum gerade dieses Buch millionenfach verkauft und zur Standardlektüre amerikanischer Hippies wurde, da es weder als politisches Statement noch als Aussteigergeschichte wirklich funktioniert.
Zwar schrieb die FAZ, dass keiner »den Ausverkauf der Natur, den Sündenfall der Industriegesellschaft so realistisch und phantastisch, so sentimental und gleichermaßen humorvoll beklagt wie Brautigan«. Allerdings klingt diese Anklage dann schon mal so wie in jener Episode, in der der Erzähler auf einem Dachboden das »Forellentagebuch des Alonso Hagen« findet, das die auf dem Heimweg verlorenen Forellen jenes Alonso über Jahre hinweg dokumentiert: »Alonso Hagen war 160mal fischen gegangen und hat dabei 2 231 Forellen bei einem Siebenjahresdurchschnitt von 13,9 verlorenen Forellen auf jedem Fischzug verloren.«
Das klingt anders als etwa Jerry Rubins Yippie-Manifest »Do it!« oder Kerouacs »On the Road«. Und doch ist es typisch für den Schreibstil Brautigans, dessen Prosa durchzogen ist von solch seltsamen Alltagsepisoden. Vielleicht ist es das Leben in und mit der Natur gewesen, das Forellenfischen, das ihn für die Hippies attraktiv erscheinen ließ. Unter der Oberfläche jedoch, jenseits der Natur, lauert eine Melancholie und Traurigkeit, gepaart mit einer Reflexion über den Tod, die so gar nicht zur Hippieästhetik passen will. In Brautigans letztem Roman »Ende einer Kindheit« erschießt der 12jährige Erzähler aus Versehen seinen Freund David, weil er ihn für einen Fasan hält. Nur weil er sich an jenem Tag statt einem Hamburger Patronen gekauft hat, drehen sich seine Gedanken auch 31 Jahre nach dem Ereignis noch immer um diesen Film in seinem Kopf, den er »Hamburger-Friedhof« genannt hat: »Ich habe ein riesiges Filmstudio in meinem Kopf, in dem ich seit dem 17. Februar 1948 an diesem Film arbeite.« Die permanente Möglichkeit des Todes mussten auch Brautigans Angehörige im wirklichen Leben verkraften. »Wenn du nicht da wärst, hätte ich mich gestern Nacht umgebracht, aber ich wollte nicht, dass du mich findest«, erzählt er seiner 14jährigen Tochter eines Morgens.
Aber Brautigans Werk auf eine Reflexion seiner Selbstmordgedanken zu reduzieren, verfehlt es natürlich. Zwar schaut der Tod immer wieder zwischen den Zeilen hervor, trotzdem ist sein Werk bestimmt von einer poetischen Kraft, von einer produktiven inneren Unruhe und einer Sehnsucht nach einem Leben jenseits der Normen. Mit jedem Roman versucht er erneut, eine eigene Welt zu erschaffen, die nichts mehr mit der Realität zu tun hat, aber keinen Zweifel daran lässt, dass es nicht um reinen Eskapismus, sondern um eine Kritik an bestehenden Verhältnissen geht, die ihn trotz aller Fluchtmöglichkeiten, die San Francisco in den Sechzigern zu bieten hatte, unzufrieden zurückließ. Am konsequentesten hat Brautigan in seinem dritten Roman, »In Wassermelonen Zucker«, eine Welt jenseits der Realität ausgearbeitet. Die ersten Sätze lauten: »In Wassermelonen Zucker ereignen sich die Taten und Dinge immer und immer wieder, so wie sich mein Leben in Wassermelonen Zucker ereignet. Ich erzähle Ihnen davon, weil ich hier bin und Sie weit fort sind.« Damit ist eigentlich alles über Brautigans Schreib­impuls gesagt. Er könne eben nun mal nichts anderes als schreiben, hat er mal zu Protokoll gegeben.
In den Siebzigern verfasste er neben Gedichtbänden hauptsächlich Genreparodien, einen Hard-Boiled-Krimi (»Träume von Babylon«), einen Western (»Das Hawkline-Monster«) und einen japanischen Roman (»Sombrero vom Himmel«). Wie diese drei Bücher fiel auch sein perverser Kriminalroman, »Willard und seine Bowlingtrophäen«, beim Publikum durch, da diese Formexperimente überhaupt nicht mehr der naturverbundenen Hippie-Prosa entsprachen, die von ihm erwartet wurde, sondern sich seine Literatur irgendwo zwischen Western, Porno und Science-Fiction einpendelte. Im erwähnten Krimi etwa nehmen die Sex-Fesselspielchen und die Geschlechtskrankheiten der Protagonisten einen großen Raum ein, während »Sombrero vom Himmel« in einem Blutbad endet. Nachdem er mit »Der Tokio-Montana-Express« von 1980 und »Ende einer Kindheit« von 1982 zumindest in den Feuilletons wieder an seine Erfolge der sechziger Jahre hatte anknüpfen können, erschoss er sich. Vielleicht hatte er einfach keine Lust mehr, irgendwem irgendetwas beweisen zu müssen, vielleicht hatte er aber auch einfach das Gefühl, alles Wichtige gesagt zu haben. Irgendwo hat er mal geschrieben: »Wenn die Wörter zu Ende sind, ist immer jemand tot.«