Ferner liefen Zyprer

Ferner liefen Zyprer

Zyprische Sportler blieben bisher bei den Olympischen Spielen komplett erfolglos – der einzige Medaillengewinner gilt nämlich seit 103 Jahren als Grieche.

Kyriakos Ioannou. Wer? Dass man diesen Namen nicht unbedingt kennt, liegt nicht etwa daran, dass dieser Mann kein Spitzenathlet wäre, sondern an der Dämlichkeit der deutschen Sportberichterstattung. Die nimmt nämlich in aller Regel nur Sieger und Deutsche zur Kenntnis, weswegen beispielsweise Ergebnismeldungen selbst von großen Leichtathletikereignissen so aussehen: »Den Hochsprung der Männer gewann Sowieso, Dingens belegte als bester Deutscher Platz sieben.« Für die Ränge zwei und drei bleibt bei einer komplett auf Deutschland fixierten Berichterstattung einfach kein Platz.
Aber zurück zu Kyriakos Ioannou, dem besten Athleten Zyperns, der seit 2007 mit 2,35 Metern nicht nur den Landesrekord im Hochsprung hält, sondern auch zum ersten zyprischen Bronze-Gewinner bei einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft wurde. Dieses Jahr durfte sich der 1984 in Limassol geborene Hochspringer erst bei den Mediterranen Spielen über Gold freuen, bei der Weltmeisterschaft 2009 bekam er die Silber­medaille. Konstante Leistungen vorausgesetzt, hat Ioannou gute Chancen, bei den Olympischen Spielen 2012 in London der allererste Goldmedaillengewinner Zyperns zu werden.
Zwar wurde schon vor 40 Jahren das KOA, das Olympische Komitee Zyperns, gebildet. Fünf Jahre lang, bis zum Jahr 1974, war man dann damit beschäftigt, die einzelnen Sportarten in nationalen Verbänden zu organisieren und anschließend von den internationalen Verbänden anerkennen zu lassen. Nach dem Putsch und der türkischen Invasion begann jedoch eine sechsjährige Phase, in der Sportförderung eine eher untergeordnete Rolle spielte. Immerhin galt es zunächst, 200 000 Flüchtlinge zu versorgen.
1980 nahm dann der erste zyprische Sportler an Olympischen Spielen teil, und zwar der 20jährige Andreas Pilavakis, der die Slalom-Wettbewerbe mit der Platzierung 37 beendete. Im Riesenslalom lag er nach dem ersten Durchgang immerhin auf Platz 62, im zweiten Durchgang ging etwas schief, sodass er seither in den Annalen der damaligen Spiele von Lake Placid als »DQ«, als disqualifiziert, geführt wird.
Das entspricht exakt dem Ergebnis, das der Sportler erreichte, der eigentlich noch vor An­dreas Pivlakis als allererster Zyprer an den Olympischen Spielen der Neuzeit teilnahm: Anastasios Andreou aus Nikosia, der schon 1896 bei den Spielen in Athen dabei war – aber dort als Mitglied der griechischen Olympiamannschaft auftrat. 1877 in Limassol geboren, besuchte er die griechische Schule der Stadt, wo er bald durch sein sportliches Talent auffiel. In verschiedenen Disziplinen wurde er mehrfacher Schülermeister, 1896 nahm er dann an den ersten zyprischen Leichtathletik-Meisterschaften teil. Mit beeindruckendem Erfolg: Anastasios Andreou gewann sowohl den Sprint über 100 Meter als auch den Hochsprung-Wettbewerb, zusätzlich belegte er im Hürdenlauf über 110 Meter den ersten Platz.
Wenig später spezialisierte sich der Athlet aus Zypern und startete nur noch als Hürdensprinter. Für Griechenland. Denn weil er, so die allgemeine Lesart, Aktiver in einem griechischen Sportverein namens »GS Olimpia Lemessou« war, sei er auch Mitglied der griechischen Equipe geworden. Zypern war zu dieser Zeit eine britische Pachtung, und Griechenland ging damals wie heute sehr großzügig mit ausländischen Sportlern um: In Ergebnislisten werden bis heute auch zwei damalige Starter aus Smyrna – also aus dem heutigen türkischen Izmir – als Griechen ausgewiesen, ebenso wie der zyprische Tennisspieler Dimitrios Kasdaglis.
Dimitrios Kasdaglis wurde als Sohn eines Baumwollhändlers im englischen Lancaster geboren, neueren Forschungen zufolge war seine ursprünglich aus Russland stammende Familie zuvor von Ägypten nach England gezogen. Kasdaglis übernahm im Jahr 1895 die ägyptische Niederlassung des väterlichen Unternehmens, ein Jahr später gewann er den historischen Quellen zufolge als Tennisspieler bei den Olympischen Spielen von Athen sowohl im Einzel als auch im Doppel Silber. Warum er damals für Griechenland gestartet sein soll, ist unklar. Manche ägyptische Siegerlisten reklamieren den Mann, der zehn Jahre später bei den so genannten Zwischenspielen von Athen, die außerhalb des Vierjahrestaktes der Olympischen Spiele stattfanden, im Doppel Silber gewann, übrigens ebenfalls für sich. Dabei war Kasdaglis, wie Sporthistoriker mittlerweile von seinen Nachfahren erfuhren, eigentlich britischer Staats­bürger.
Die Verwirrung um Kasdaglis und andere Starter passt allerdings ganz gut zu diesen ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, denn von der heutigen Perfektion waren Ausrichter wie Teilnehmer noch weit entfernt. Manche Athleten starteten beispielsweise nur deswegen in Athen, weil sie gerade dort waren, sei es, weil sie in der griechischen Hauptstadt arbeiteten – wie einige Angehörige der britischen Botschaft –, sei es, weil sie einfach nur Ferien in Griechenland machten.
Die ohnehin am Austragungsort Ansässigen einzuladen, machte wohl auch den Organisa­toren die Arbeit einfacher, denn es gab keine zen­trale Unterkunft für die Teilnehmer. So etwas wie ein Olympisches Dorf zu errichten, hätte den finanziellen Rahmen der Veranstalter damals vermutlich komplett gesprengt. Und so waren unter denjenigen, die bei den Spielen antraten, eben auch viele Männer wie Kasdaglis, die sich, wohlhabend, sportbegeistert und wohl auch ein bisschen abenteuerlustig, für die neue Idee begeisterten.
Aber zurück zum Hürdensprinter Anastasios Andreou: Welche Zeit er im ersten Vorlauf über die 110 Meter Hürden, in dem er startete, erzielte, geht aus den Unterlagen nicht hervor, sein Ergebnis wird mit »AC« angegeben, also »competed«, »ferner liefen«. Ob Andreou von seinem Abschneiden bei den Spielen enttäuscht war, ist nicht verzeichnet, in seinem Herkunftsland war man es jedoch anscheinend nicht, denn es ist vermerkt, dass seine Landsleute es als Ehre ansahen, dass ein Zyprer es überhaupt so weit geschafft hatte, auch wenn er als Grieche lief.
Für Andreou war jedoch Schluss mit Sport, 1897 meldete er sich anlässlich des türkisch-griechischen Kriegs als Freiwilliger zur Armee Griechenlands. Verschiedene Kampfeinsätze folgten, unter anderem in Farsala südlich von Thessaly. Was Andreou nach dem Krieg beruflich machte, ist unklar, bekannt ist nur, dass er heiratete und 1947 starb.
Für seine Landsleute ging die Olympische Geschichte erst 1980 weiter, aber besonders erfolgreich war sie bislang nicht: Keiner der 74 Männer und 29 Frauen, die seither für die Republik Zypern an den Start gingen, schaffte es, eine Medaille zu gewinnen.
Ob der Hochspringer Kyriakos Ioannou dies im Jahr 2012 ändern wird, kann man natürlich unmöglich voraussagen. Wenn sich im deutschen Sportjournalismus bis dahin nichts Entscheidendes tut, sind die Chancen, dass man das Abschneiden dieses Zyprers einfach nicht mitbekommt, allerdings groß. Falls er es nicht auf den ersten Platz schafft oder in irgendeinen Skandal verwickelt ist – also beispielsweise einem deutschen Kollegen ins Bein beißt –, dann wird er in den Meldungen auch 2012 nicht vorkommen. Und dann wird es wieder heißen: »Bester deutscher Teilnehmer wurde …«