Die Geschichte der auf Zypern internierten Holocaustopfer

Gestoppter Exodus

Die britische Regierung ließ nach dem Zweiten Weltkrieg jüdische Flüchtlinge in Lagern auf Zypern internieren. Viele Bewohner der Insel unterstützten die Traumatisierten.

Auf Zypern nimmt die Geschichte ihren Anfang, dort treffen die Hauptpersonen von Leon Uris’ packendem Roman »Exodus« das erste Mal aufeinander: die hübsche amerikanische Krankenschwester Kitty Fremon, die als Freiwillige im britischen Internierungslager Karaolos auf Zypern arbeitet, der Haganah-Kämpfer Ari Ben Kanaan und Karen Hansen Clement, deren Verwandte im Holocaust ermordet wurden. Das Buch erzählt, ausgehend von der Aufbringung des Flüchtlingsschiffes »Exodus« durch die Briten, die Entstehungsgeschichte Israels. Uris, dessen Roman 1958 erschien und 1960 mit Paul Newman in der Hauptrolle verfilmt wurde, griff ein historisches Ereignis aus den vierziger Jahren auf. Damals hatten die Briten auf Zypern Internierungslager errichtet, in die sie jüdische Migranten einsperrten, die gerade dem Holocaust entkommen waren.
Auf der Insel befanden sich zwischen 1946 und 1949 zwei Lager, in die das britische Militär die Juden verfrachtete, deren überfüllte, oftmals uralte Schiffe auf dem Weg nach Palästina von den Briten aufgebracht worden waren. Auf eine Anweisung der britischen Regierung vom August 1946 sollten alle jüdischen Migranten, die versuchten, ohne Einwanderungserlaubnis nach Palästina zu gelangen, gefangengenommen und auf Zypern interniert werden. Etwa 53 000 Juden durchliefen innerhalb der vier Jahre, in denen die beiden Lager bestanden, die Camps. Einige mussten nur wenige Wochen bleiben, für andere dauerte die Tortur mehrere Jahre.
Heutzutage erinnert auf Zypern kaum noch etwas an die Existenz der beiden Lager. Die riesigen Gelände in der Hafenstadt Famagusta, im Außenbezirk Karaolo, und bei dem Dorf Dekhelia in der Nähe von Larnaka werden immer noch vom Militär genutzt. Im Norden (Famagusta) von der türkischen Armee, im Süden (Dekhelia) sind weiterhin britische Truppen, allerdings im Auftrag der UN, stationiert. Zivilisten ist das Betreten verboten. Das Gelände in Karaolo liegt direkt am Strand, den die Gefangenen nicht betreten durften, das andere Gebiet etwas weiter im Landesinneren. Auf Luftaufnahmen sind noch Grundrisse der ehemaligen Lagergebäude zu erkennen.
Das einzige öffentlich zugängliche Zeugnis von der Existenz der Internierungslager ist eine Gedenktafel in der Passagierabfertigungshalle im Hafen von Larnaka. Diese wurde im Jahr 1998 im Beisein von jüdischen Gemeindevertretern, von denen einige auf Zypern inhaftiert waren, und zyprischen Ministern angebracht. Die Inschrift auf der Tafel zeugt vom Dank der Jüdinnen und Juden an die »vielen zyprischen Freunde«, die den jüdischen Gefangenen halfen, bevor sie schließlich »von zyprischen Häfen aus in die Freiheit nach Israel fahren durften«. Zudem sollen nach Recherchen der amerikanischen Wis­sen­schaft­ler Gary Gumpert und Susan J. Drucker, die im vergangenen Jahr ihre Forschungen zu den beiden Lagern auf Zypern präsentierten, bereits 1950 ehe­malige jüdische Häftlinge als Dank für die gebotene Unterstützung die Errichtung eines Kinderspielplatzes in Famagusta finanziert haben.
Eine besondere Ehrung wurde 1999 dem Zy­prer Prodomos Papavasiliou zuteil, der zum israelischen Honorarkonsul ernannt wurde. Der israelische Botschafter in der Republik Zypern, Shemi Tzur, betonte in seiner Dankesrede, dass viele Zyprer den Juden geholfen hätten. »Es waren Kleinigkeiten, aber für uns war es etwas ganz Besonderes, denn sie gaben den Gefangenen das Leben zurück. Sie versorgten uns mit Essen, sie schmuggelten einige Juden nach Israel – so gab es gab auch Tunnel unter den Camps, einer war eine Meile lang.«
Der Anblick der ausgemergelten Gestalten, die das Grauen mehr tot als lebendig überlebt hatten und dann auf die Insel verschleppt wurden, brachte offensichtlich viele Zyprer dazu, sich mit den Gefangenen zu solidarisieren. Zypern hatte an der Seite der Briten gegen die Deutschen gekämpft, gleichzeitig aber wollten viele Bewohner die britische Präsenz auf der Insel nicht länger akzeptieren. Palästina war zu dieser Zeit britisches Mandatsgebiet, Zypern britische Kronkolonie, weshalb jüdische Emigranten wie auch Bewohner Zyperns eine Gemeinsamkeit in der Gegnerschaft zur britischen Politik finden konnten.
Das Internierungslager bei Famagusta war von den Briten bereits im Jahr 1915 für unterschiedliche Gruppen von Kriegsgefangenen errichtet worden. Dort landeten dann im August 1946 die ersten 1 290 jüdischen Migranten, deren Schiffe, die »Empire Rival« und die »Empire Haywood«, vom Militär gekapert worden waren. Kurze Zeit später ließ die britische Regierung wegen des Platzmangels das zweite jüdische Internierungslager bei Larnaka errichten.
In den Lagern herrschten desolate Bedingungen, die New Yorker Zeitung Aufbau berichtete im Oktober 1946 etwa von katastrophalen hygienischen Zuständen in Karaolos. Im Sommer mangelte es an Trinkwasser, es gab nicht genügend Betten und Kleidung und keine Bäder. Die Lager waren von Stacheldraht, bewaffneten Wachen und riesigen Suchscheinwerfern umgeben. Trotz der widrigen Umstände kamen Lehrer aus Palästina, um Hebräisch zu unterrichten und die Internierten auf ihre neue Heimat vorzubereiten. Gruppen der Haganah, der bewaffneten jüdischen Einheiten, kamen in die Lager, um im Geheimen jüdische Kämpfer auszubilden, die nach Möglichkeit in Palästina eingesetzt werden sollten. Gumpert und Drucker ­schreiben, dass es Dokumente über Kontakte zwischen der ehemals marxistisch-leninistischen Partei Akel (Fortschrittspartei des werktätigen Volkes) gebe, die heute die Regierung im griechisch-zyprischen Teil der Insel stellt, und Mitgliedern der Haganah gegeben habe. Sie sollen sich in Larnaka zu Gesprächen getroffen haben. In einem Interview im Jahr 2005 betonte der gegenwärtige zypri­sche Staatspräsident Dimitris Christofias, dass die Akel versucht habe, den Juden zu helfen, und dass auch das zur Geschichte seiner Partei gehöre.
Die jüdischen Flüchtlinge benötigten eine funktionierende Infrastruktur auf der Insel, mit der sie ihre Fluchtpläne realisieren konnten: sichere Häuser für Flüchtige und Autos mit Fahrern, die mit der Gegend vertraut waren und sie zu den Anlegeplätzen der Boote bringen konnten. Vor allem aber brauchten sie Boote, mit denen sie unauffällig in See stechen konnten. Auf der anderen Seite erwarteten die Zyprer von ihrem jüdischen Gegenüber Hilfe bei der Organisation und beim Aufbau einer anti-britischen Untergrundbewegung auf Zypern. Oftmals mit Hilfe von Zyprern soll es etwa 1 500 Juden gelungen sein, aus den Lagern zu fliehen. Die letzten Juden durften die Camps im Februar 1949 verlassen, zehn Monate nachdem der Staat Israel gegründet worden war.
Der Roman »Exodus« hingegen endet kurz vor der Gründung Israels mit einem Appell zu einem friedlichen Zusammenleben von Juden und Arabern.