Ein Gespräch mit Neoklis Sylikiotis, Innenminister der Republik Zypern

»Wir befinden uns im Freiheitskampf«

Neoklis Sylikiotis ist Mitglied der ehemals marxistisch-leninistisch ausgerichteten Partei Akel. Er war bereits von September 2006 bis Juli 2007 unter Präsident Tassos Papadopoulos Innenminister und ist es seit März 2008 erneut. Der 50jährige hat acht Jahre in Deutschland am Polytechnikum in Aachen studiert. Er gehörte zu den Gründern der zyprischen Studentenvereinigung in Deutschland und war Mitglied des MSB Spartakus. Als Innenminister ist er für Migration, Verkehr, Stadtplanung und Wohnungsbau zuständig.

Seit 2004 ist die Republik Zypern Mitglied der EU. Was erhoffen Sie sich perspektivisch von der EU?
Wir erwarten vor allem einiges hinsichtlich einer Lösung der Zypern-Frage. Die EU kann beim Prozess der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle spielen. Und dabei, die Besatzung zu beenden. Wir denken, die EU sollte mehr Verantwortung übernehmen. Was die sozialen und ökonomischen Bedingungen betrifft, da hängt natürlich alles vom Kräfteverhältnis ab, und zurzeit ist das für fortschrittliche und progressive Kräfte in Europa sehr negativ. Aber wir kämpfen für unsere Visionen, für ein Europa der Solidarität, des Friedens, der Demokratie, der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit.
Was ist aus Ihrer Sicht das dringlichste innenpolitische Problem?
Unsere Regierung hat den Anspruch, ihrer alltäglichen Politik ein soziales Gesicht zu geben. Sicher, wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, aber wir haben in den 18 Monaten unserer Regierungszeit einiges erreicht. Wir haben eine völlig neue Politik für die Rentner gemacht. Wir haben die Renten erhöht, denn wir denken, niemand in Zypern darf unter der Armutsgrenze leben, und das betrifft bisher vor allem viele Rentner. Zweitens haben wir die Sozialversicherung reformiert. Und zwar anders, als es andere Länder gemacht haben, die das Renteneintrittsalter angehoben haben. Wir haben etwa 200 Millionen Euro in die Unterstützung der Sozialversicherung gesteckt. Drittens machen wir eine neue Wohnungsbau­politik für Familien. Auch wenn wir weniger negative Auswirkungen der Wirtschaftskrise haben als andere Staaten, so kann man doch gut sehen, was uns von anderen Regierungen unterscheidet. Wir geben kein Geld aus, um Banken und große Firmen zu unterstützen, sondern wir haben, um die Bauindustrie zu fördern, 200 Millionen Euro in ein Förderprogramm gesteckt, damit junge Paare Kredite zu niedrigen Zinsen bekommen, damit sie ein eigenes Haus bauen können. Wir kümmern uns jetzt auch um den Aufbau eines öffentlichen Nahverkehrssystems, das gab es bisher nicht.
In Zypern soll es über 40 000 illegale Migranten geben. Das ist doch wohl nur dadurch erklärbar, dass sie als billige Arbeitskräfte insgeheim geduldet werden, oder?
Wir sind ein kleines Land, aber wir spielen eine wichtige Rolle in den Diskussionen, die es in der EU über die Migrationsfragen gibt. Zum ersten Mal versucht die EU, die Migrationspolitik als Gesamtheit zu betrachten, mit den vier Schwerpunkten Integration, Illegale, Beziehungen zu den Herkunftsländern und gemeinsames Asylsystem. Wie Sie vielleicht wissen, hat Zypern eine gemeinsame Initiative mit anderen Mittelmeerstaaten, mit Malta, Griechenland, Italien, gestartet, denn wir haben den größten Zustrom von Flüchtlingen. Bei uns in Zypern kommen die Flüchtlinge jedoch nicht mit Booten übers Meer. Wir haben an den Grenzen, die wir selbst kontrollieren, so gut wie keine illegale Einwanderung mehr. Aber wir haben das große schwarze Loch der türkisch besetzten Gebiete. Unsere Flüchtlinge kommen über die Green Line.
Die Wirtschaft profitiert auch davon!
Keiner weiß genau, wie viele Illegale hier sind, wir schätzen 25 000 bis 30 000. Wir haben außerdem 72 000 legale Migranten, von denen 60 000 hier arbeiten. Von diesen wiederum sind mehr als die Hälfte Hausangestellte. Viele arbeiten auch in internationalen Firmen und der Landwirtschaft. Und dann haben wir noch mehr als 85 000 Europäer, vor allem Briten, Griechen und Osteuropäer.
Dieses Jahr haben schon über 2 500 Illegale freiwillig Zypern verlassen. Weil sie keine Arbeit mehr finden. Und das liegt auch an unserer strengen Politik gegen Arbeitgeber, die Illegale zu Billiglöhnen beschäftigen. Wir sagen: Das Problem sind nicht an erster Stelle die illegale Arbeit und der illegale Arbeiter, sondern es ist der illegale Arbeitgeber. Wir haben aber auch das Asylsystem verbessert. Früher dauerte es ein, zwei Jahre, bis ein Antrag bearbeitet worden war, diesen Prozess haben wir auf zwei, drei Monate verkürzt. So haben wir die Zahl der Asylantragsteller von 8 000 im ersten Halbjahr 2008 auf jetzt nur noch 1 800 reduziert. Aber nicht zu Ungunsten derer, die wirklich Schutz und Unterstützung bedürfen, denn im gleichen Zeitraum haben 800 Menschen mehr den offiziellen Status eines Flüchtlings zugesprochen bekommen. Und bis zum Ende des Jahres könnte die Zahl sich verdoppeln, denn wir haben viele palästinensische Flüchtlinge aus dem Irak und auch aus dem Gaza-Streifen, außerdem Kurden und Iraner.
Welchen Einfluss nimmt die EU auf die Migrationspolitik Zyperns?
Zypern hat nicht mitgemacht bei den Kriegen im Irak und in Afghanistan, wir waren sogar dagegen. Trotzdem gehören wir zu den Ländern, die die negativen Effekte dieser Kriege zu spüren bekommen. Deswegen brauchen wir mehr Solidarität von den großen Ländern in der EU. Wir haben dieses Flüchtlingsproblem, weil wir Mitglied der EU sind, deswegen brauchen wir auch mehr Unterstützung. Und das ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage, denn wir können Geld aus dem Solidaritätsfonds der EU bekommen. Es ist auch ein demografisches Problem. Wenn man 1 000 Flüchtlinge aus Zypern auf große Länder verteilen würde, auf Deutschland, Holland, Frankreich – für diese Länder wäre das nichts. Für uns würde das aber einen großen Unterschied machen, 1000 Flüchtlinge weniger zu haben. Wir wollen eine gerechtere Verteilung.
Vorige Woche gab es ein große Polizeirazzia gegen Illegale in Nikosia, Sie haben die Aktion verurteilt und sogar als rassistisch bezeichnet. Hat Zypern ein Rassismusproblem?
Unser erstes Prinzip ist, die Menschenrechte zu beachten aller Einwanderer, legal oder illegal, und auch für die, die im Gefängnis sitzen. Und wenn Flüchtlinge zurück in ihre Herkunftsländer geschickt werden, muss auch das auf eine menschenwürdige Art und Weise erfolgen. Was stimmt, ist, dass es in Zypern eine gewisse Xenophobie in der Bevölkerung gibt, dem darf man nicht nachgeben. Phänomene wie Le Pen, Haider oder die NPD entstehen nicht von heute auf morgen. Und wenn man als Regierung der Xenophobie nachgibt, dann verstärkt man solche rassistischen Kräfte. Deswegen müssen wir gegen diese Tendenzen ohne Nachgiebigkeit vorgehen.
Waren Sie während Ihrer Zeit in Deutschland mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert?
Ich habe an vielen antifaschistischen und antirassistischen Demonstrationen teilgenommen, ich war sehr aktiv in dieser Bewegung. Als ich 2006 zum ersten Mal Minister geworden bin, habe ich die Migrationsabteilung in diesem Ministerium besucht. Es gab damals Vorwürfe gegen die Abteilung wegen xenophober Tendenzen. Beim ersten Treffen mit der Direktion habe ich gesagt: Ich habe acht Jahre in Deutschland gelebt und Rassismus und Xenophobie am eigenen Leib zu spüren bekommen und bin dementsprechend sensibel bei diesem Thema. Ich wollte klar machen, dass man Xenophobie und Rassismus niemals dulden darf.
Man erzählt sich, dass Sie selbst als Teilnehmer einer antirassistischen Demonstration schon mit der zyprischen Polizei in Konflikt geraten sind.
Ich war immer so (lacht). Ja, es gab 2007 von der antirassistischen Organisation Kisa eine Solidaritätsveranstaltung, an der ich teilnahm, für iranische Mütter und Kinder, deren Väter im Gefängnis saßen. Da gab es eine Auseinandersetzung mit der Polizei. Ich denke, wenn eine Linke an der Regierung ist, darf sie ihre Prinzipien nicht auf­geben. Einmal in meiner ersten Amtszeit gab es eine Demonstration von Einwanderern vor dem Ministerium, da bin ich sofort raus auf die Straße und habe mir ein Megafon genommen, um mit den Leuten direkt zu reden. Ich war sowohl während meiner Studentenzeit in Deutschland, aber auch in der Akel immer sehr aktiv, auch auf der Straße. Ich war bei der großen Antiglobalisierungs-Demonstration in Genua 2001, ich habe auch in Deutschland, in Wien, in Göteborg demonstriert.
Viele Deutsche sind überrascht, wenn man ihnen erzählt, dass ihr Urlaubsland Zypern von Kommunisten regiert wird. Sind Sie wirklich einer?
Ein Kommunist? Ja! Was bedeutet es, dass man Kommunist ist oder links eingestellt mit marxistischen Positionen? Das bedeutet, wir kämpfen dafür, dass die Werktätigen ein besseres Leben haben. Deswegen steht im Mittelpunkt unserer Politik der Mensch. Wir streben nach sozialer Gerechtigkeit. Die Akel hat eine lange Geschichte und war immer schon eine Massenpartei. Die Leute wissen, dass diese Partei viel für sie getan hat. Dank uns hat Zypern als eines von wenigen Ländern einen automatischen Inflationsausgleich. Wenn wir eine Inflation haben, werden die Löhne sehr schnell erhöht. Gleichzeitig sind wir eine Partei, die immer gegen Nationalismus und Chauvinismus gekämpft hat. In der Akel gab es sogar immer griechische und türkische Zyprer, obwohl jetzt nur noch wenige türkische Zyprer Mitglied sind und diese meistens in England, wo griechische und türkische Zyprer ohne große Probleme zusammenleben. Wir sind eine Partei für alle Zyprer. Wir sind eine patriotische und eine internationalistische Partei zugleich. Unser oberstes Ziel ist die Wiedervereinigung.
Trotzdem ist es für Europa eher ungewöhnlich, dass eine kommunistische Partei in die Regierungsverantwortung gewählt wird.
Wir befinden uns in einem Stadium des Unabhängigkeits-, des Freiheitskampfes. In solchen Situationen haben in vielen Ländern in der Geschichte Kommunisten den Freiheitskampf angeführt. Wir haben unsere Ideologie nie dogmatisch verstanden. Wir waren immer bewegungsorientiert. Wir arbeiten auch mit der Kirche zusammen. Wir waren immer nah bei den Leuten, und das ist heute immer noch so. Ich treffe immer noch die einfachen Leute, gehe in Kneipen, habe hier im Büro jeden Samstag Sprechstunde. Wir sind eine kleine Insel. In vielen Ländern überlegt man, wie man Basisdemokratie befördern kann, hier haben wir sie. Sozialismus und Demokratie sind für uns eng zusammengebunden.
Was hat Sie in Deutschland am meisten beeindruckt?
Ich bin in Deutschland zum Linken, zum Kommunisten geworden. In der Bundesrepublik wohl­gemerkt! Manche sagen, Marxismus-Leninismus oder unsere Ideologie, das müsse man in der Schule lernen. Dabei lernt man es am besten auf der Straße, in den Kämpfen. In Deutschland habe ich großartige Erfahrungen gemacht mit diesen Bewegungen. Das ganze Wesen meiner Person, die Ideologie, aber auch meine Empfindungen, das habe ich mir alles in Deutschland angeeignet.