Zyprischer HipHop

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Was Berlin für den deutschen HipHop ist, das ist die geteilte Stadt Nikosia für die zyprische Rapszene. Nur ist hier alles etwas kleiner.

Am Ende der Ledra Street kommt ein Checkpoint, der den einen Teil der Insel vom anderen trennt, das griechische Zypern vom türkischen. »The last divided capital in the world« ist dort zu lesen, an der Passkontrolle im Herzen Nikosias, der Stadt mit der Mauer, in der Mitte der Ferieninsel, auf der die Sonne ständig scheint.
Für Andreas Constantinides ist die Ledra Street eine ganz normale Einkaufstraße, die für ihn allerdings bei der Passkontrolle endet und zur Sackgasse wird. Wie die meisten griechischen Zyprer geht er nie »nach drüben«, nie in den nördlichen, türkischen Teil der Insel, der jetzt 50 Meter vor uns beginnt. Er hält es da wie die meisten griechischen Zyprer, die die Grenze wegzaubern zu wollen scheinen, indem sie sich ihr erst gar nicht nähern.
Andreas ist Rapper in seiner Gruppe DNA, einem HipHop-Trio, das aus drei MCs besteht, die sich ihre Beats bei befreundeten Produzenten bestellen, was für eine HipHop-Combo, bei der normalerweise jeder einen anderen Zuständigkeitsbereich hat, recht ungewöhnlich ist. Drei MCs – zwei Jungs, ein Mädchen: Auch das ist selten anzutreffen in einem Genre, das außer vielleicht den Black Eyed Peas nur ganz wenige gemischtgeschlechtliche Acts hervorgebracht hat.
Andreas ist aber nicht bloß Rapper, sondern derjenige, der die überschaubare Szene auf der Insel – wohlgemerkt: die griechisch-zyprische Szene – vernetzt. Er betreibt die unkommerzielle Website hiphop.com.cy, hat vor vier Jahren das erste größere zyprische HipHop-Festival auf die Beine gestellt, und jeden Sonntagabend moderiert er bei dem Radiosender Zenith FM das Format »Travelling in Hip Hop Rhythms«, wo er HipHop aus aller Welt spielt, aus Griechenland natürlich, aus den USA, England und Frankreich. Er ist gerade Fan der Snowgoons aus Deutschland, und begierig fragt er nach weiteren deutschen Acts, die man ihm empfehlen könnte.
Andreas ist musikalisch international orientiert, doch was um die Ecke auf der türkischen Seite abgeht, davon hat er keine Ahnung, dort haben sie ihre eigene Szene-Website »Cyprus­hiphop.com«, dort wird auf türkisch untereinander kommuniziert, und kaum jemand sei der englischen Sprache mächtig, so Andreas: Zypern ist auch HipHop-mäßig eine Insel mit zwei Paralleluniversen.
Mit einem Rapper von der anderen Seite stehe er in Kontakt, erklärt Andreas, vielleicht wollen sie eines Tages etwas zusammen machen, aber richtig wohl ist ihm bei dem Gedanken nicht, das merkt man. Etwas zusammen machen ist etwas anderes als ignorieren, etwas zusammen machen bedeutet, die Hand auszustrecken, etwas zusammen machen würde heißen, die Ledra Street doch einmal zu begehen, bis sie Lokmaci heißt, und dazu ist Andreas wie die meisten griechischen Zyprer eben noch nicht bereit. Er habe nichts gegen die Türken an sich, sagt er, und damit äußert er sich ähnlich wie fast jeder im Süden der Insel, aber auf Zypern sollten eben außer den türkischen Zyprern keine Türken leben. »Siehst du bei uns etwa überall griechische Flaggen hängen?« fragt er rhetorisch. Direkt über dem türkischen Teil Nikosias ist hingegen an einem Berghang eine überdimensional große Fahne der Zypern-Türken zu sehen, die raffinierterweise aussieht wie das Negativ einer türkischen Fahne. »Die«, so Andreas, »ist so riesig, dass sie im Guiness-Buch der Rekorde vermerkt wurde. Man sagt, man sähe sie sogar vom Mond aus.« Diese Fahne, diese Provokation, ist Andreas Constantinides Beweis genug, dass die anderen nationalistisch seien und nicht man selbst. Als Angehöriger einer Subkultur denkt er damit kein Stückchen anders als der Mainstream auf der Südseite der Insel.
Der Rapper sieht nicht aus, wie man sich einen typischen HipHopper im Allgemeinen vorstellt. Er trägt Jeans, T-Shirt und einen adretten Bürstenhaarschnitt, er kleidet sich eher wie jemand aus der IT-Branche, und das ist er ja auch, sein Geld verdient er als Informatiker.
HipHop als durchkommerzialisierte Imagemaschine ist auf Zypern einfach nie richtig angekommen, zumindest nicht in der aktiven Szene. In den Straßen Nikosias, die eigentlich immer verstopft sind, weil hier einfach jeder mit dem Auto und nie mit den wenigen öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, pumpt aus vielen heruntergekurbelten Seitenfenstern Gangstarap, 50 Cent und die Folgen. Aber mit HipHop als Kultur, so wie das Andreas versteht, als Dreifaltigkeit aus Rappen, DJ-ing und Graffitti, hat das nichts zu tun. Gangstarap und seine Klischees, HipHop als MTV-kompatible Machomusik, ist für Andreas »Pop«. Alles, was nicht Underground ist, das ist für Andreas »Pop«. Immer wieder benutzt er das P-Wort, und es klingt wie »Antichrist« aus dem Munde des Papstes.
Pop machen die, die Geld mit ihrer Musik verdienen wollen und »Kommerz« ist für die kleine Hip-Hop-Szene auf Zypern immer noch ein Unwort. »Ausverkauf«, »Kommerzialisierung«, all das, was HipHop in größeren Ländern längst als Entwicklung durchgemacht hat, ist hier nicht in Sicht, was natürlich auch einfach daran liegt, dass der Markt und das Interesse in der Republik Zypern für HipHop zu überschaubar sind. Griechenland wiederum hat seine eigene Szene, die nicht gerade gebannt auf das blickt, was im griechischen Teil der kleinen Mittelmeerinsel so passiert. Es ist eher umgekehrt so, dass bekannte griechische Acts wie die Terror X Crew oder Active Member auch auf Zypern ihre Fans haben.
Einer jedoch hat es geschafft auf Zypern, ein Rapper, der John Wu heißt, Mitbegründer der Szene ist und einer der ganz wenigen wirklichen Stars der Insel mit richtigem Plattenvertrag. John Wu ist die gute Seele des Zypern-HipHop, er war einer der ersten, der hier vor ungefähr 18 Jahren damit angefangen hat zu rappen, eher in klarem Griechisch und nicht in diesem typisch zyprischen Slang, diesem etwas dreckigen zypri­schen Dialekt, der sich heute als HipHop-Sprache der griechisch-zyprischen Szene durchgesetzt hat. Er hat den ersten Überblickssampler des zyprischen HipHop produziert, der vor zwei Jahren erschienen ist: »The Rise of Cyprus Hip Hop«, auf dem auch ein Track von DNA zu finden ist. Er ist der Szeneonkel, derjenige, zu dem hier jeder aufschaut.
Begonnen hat der Rapper mit der Gruppe Vaomeni Esso, bevor er solo erfolgreich wurde, damals war seine Musik eher Hardcore-HipHop, heute lässt er es etwas ruhiger angehen, und man hört sogar Streichersamples in seinen Beats.
Vor kurzem hat John Wu einen Werbespot für Coca-Cola produziert, was ihm dann doch die üblichen Ausverkaufsvorwürfe eingebracht hat, die ihn aber nicht weiter stören. Immerhin muss er jetzt nicht mehr im China-Restaurant seiner Eltern aushelfen, sondern hat sich mit dem Geld der Cola-Company ein Studio aufgebaut. Seine Zukunft sieht John Wu eher im Produzieren als im Rappen. Er ist 35 Jahre alt, da muss man sich auch als führender Rapper Zyperns langsam um die Altersvorsorge kümmern.
John Wu hat ein anderes Auftreten als Andreas Constantinides, ein bossigeres, Chef-der-Insel-mäßigeres, obwohl auch er eher als gemäßigter Macho auftritt. Andreas bestreitet mit DNA Konzerte vor 150 Leuten in seiner Herkunftsstadt, John Wu ist auch bekannt in Griechenland und überall in der Welt, wo es griechische Communities gibt, so sagt er. Zwingend originell, speziell, typisch zyprisch ist seine Musik so wenig wie die von DNA. Er setzt gerne auch mal auf einen Hauch Schlafzimmersoul in seiner Musik, DNA arbeiten mit Jazzsamples, aber abgesehen von dem derben Slang in den Texten zyprischen HipHops fällt es schwer, überhaupt so etwas wie einen »Zypern-Touch« im HipHop dieser Insel auszumachen.
Zur Zypern-Frage nimmt John Wu eine ähnliche Position ein wie Andreas Constantinides. »Wir wollen Frieden«, sagt er, aber eben unter der Bedingung, dass zuerst die Türken, die hier nicht geboren sind, die Insel wieder verlassen. Einmal war er drüben, um das »ehemalige Haus meiner vertriebenen Mutter zu sehen«. Ansonsten will auch er mit der anderen Seite nichts zu tun haben. Er hat vor kurzem Gott für sich entdeckt, ist jetzt orthodoxer Christ, geht am Sonntag möglichst in die Kirche und verbreitet jetzt etwas, was er »Holy HipHop« nennt. Gegen Ungerechtigkeit sei er, sagt er, gegen Rassismus, Amerika, das Böse halt, gegen das man so sein kann als Holy-HipHopper. Also auch gegen die Besatzung, aber eben nicht gegen die Türken. Auch in John Wu spiegelt sich also die Komplexität des Zypern-Konflikts. Und auch sein Lösungsvorschlag wird der Problematik auf der Insel nicht wirklich gerecht.