Über die Koalitionsverhandlungen im Saarland

Die Badematten-Verschwörung

Ursprünglich war Hubert Ulrich von den Grünen angetreten, um Peter Müller von der CDU zu entmachten. Jetzt sichert er ihm seine dritte Amtszeit im Saarland. Und das alles wegen drei geklauter Badematten?

Plakate mit der Aufschrift »Wahlbetrüger« zieren diverse Häuser der Saarbrücker Innenstadt, der Generalsekretär der saarländischen Grünen, Markus Tressel, berichtet von einer Drohung, die Parteizentrale abzufackeln, und der Parteivorsitzende Hubert Ulrich musste gar Personenschutz beantragen. Nicht wenige Saarländer fühlen sich an der Nase herumgeführt. Angetreten war Ulrich bei der Landtagswahl ausdrücklich, um die »verbrauchte«, »obrigkeitsstaatliche« Politik von Peter Müller zu beenden und um Heiko Maas (SPD) zum Ministerpräsidenten zu machen.
Die Realität sieht heute anders aus. Eine Mischung aus geschickter Taktiererei, persönlichen Animositäten und der politischen Beliebigkeit der Grünen hat zu einer eigentlich nicht mehr verwunderlichen Konsequenz geführt: der ersten schwarz-gelb-grünen Koalition auf Landesebene. Doch wie überzeugt man einen Landesverband, der keinesfalls nur von Realos durchsetzt ist, von einer derartigen Koalition?

Auf dem Parteitag, der endgültig über die Koalition entschied, stimmten von 150 Delegierten zwar nur 32 gegen »Jamaika«. Doch allein 68 Delegierte kamen aus Ulrichs Kreisverband Saarlouis. Saarlouis ist eine Provinzstadt von 38 000 Einwohnern und die Grünen haben dort etwa 450 Mitglieder, fast doppelt so viele wie in der Hauptstadt Saarbrücken. Im Jahr 2006 warf die saarländische Europa-Abgeordnete Hiltrud Breyer Ulrich »mangelnde Transparenz« und »fehlenden Aufklärungswillen« vor. Es ging um die Frage, wieso der Verband Saar­louis so überdurchschnittlich viele Parteimitglieder in seiner Kartei führt. Auf einen kritischen Beitrag in der Taz reagierte der Vorstand der saarländischen Grünen sogar mit einer Klage. Schließlich führte ein Vorstoß des Grünen-Bundes­vorstands, mit dem die Kriterien der Mitgliedererfassung reguliert wurden, zu einer leichten Korrektur in Ulrichs Verband. Doch es bleibt ein Unbehagen. Der Kreisverband Saarlouis stellt immer noch mehr als ein Drittel der Delegierten.
Dem Saarländischen Rundfunk zufolge übte Ulrich zudem einige Tage vor der Abstimmung telefonisch Druck auf Delegierte aus, um das Abstimmungsverhalten in Richtung »Jamaika« zu beeinflussen. Das derart klare Votum erklärt sich hierdurch noch nicht. Doch für Daniel Cohn-Bendit sind dies die Gründe, Ulrich eine »zweifelhafte Persönlichkeit« und einen »Mafioso« zu nennen, der »die Partei auf sich zugeschnitten« habe. Das klingt nach Sizilien.

Das Image des »Mafioso« besitzt Ulrich dabei schon länger – spätestens seit seiner »Dienstwagen-Rabatt-Affäre« in den späten Neunzigern, bei der er mit Preisnachlässen für Landtagsabgeordnete erworbene Autos zum Listenpreis weiterverkauft haben soll. Ulrich trat daraufhin von allen Ämtern zurück. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden nach zwei Jahren eingestellt. Angeschwärzt wurde er damals von dem ehemaligen Grünen Andreas Pollak, mit dem Ulrich zusammen im Landtag saß.
Pollak war zuvor durch eigene kriminelle Aktivitäten – unter anderem versuchte er 1997, in einem Baumarkt drei Badematten zu klauen – in der Partei und bei Ulrich in Ungnade gefallen, was wiederum als Auslöser für Pollaks spätere »Rache« an Ulrich in der »Dienstwagen-Rabatt-Affäre« gilt. Ulrich und Pollak nannte man in dieser Zeit spöttisch das »kriminelle Duo«.
Die alte Feindschaft hat noch heute Relevanz, auch wenn Pollak nicht mehr aktiv in der Parteipolitik ist. Doch er ist der Ehemann von Barbara Spaniol und ein Freund von Ralf Georgi, die beide in den vergangenen Jahren zur Linkspartei gewechselt sind und in den Landtag gewählt wurden. Spaniol wurde gar als potentielle Ministerin in einer rot-rot-grünen Regierung gehandelt. Das gefiel Ulrich natürlich gar nicht, er sieht Spaniol und Georgi als »Gefahr« und als von Pollak »fremdgesteuert«. Was sich wie aus einem schlechten Film anhört, erklärt den ersten Teil der persönlichen Animositäten. Den zweiten verkörpert Oskar Lafontaine.
Als Lafontaine andeutete, auf den Fraktionsvorsitz im Bundestag zu verzichten, wusste er bereits, dass sich Ulrich längst für »Jamaika« entschieden hatte. Die Linkspartei hatte den Grünen schon zu Beginn des Wahlkampfs unterstellt, mit CDU und FDP koalieren zu wollen. Mit dem Slogan »Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern« wollte Lafontaine die Grünen aus dem Landtag »kegeln«. Das erklärt die Ressentiments vieler saarländischer Grüner gegen Lafontaine – die Ulrich zu nutzen wusste: Auf dem Parteitag nannte er Lafontaine den Hauptschuldigen am Scheitern von Rot-Rot-Grün. Man könne ihm nicht vertrauen. Es drohe ein »Nebenministerpräsident«. So scheint es, als wenn Lafontaine mit seiner überraschenden Entscheidung, sich mehr aufs Saarland zu konzentrieren, Ulrich tatsächlich einen Gefallen getan hätte. Er habe, meint Maas, »aus einer unsicheren eine klare Mehrheit« für »Jamaika« gemacht.

Während der Sondierungsgespräche hatte sich zunächst eine leichte Präferenz für Rot-Rot-Grün abgezeichnet. Selbst das Thema Bergbau, bei dem die Linkspartei den Wählern illusionäre Versprechungen gemacht hatte, führte kaum zu Problemen. Die Linkspartei gab ihre Position alsbald auf. Den Druck auf SPD/Linkspartei und CDU/FDP hielt der Vorsitzende der Grünen geschickt aufrecht. Die umfangreichen Konzessionen, mit denen CDU und FDP Ulrich die Möglichkeit gaben, auch die Basis zu überzeugen, sind auf den ersten Blick erstaunlich: in der Bildungspolitik u. a. die Abschaffung der Studiengebühren (bis auf die Langzeitgebühren) und des Sitzenbleibens bis zur siebten Klasse, dazu eine Bundesratsinitiative zur Aufstockung der Hartz-IV-Regelsätze sowie das Bekenntnis zum Atomausstieg.
Außerdem bekommen die Grünen bei gerade mal drei Abgeordneten die Ministerien Bildung und Umwelt. Was wie ein Erfolg für Ulrich aussieht, könnte aber ein böses Erwachen nach sich ziehen. Cohn-Bendit meint, die saarländischen Grünen würden, nachdem sie den Koalitionsvertrag unterschrieben haben, »nicht mehr existent« sein. Es ist in der Tat fraglich, ob die Ergebnisse aus den Sondierungsgesprächen in dieser Form realisiert werden. Was mit SPD und Linkspartei ohne inhaltlichen Konflikt hätte verwirklicht werden können, steht mit »Jamaika« auf der Kippe. Die Zugeständnisse von CDU und FDP sind für deren konservativ-liberale Wählerschaft schwer zu verdauen, und es wäre nicht das erste Mal, dass man sich in der »Realpolitik« um ursprünglich Vereinbartes herumlaviert.
Obwohl dem ZDF-Politbaromenter zufolge 64 Prozent der Grünen-Anhänger dafür sind, ist Schwarz-Gelb-Grün auch innerparteilich nicht einfach zu verkraften. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Saarbrücker Stadtrat, Thomas Brück, sagte der Jungle World, er halte »Jamaika« für »unklug«, und bezeichnete die Entscheidung dafür als »fatalen Schritt«. Im Gegensatz zum Landtag strebe er im Stadtrat eine rot-rot-grüne Koalition an.
Die Reaktion der Bundesgrünen war auch nicht gerade begeistert. Wie soll man im Bund glaubhaft Opposition gegenüber Schwarz-Gelb vermitteln, wenn man in den Ländern mit dem Feind paktiert? Und auch dem Verhältnis zur SPD könnte das Bündnis schaden. Heiko Maas soll Ulrich vorige Woche angeblich mit dem Satz, man habe sich nichts mehr zu sagen, aus seinem Büro geschmissen haben.