Über einen Gedenkmarsch für Jürgen Rieger in Wunsiedel

Des Führers Stellvertreter

Am Samstag veranstaltete die NPD im frän­kischen Wunsiedel einen Gedenkmarsch für ihren verstorbenen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Jürgen Rieger. Sie bediente damit gleich mehrere Mythen.

Jürgen Rieger war ein überzeugter völkischer Heide. Daher dürften der Choral »Jesu bleibet meine Freude« und das »Kyrie« aus der h-moll-Messe als Trauermusik eher unpassend gewählt gewesen zu sein. In der schmucklosen Egerstraße am Orts­rand von Wunsiedel halfen die bekannten Bach­schen Melodien, die Peter Naumann, der Moderator des Gedenkens an Rieger, abspielen ließ, jedoch bei der Erzeugung des gewünschten Pathos.
Gut 700 Neonazis aus ganz Deutschland waren in die neblig-graue nordbayerische Provinz gereist. Damit wurden die völlig überzogenen Erwar­tungen sowohl der NPD als auch die der Behörden zur Makulatur, sie hatten mehrere tausend Teilnehmer prognostiziert. Mit dem von ihrem Bundesvorstandsmitglied Uwe Meenen geleiteten Gedenkmarsch unter dem hochtrabenden Motto »Ewig lebt der Toten Tatenruhm« machte die NPD sogar unter denjenigen ihren Führungsanspruch geltend, die um den Tod des Hamburger Rechtsanwalts Ende Oktober einen regelrechten Trauer-Hype entfacht hatte. Dem Führungsanspruch und der Parteikonzeption des »Kampfes um den organisierten Willen« entsprechend war die Aktion in Wunsiedel ohne Rücksicht auf andere angemeldete Aufmärsche in Halbe, Arnstadt und München festgelegt worden.

Wie kein anderes Thema sollte jedoch gerade das überparteiliche Gedenken an Rieger dazu dienen, eine Einigkeit der »Bewegung« vorzuspiegeln, die sich so in der letzten Zeit überhaupt nicht ein­stellen wollte. Für die NPD kam ein solcher weitgehend inhaltsloser Marsch genau richtig, bot er doch kurzfristig Ablenkung vom Finanzchaos und Aussicht auf die Glättung der innerparteilichen Konflikte, die – Ironie der Geschichte – sich oft an der Person Jürgen Riegers und an seinen Po­sitionen entfacht hatten. Holger Apfel und Udo Pastörs, die Vorsitzenden der NPD-Landtagsfraktionen und Riegers wohl erbittertste Gegner auf höherer Parteiebene, blieben dem Gedenkmarsch konsequenterweise fern.
Dass Wunsiedel als Ort des Gedenkens auserkoren wurde, erklärt sich durch mehrere Verbindun­gen Jürgen Riegers zu der oberfränkischen Kleinstadt. So inszenierte er hier einen seiner gefürchteten Immobiliendeals. 2007 erweckte er zusammen mit Thomas Wulff erfolgreich den Eindruck, sie würden den leerstehenden Gasthof »Waldlust« für einen Millionenbetrag kaufen wollen. Die Stadt bangte um die in der Nähe stattfindenden Luisen­burg-Festspiele, kaufte das Gebäude selbst – und verfügt bis heute noch nicht über ein Nutzungskonzept für die damals »gezwungenermaßen« erworbene Immobilie.
Im nahen Warmensteinach stritt Rieger bis zu seinem Tod vor Gericht um die Eigentumsrechte an der Pension Puchtler. Für 1,84 Millionen Euro habe er den Landgasthof einem Münchner Lehrer angeblich abkaufen wollen, behaupteten die beiden einvernehmlich, doch die Gemeinde beharrte auf ihrem Vorkaufsrecht zu einem Bruchteil der geforderten Summe. Rieger trat im vorigen Jahr als Referent einer NPD-Veranstaltung in dem Landgasthof auf und kündigte eine »nationale Siedlung mit fünf Grundstücken« an, die er hier gründen wolle, das »Rudolf-Heß-Zen­trum«.
Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß war nach seinem Selbstmord in Berlin-Spandau 1987 in Wun­siedel begraben worden. Die jährlichen »Rudolf-Heß-Gedenkmärsche« brachten die Stadt in die Schlagzeilen, auch weit über Deutschland hinaus. Für die neonazistische Szene wurde sie zum Mythos, ganz wie der NS-Funktionär Heß selbst und die um seinen Tod rankenden Verschwörungsmärchen. Die Aufmärsche in Wunsiedel trans­portierten neben der eindeutigen Verherrlichung des Nationalsozialismus vor allem das Moment einer geeinten europäischen Rechten. Jürgen Rieger hatte den ersten Gedenkmarsch 1988 als Anwalt durchgesetzt und die Aufmärsche für die Jahre 2001 bis 2010 angemeldet. Gegen die Verbote der Märsche in den letzten Jahren leitete Rieger vor seinem Tod juristische Verfahren ein. Diese Woche wies das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde wegen des Verbots im Jahr 2005 zurück.

Mit dem Verweis auf den auch in diesem Jahr verbotenen Marsch für Heß hatte das Landrats­amt Wunsiedel den Gedenkmarsch für Jürgen Rieger zuerst untersagt. Dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München reichten die beigebrachten Beweise des Landratsamts, das in der Traueraktion der NPD ein getarntes »Rudolf-Heß-Gedenken« sah, jedoch nicht aus. Dabei hatte die Partei mit Bezügen auf den Heß-Marsch nicht gespart und auch eine ähnliche Route gewählt. Eindeutiger als den Verdacht, ein getarnter Heß-Marsch zu sein, belegt die Anmeldung eine deutliche Selbst­verortung der NPD in der Tradition des nationalsozialistischen »Kampfes«. Mit dem Trauermarsch zog die NPD gewissermaßen eine Linie vom »Stellvertreter des Führers« zu ihrem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Rieger. (Tote) Führungsfiguren werden glorifiziert, szeneinterne kritische Nachfragen sind unerwünscht: etwa nach den ultraradikalen Ansichten Riegers, seiner Beschimpfung Andreas Molaus als »Achteljude« oder seinem Erbe, das er der Szene eventuell doch vorenthalten hat.
Da der Aufmarsch für Rieger ausgerechnet am Wochenende des Volkstrauertags stattfand, reihten sich die Neonazis gleichzeitig in die Tradition der »Gedenkveranstaltungen« ein, bei denen nach erfolgreicher Selbstviktimisierung pathetisch die eigenen »Opfer« betrauert werden. Insofern ist auch der Rieger-Marsch ein Teil jener neonazistischen Kampagne, die neben den nationalistischen »Volkstrauertagsveranstaltungen« von Kommunen, Reser­visten­verbänden, VDK und anderen wie­der ein »Heldengedenken« nach nationalsozialistischem Vorbild etablieren will. Ähnlich dem »Heldengedenken« in Halbe, dem »Trauermarsch« im niedersächsischen Bad Nenndorf und dem größ­ten Neonaziaufmarsch des Jahres im Februar in Dresden: Bei all diesen Aktionen, die in ihrer Bedeutung zum Teil die früheren Rudolf-Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel abgelöst haben, gesellen sich zur Leugnung der deutschen Kriegsschuld geradezu exemplarisch Kernelemente extrem rechter Ideologie dazu – die Verherrlichung des Kriegs und der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, die Apologie von Nation, Männlichkeit und Opferbereitschaft.