Die Studentenproteste in Deutschland – über die verkürzte Kritik der Bildungspolitik

Es geht auch jetzt ums Ganze

Der Studentenprotest hat sich bisher zu oft in Verbesserungsvorschlägen versucht. Ohne Kritik an Kapitalismus und Staat ist jedoch keine sinnvolle Kritik der Bildungspolitik möglich.

In ganz Europa brodelt es seit einigen Jahren, wenn es um Bildungsbedingungen und den Bologna-Prozess geht. Die Art des Protests mag in den verschiedenen Nationalstaaten große Unterschiede aufweisen, die Antwort der staatlichen Politik folgt hingegen demselben Schema: Als Ver­mittlungsinstanz von Wirtschaftsinteressen und den teils diffusen sozialen Widerständen gegen die fortschreitende Unterwerfung des Bildungswesens unter marktwirtschaftliche Zwänge nimmt sie ihre Rolle ernst. Wo die Gefährdung des sozialen Friedens zu weit geht, werden die Pro­teste unterdrückt – ansonsten wird versucht, die divergierenden Interessen per Integration durch Teilzugeständnisse zu vermitteln.

Auch Bildungsministerin Annette Schavan versucht sich dieser Tage in der Anwendung polit-stra­tegischer Mittel auf die noch verhaltene Protestbewegung. Mit der Ankündigung der – ohnehin von den Ländern geforderten – Preisangleichung des Bafög für Oktober 2010 wirft sie ihr dabei in tölpelhafter Manier einen Happen hin, nach dem wohl außer Angehörigen des FZS, des freien Zusammenschlusses der StudentInnenschaften, der sich prompt in der Frankfurter Rundschau zu Finan­zierungsrechnungen hinreißen ließ, nur wenige schnappen werden. Selbst die bürgerliche Presse tut sich schwer zu übersehen, dass es sich bei dem als Reaktion auf die Demonstrationen ausgeschrie­benen Vorstoß um eine leere Geste handelt.
Zu klar scheint dahinter die Ignoranz gegenüber der Vielzahl der Kritikpunkte am Bildungswesen auf, die in den vergangenen Wochen wieder einmal ein heterogenes Spektrum von Demonstrierenden auf die Straßen getrieben hat; zu offensichtlich sind die Unsicherheiten, die mit der geplanten Bafög-Erhöhung einhergehen: Schavan will diese wohl an die Akzeptanz ihres einkommens­unabhängigen Stipendienprogramms, das selbst von einigen Ländern abgelehnt wird, koppeln.
So scheint Schavans eilige Reaktion auf die Pro­teste der vergangenen Wochen vielmehr zur Verschärfung der Diskussion als zu ihrer Einhegung beizutragen. Dass sich dennoch so mancher Demonstrant und so manche Demons­trantin, ohne lange zu überlegen, auf den hingeworfenen Happen stürzt und ernstlich ins Rechnen kommt, wie das Projekt Schavans wohl zu finanzieren sein werde, zeigt überdeutlich die eigentliche Schwach­stelle des Protests: Die eigenen Positionen erschöpfen sich oftmals in kurzfristig gedachten Verbesserungsvorschlägen. Welche Funktionen den Bildungsinstitutionen im Kapitalismus notwendig angetragen werden, wird dabei ebenso außen vor gelassen wie die Tatsache, dass der Staat genau diese zu sichern hat.
Auch unter denen, die sich nach eigenem Em­pfin­den nicht bloß nach einem Sitzplatz in der nächsten Lehrveranstaltung oder einem besser vor­strukturierten Studienplan sehnen, sondern eine soziale, gerechte und kritische Bildung wollen, herrscht offenbar weitreichendes Unverständnis dessen, was das Geforderte eigentlich bedeutet und unter welchen Bedingungen es sich realisieren könnte.

Die bevorstehenden Besetzungen und Streiks in der Protestwoche im Dezember bieten Gelegenheit, sich genau dieser Problematik zu stellen. Es kann nur zu raten sein, mit dem Richtigrechnen bundes­politischer Integrationsstrategien aufzuhören und sich Zeit für eine Positionsbestimmung jenseits realpolitischer Debatten zu nehmen. Vielleicht wird man dabei ausmachen können, wie eine kritische Praxis angesichts der Tatsache aussehen kann, dass selbstorganisierte und selbstbestimmte Bildung nicht durch Petitionen an den Staat erreicht wird, sondern gegen ihn erkämpft werden muss.
Ohne eine solche Verortung läuft der Protest im­mer Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen. Glückt diese aber, kann die Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen und ihren notwendigen Konsequenzen der Beginn von Widerstand sein – Widerstand, der nicht nach der Machbarkeit, sondern nach den Bedürfnissen fragt und der damit genau das ist, was ihm derzeit oft vorgeworfen wird: unvernünftig nach den Maßstäben der Realpolitik.