Über die Ausstellung »Gender Check« in Wien

Klasse und Gender

In der Ausstellung »Gender Check« im Wiener Mumok spürt die serbische Kuratorin Bojana Pejic Geschlechter­konzeptionen in der osteuropäischen Kunst vor und nach dem Mauerfall auf.

Tumult auf den Straßen von Zagreb. Eine ältere Frau rennt einem fahrenden Polizeiauto hinterher, fasst in das offene Fenster und ruft panisch die darin sitzenden Polizisten zu Hilfe. Die steigen unwillig aus und schieben eine andere Frau zur Seite, die von einem dicken Mann als »Ausgeburt Satans« beschimpft und brutal ins Gesicht geschlagen wird. Martialisch wirkende junge Männer fordern lautstark Respekt für Kriegsveteranen und skandieren aus voller Kehle: »Tötet den Schwulen!« Eine Frau hebt die Hand zum faschistischen kroatischen Gruß, ein Mann trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Schwule ins KZ!«
Die Videoarbeit »East Side Story« (2008) des kroatischen Künstlers Igor Grubic, der diese und ähnliche Szenen auf den Gay-Pride-Paraden in Belgrad 2001 und in Zagreb 2002 gefilmt und zu einer Zweikanal-Videoinstallation verarbeitet hat, visualisiert auf schockierende Weise, wie gefährlich es heute immer noch sein kann, wenn man sich dafür entscheidet, gängige Geschlechterkonventionen zu durchbrechen.
Dabei geht es der Kuratorin Bojana Pejic, die Grubics Werk als einen von mehr als 400 Beiträgen aus 24 Ländern für die Ausstellung »Gen­der Check. Rollenbilder in der Kunst Osteuropas« ausgewählt hat, gar nicht um vordergründige Schockeffekte, sondern um die Frage, wie Ge­schlech­terrelationen in der Kunst Osteuropas dar­gestellt wurden. Gleichberechtigung und Emanzipation gehörten zur herrschenden Dok­trin in den sozialistischen Ländern, auch wenn patriarchale Muster im privaten wie öffentlichen Leben wirksam blieben. Während die Kunst bis in die sechziger Jahre die offiziellen Rollenbilder reproduziert, werden diese ab den Siebzigern als klischeehaft und repressiv destruiert und iro­nisiert. Gezeigt werden in der Ausstellung »Gender Check« nicht nur explizit feministische oder von Frauen produzierte Kunstwerke, sondern Arbeiten, die eine Gender-Perspektive eröffnen oder zu einer Auseinandersetzung damit heraus­fordern. Es ist eine soziologische Fragestellung, die dieser auf vier Stockwerke des Museums mo­derner Kunst (Mumok) verteilten Schau zu Grunde liegt, keine genre-spezifische oder diffus chronologische wie z.B. in der Ausstellung in der Wiener Kunsthalle mit dem Titel »1989«. Gegliedert ist die Ausstellung nach 14 Themenkomplexen, darunter »Heldinnen der Arbeit: Eman­zipation und Unzufriedenheit«, »Private Wirklichkeiten – Persönlicher Widerstand«, »Kapital und Gender« oder »Nationalismus und Kritik«.
»Die Hauptmotivation, eine solche Ausstellung zu konzipieren, lag für mich darin, dass in den letzten 20 Jahren ein beeindruckender Korpus an Literatur über Kunst aus der Ära des Staatssozialismus und danach entstanden ist, ohne dass jemals feministische oder geschlechterspezifische Aspekte miteinbezogen worden wären«, so die serbische Kuratorin Bojana Pejic. »In vielen postkommunistischen Ländern gibt es exzellente feministische Kunsthistorikerinnen, die sich mit lokaler und nationaler Kunst beschäftigen, aber kaum untereinander kommunizieren. Wir ›Ossis‹ vergleichen unser Material normalerweise mit Arbeiten aus dem Westen. Ich sehe das Projekt als Plattform dafür, auszuchecken, wie man feministische und Gender-Zugänge nutzen kann, um ›unsere‹ Kunst zu lesen.«
Interessanterweise setzt aber genau jener Reflex beim Gang durch die Museumsräume ein: Man vergleicht die Arbeiten automatisch mit Wer­ken aus dem Westen, die im selben Zeitraum entstanden sind, um den immer unterstellten time lag hinter dem »Eisernen Vorhang« auszumachen. Dabei zeigen sich erstaunliche Asynchronizitäten und führen so die westliche Arroganz-Attitüde ad absurdum: So hängen die vom Punk inspirierten Orgasmusfotos der Kroatin Vlasta Delimar aus dem Jahr 1981 den Chagall-artigen Kindermalereien der Ungarin Mar­git Anna, die eine »Rote Rebecca II« 1979 hexenmythologisch als bunten Vogel interpretiert, gegenüber, und die braven, sozrealistisch gemalten Textilarbeiterinnen der Moldawierin Ana Baranovici von 1974 kontrastieren hart mit den ausgelegten Farbfotos des Ukrainers Bo­ris Mikhailov, der schon in den Sechzigern in der Serie »Suzi etcetera« in reinster Terry-Richard­son-Manier Porn-Trash-Aufnahmen von Normalos aus dem Plattenbau machte.
Auch wenn in der Ausstellung darauf hingewiesen wird, dass abstrakte Kunst im Sozialismus lange Zeit nicht geduldet war und so einige der in diesem Bereich erst relativ spät entstandenen Werke als widerständiges formales Ausdrucksmittel Eingang in die Ausstellung finden, meint man einen gewissen time lag überraschen­derweise viel eher in den aktuellen Arbeiten zu erkennen. Die Fotos von Elzbieta Jablonksa mit dem Titel »Supermatka« (2002), also »Supermutter«, die eine erschöpfte Frau im Supermannkostüm in einem ganz gewöhnlichen Kinderzimmer zeigen, erscheinen mit ihrer sehr direkten Symbolik eher unzeitgemäß und wenig subtil, wie auch die S/W-Fotoserie »Traditional and Non-Traditional Family« (2004) von Ugnius Gelguda aus Litauen mit ihren konventionell unkonventionellen Homopärchen beinahe ein wenig an die Ästhetik von Bausparkassen-Werbungen erinnert. Dieser Mangel an Radikalität ist wohl auch einem im Zuge der Nationa­lisierungen nach 1989 re-traditionalisierten Geschlechterverständnis geschuldet. Die andere, nämlich die ökonomisch gegenderte Seite dieser Verwerfungen manifestiert sich auch in der Warenförmigkeit von Frauenkörpern, die in einigen Arbeiten thematisiert wird. Tadej Pogacar aus Slowenien macht mit dem »Human Trade Game Monopoly« auf Zwangsprostitution und Frauenhandel aufmerksam, und die Slowakinnen Anetta Monachisa und Lucia Kacova persiflieren mit ihrem Fake-Pornovideo, in dem sie, vollständig bekleidet, die genretypischen Bumsbewegungen nachahmen, sowohl öde Pornokonventionen wie auch Klischees über osteuropäische Sexarbeiterinnen.
Die Scheu vor eindeutig feministischen Positionierungen, die sich trotz protofeministischer Haltungen durch viele Werke zieht, erklärt Pejic so: »Das übliche Mantra im Osten lautete früher: ›Unsere‹ Frauen sind den Männern ebenbürtig, und außerdem geht es im Sozialismus um Klasse, nicht um Geschlecht. Alles, was mit Feminismus zu tun hatte, war im Staatssozialismus übel beleumundet und wurde als ›Import aus dem kapitalistischen Westen‹ abgestraft. Nach dem Fall der Mauer wurde der Feminismus wiederum – diesmal aus anderen Gründen – abgelehnt: Zunächst einmal existiert keine Frau­enbewegung im postkommunistischen Europa, obwohl es sehr wohl feministische Akteurinnen gibt. Doch viele Künstlerinnen wollen sich ungern mit einer Kollektiv-Ideologie gemein machen. Einige sind auch der Überzeugung, dass die westliche Ausprägung von Feminismus sowieso keine Antworten auf ihre spezifische gesellschaftliche Situation geben kann. Sie wollen einfach nur als Künstlerinnen wahrgenommen werden – was im Westen häufig auch nicht anders ist.« Es gibt sie also doch, die Annäherung im großen Gleichmacher Kapitalismus.

Die Ausstellung ist bis zum 14. Februar im Mumok in Wien zu sehen.