Einschränkung des Versammlungsrechts in Sachsen

Ein Mythos wird Gesetz

In Sachsen soll das Versammlungsrecht an »Gedenkorten« eingeschränkt werden. Synagogen und ehemalige Konzentrationslager zählen bislang nicht dazu.

Eine halbe Stunde vor Beginn der Sitzung des Rechtsausschusses wird die Tür zum Raum A 600 des Sächsischen Landtags aufgeschlossen. Der Staatsrechtler Christian Pestalozza von der FU Berlin ist als erster da. Er ist einer von acht Fachleuten, die sich zum Entwurf der Landesregierung für ein Versammlungsgesetz äußern sollen. Ob er nicht noch einen Kaffee in der Kantine trinken wolle, fragt ihn eine Landtagsmitarbeiterin. »Ach nein, ich habe noch zu tun«, antwortet Pestalozza und klappt seinen Rechner auf.
Als zweiter betritt Dirk Heckmann, der an der Universität Passau lehrt, den Raum und verwickelt Pestalozza in ein Gespräch. »Ich hab’ gelesen, Sie waren schon bei der letzten Expertenanhörung hier?« Seine Stimme klingt ernst. »Jetzt ist die Lage in Sachsen etwas schwieriger.« »Jetzt« heißt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November zur Vereinbarkeit des Volksverhetzungsparagrafen (§ 130 Absatz 4 StGB) mit dem Artikel 5 des Grundgesetzes, dem Recht auf freie Meinungsäußerung.
Langsam füllt sich der Raum in der sechsten Etage mit Blick über die Stadt, wo sonst die CDU-Fraktion ihre Sitzungen abhält. Links an der Wand hängt ein dicker Teppich, rechts hinter der Sitzreihe der Juristen, die noch ein wenig Smalltalk betreiben, ein helles Holzkruzifix. Allein Christian Worch sitzt schon auf seinem Platz, macht sich Notizen und schaut finster drein.
Worch, der jahrelang seine Distanz zur NPD hervorgehoben hatte, ist heute auf Einladung der sächsischen NPD-Fraktion hier, um sich als geübter Anmelder von Nazi-Aufmärschen zum geplanten Versammlungsgesetz von CDU und FDP zu äußern. Denn vor allem mit der Begründung, solche Aufmärsche verhindern zu wollen, plant die sächsische Landesregierung Einschränkungen: Demons­trationsverbote für die Areale um das Leipziger Völkerschlachtdenkmal sowie die Frauenkirche und den Neumarkt in Dresden. Am Jahrestag der Bombardierung Dresdens, dem 13. Februar, soll in der gesamten Innenstadt keine Demonstration stattfinden dürfen, weder von Rechten noch von Linken. Entsprechend soll es künftig möglich sein, Versammlungen zu verbieten, wenn ein »Ort von historisch herausragender Bedeutung« sei und an »Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder der kommunistischen Gewaltherrschaft Opfer menschenunwürdiger Behandlung waren« oder allgemein an »die Opfer eines Krieges« erinnere. Die Menschenwürde werde auch dann verletzt, heißt es in dem Entwurf, wenn bei einer Versammlung »die Verantwortung des nationalsozialistischen Regimes (…) gegen die Verantwortung anderer augefrechnet« werde. Slogans wie »Deutsche Täter sind keine Opfer« wären dann tabu.

Auch die NPD hat einen Gesetzentwurf eingebracht. Es handelt sich um den gleichen Text, den sie einreichte, als CDU und SPD 2008 das Gesetz veränderten. Zu diesem Entwurf, der unter anderem die Zulassung von Uniformen und die generelle Verhinderung von Gegenblockaden vorsieht, verliert Worch jedoch kein Wort, auch sonst bleibt für ihn wenig zu ergänzen.
»Einmal im Jahr kommt es vor, dass ein Gesetzentwurf der Regierung von juristischer Prominenz richtig zerpflückt wird«, sagt ein Beobachter. Heute ist es soweit. Heckmann gibt sich zu Anfang noch verständnisvoll. Schwierig sei die Materie für den Gesetzgeber. Es sei noch nicht abzuschätzen, was das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die künftige Rechtslage bedeute. Und mit dem Begriff der »kommunistischen Gewaltherrschaft« habe man »juristisches Neuland« beschritten. Aus dem Grundgesetz sei das nicht abzuleiten, vielleicht aus der sächsischen Verfassung, aber es sei »fraglich, ob das gelingt«.
Der Gesetzgeber wolle »Probleme besser in den Griff bekommen«, sagt der von der »Linken« eingeladene Martin Morlock von der Düsseldorfer Universität. »Der Möchtegern-Gesetzgeber«, sagt Morlock, entschuldigt und korrigiert sich aber gleich: »Nein, es ist ein legitimes Vorhaben, einen Gesetzentwurf einzubringen.«

»Endlich« habe »ein Gericht den Mut gefunden«, die Notwendigkeit von Sondergesetzen gegen die Verherrlichung des Nationalsozialismus anzuerkennen, sagt Pestalozza zum Urteil vom 4. November. Im Gesetzentwurf der Sachsen sieht er hingegen die Bedeutung des NS-Unrechtes verringert. Er sei erschrocken darüber, dass Synagogen und ehemalige Konzentrationslager als Gedenkorte in dem Gesetzentwurf fehlen. Möglich sei die Schaffung einer Bannmeile für Orte, die an NS-Opfer erinnern, regt er an. Der Freiburger Staatswissenschaftler Ralf Poscher macht seine Skepsis hinsichtlich der generellen Einschränkung des Demonstrationsrechts deutlich. Eine Umkehr der Beweislast für die Anmelder von Demonstrationen sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Worch spricht von einem »Sondergesetz«. Aber das hatte ja Pestalozza schon erwähnt.
»Wir als Verwaltung« würden den Gesetzentwurf »ausdrücklich begrüßen«, sagt Kati Hille (CDU), die Beigeordnete des Landrats Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. »Es ist für uns eine besondere Handhabe, sehr günstig für Allgemeinverfügungen.« »Am besten wäre, wenn überhaupt niemand was anmeldet«, platzt Detlef Sittel (CDU) in der Nachfragerunde heraus, der Beigeordnete für Ordnung und Sicherheit und Zweite Bürgermeister Dresdens. Wegen der Kundgebungen am 13. Februar werde in Dresden der öffentliche Nahverkehr lahmgelegt. Bürger könnten nicht zu den Trauerveranstaltungen gelangen. Das sei zwar kein Grund für ein Verbot, führe aber zur »Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation«.
Mit ihrem Entwurf wollen CDU und FDP den Mythos Dresden nun zum Gesetz machen. Die Erkenntnis sei gewachsen, dass sich die Zerstörung Dresdens »von den Zerstörungen anderer deutscher Städte deutlich unterschied«. Dresden sei »Sinnbild der Zerstörung und der zivilen Kriegsopfer« und eine Mahnung gegen den Krieg, der »mit der Grausamkeit, welche die National­sozialisten über andere europäische Völker brachten, Deutschland einholte«, ist in der Begründung des Gesetzes für das Demonstrationsverbot in der Innenstadt zu lesen. Die Zerstörung der Stadt sei »nur kurze Zeit vor Kriegsende« erfolgt, »als besonders viele Flüchtlinge in der Stadt waren, was die Zahl und das Gewicht der mensch­lichen Opfer weiter erhöhte«. Erst im Oktober 2008 hatte die vom Stadtrat bestellte Historikerkommission den zuvor kursierenden hohen Zahlen von Opfern des Luftangriffs widersprochen.
Ein Vertreter des Antifa-Vorbereitungskreises 13. Februar zeigt sich im Gespräch mit der Jungle World trotz der geäußerten Kritik der Professoren wenig optimistisch: »Die Staatsregierung ist weitestgehend beratungsresistent. Es bleibt zu befürchten, dass der Gesetzentwurf so eingebracht wird, wie er jetzt ist.« Die Naziaufmärsche um den 13. Februar wird das nicht verhindern, sie können außerhalb der Sperrzone stattfinden. Mit dem Ziel der Abschottung des Dresdner Totenkults gegen linke Kritik könnten CDU und FDP mehr Erfolg haben.