Über die Politisierung der Klimaforschung

Nicht nur Newton war ein Arsch

Die Klimaforschung ist längst ein politisiertes Gewerbe. Eine Kritik der Bedingungen, die den Klimawandel forcieren, wird um eine Kritik der Wissenschaften nicht herumkommen.

Als in der vorvergangenen Woche bekannt wurde, dass Hacker den Server der Universität von East Anglia in Norwich geknackt hatten, wurde schnell klar, dass das kein zufälliger Hackerangriff war. Denn die von den Hackern ins Netz gestellten Daten aus dem klimatologischen Institut der Universität dokumentieren in ihrer zufälligen Auswahl Korrespondenzen, Notizen und interne Vermerke aus den vergangenen 13 Jahren, und in diesen sind Formulierungen zu finden, die insbesondere Verschwörungstheoretikern unter den so genannten Klimaskeptikern in die Hände spielen könnten. Kurz vor dem Klimagipfel in Kopenhagen sorgten die Nachricht vom »Cru Hack« deshalb für einige Aufregung.
Da heißt es etwa in einer Mail eines Wissenschaftlers, dass er jetzt endlich einen »Trick« gefunden habe, um bestimmte Daten auswerten zu können. Was für Laien vielleicht nach Schummelei klingt, ist tatsächlich in jedem naturwissenschaftlichen Institut der Normalfall. »Tricky« zu sein, ist in der Entwicklung von experimentellen Anordnungen wie in der folgenden statistischen Aufbereitung der Daten notwendig und als Zuschreibung innerhalb der scientific community ein Kompliment. Dass dabei in der Regel auch Daten in brauchbare und unbrauchbare sortiert werden, gehört zu diesem Geschäft. Genauso wie es zur Branche gehört, nicht immer so genau und nachvollziehbar zu schreiben, dass es ohne weiteres jedem möglich ist, Einblick in das gesamte Verfahren der Datengewinnung zu nehmen. Auch das ist normal und gehört zur Wirklichkeit der Konkurrenz in der Wissenschaft. Institute und Wissenschaftler konkurrieren um Prestige, Posten und nicht zuletzt um Forschungsgelder.
Ein Problem, das nicht der Kapitalismus erfunden hat, sondern das seit Platon zur institutionellen Form von Wissenschaft und Ideen gehört. Und in einem gewissen Sinn wirken die Hacker tatsächlich wie sokratische Platoniker, indem sie nämlich Dinge öffentlich ausplaudern, die sonst im normalen Gang des wissenschaftlichen Prozesses verschwiegen werden. Was hier allerdings zutage tritt, ist nicht eine Widerlegung des komplett unbestrittenen Vorgangs der Erderwärmung, wie es einige Klimaskeptiker auf ihren Webseiten behaupten. In den Mails und Notizen aus der Climate Research Unit (CRU) der University of East Anglia finden sich Hinweise, die direkt in methodische und wissenschaftspolitische Probleme führen, die das ganze Dilemma um die Klimaforschung überhaupt illustrieren: nämlich die extreme Politisierung dieses Wissenschaftszweigs.

Der Zusammenhang, in dem Phil Jones, der Leiter der CRU, einen »Trick« gefunden haben will, um seine Daten besser darstellen zu können, ist methodologisch hochspannend. Es geht dabei um ein Kernproblem der Klimaforschung: das Verhältnis von direkten und indirekten Daten. Jones stand vor der Schwierigkeit, dass die aus den Jahresringen von Bäumen abgeleiteten Klimadatenreihen in den vergangenen Jahrzehnten nicht mit den tatsächlich mit dem Thermometer gemessenen Werten übereinstimmten. Sein »Trick« bestand nun darin, ein statistisches Verfahren gefunden zu haben, das diese Diskrepanz beseitigt oder tendenziös gesagt: bereinigt. Wirklich interessant wäre es jetzt zu erfahren, wie das genau geht, weil damit ein Dilemma der Klimadiskussion wenn nicht gelöst, so doch diskutiert werden könnte.
Dass indirekte, aus Baumringen, Sedimenten oder Polareisbohrungen gewonnene Klimadaten nicht dieselben Werte liefern, wie direkte Thermometerwerte von Wetterstationen, bildet einen der Streitpunkte zwischen Klimamahnern und Klimaskeptikern. Systematisch gewonnene direkte Wetterdaten gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, und das logischerweise auch nicht von überall her. Alles was davor lag, lässt sich nur indirekt erschließen und wurde in den Quellen – etwa zeitgenössische Chroniken – natürlich auch nicht nach denselben Prinzipien erhoben, wie die Daten von heutigen Wetterstationen.
Einer der ersten vieldiskutierten Belege für den immensen Anstieg der Erdtemperatur in den vergangenen Jahren, das so genannte Hockeyschläger-Diagramm, behandelt indirekte wie direkte Wetterdaten aber gleich. Die 1999 von Michael Mann von der Pennsylvania State University veröffentlichte Kurve der Temperaturentwicklung der letzten 1 000 Jahre ähnelt im Profil einem Hockeyschläger und zeigt deutlich den rasanten Anstieg der Temperatur im 20. Jahrhundert. Manns ursprüngliche Kurve ist methodisch zu Recht in Grund und Boden kritisiert worden, mit einem allerdings genauso eindeutigen Ergebnis: Alle methodischen Korrekturen ändern nichts an der Tatsache der Erderwärmung im 20. Jahrhundert. Ebensowenig wie sie etwas am tatsächlichen Befund änderten: Es gibt eine Erwärmung der Erde mit in der Mehrzahl verheerenden Folgen insbesondere auf der Südhalbkugel und in wenigen Fällen teilweise auch netten Ereignissen (Erdbeeren in Alaska). Das ist allgemeiner Konsens. Auch der Streit zwischen Klimaskeptikern und Klimamahnern, ob die Erwärmung menschengemacht oder ein »natürliches« Ereignis von ganz normalen Ausmaßen sei, ist wissenschaftlich längst entschieden. Der Klimawandel ist menschengemacht. Wer das Gegenteil behauptet, katapultiert sich wissenschaftlich und politisch ins Abseits.

Um das Klima steht es damit wie um den Hunger in einem Gespräch zwischen Charlie Chaplin und Buster Keaton im Hollywood der dreißiger Jahre. Er wolle, hatte Chaplin damals mit stierem Blick zu Keaton gesagt, dass kein Kind mehr hungern müsse und ohne Bildung bleibe, dafür kämpfe er jeden Tag. Worauf Buster nur sehr ruhig gegenfragte: »Aber Charlie, wer will das denn nicht?« Jeder, vom Talkshowpolitclown über den Gärtner im Palais Schaumburg bis zu Liz Mohn, will das Klima retten. Interessant ist mittlerweile eigentlich nur noch die Frage, ob es dabei verfahrenstechnisch so zugeht wie beim Kampf gegen den Hunger. Vieles spricht zurzeit dafür. Auch die Mails vom CRU deuten in diese Richtung. Die Art und Weise wie nämlich Phil Jones und Michael Mann, zwei der einflussreichsten Klimaforscher weltweit, mit ihren Gegnern verfahren und wie sie missliebige Kollegen aus ihren Zitationskartellen entfernen, wovon ihr Mailwechsel erzählt, läßt nichts Gutes ahnen für die Zukunft einer kritischen oder nur demokratischen Wissenschaft.
Michael Mann nämlich rechtfertigte seinen rüden Umgang mit Kollegen gegenüber der New York Times mit folgenden Worten: »Newton war vielleicht ein Arsch, aber seine Gravitationsgesetze gelten noch heute.« Übersetzt auf Michael Mann heißt das: Mann ist vielleicht eine wider­liche Knallcharge, aber die Erderwärmung geht weiter. Sie folgt nämlich unter anderem aus gesellschaftlichen Verfahren, deren Produkte auch die Stars dieser Wissenschaft sind – samt ihrem direkten Zugang zu Regierungen, zu Versicherungskonzernen oder etwa zum Vorstand von BMW. Mit anderen Worten: Der Prozess der Spitzenklimaforschung ist auf eine Weise Teil des politisch-okönomischen Komplexes, wie es etwa die Aids-Forschung nie war. Eine Kritik der Bedingungen, die den Klimwandel forcieren, wird also nicht um eine Kritik der Wissenschaften selbst herumkommen. Eine Wahrheit auszusprechen, hat nämlich noch nie etwas geändert. Änderungen laufen immer über den politischen Akt. Und für den spielt die Frage, ob es einen Klimawandel gibt, längst keine Rolle mehr: Es gibt ihn. Die Frage ist vielmehr, ob der soziale und politische Wandel, welcher der derzeitigen Klimaentwicklung entgegenwirken könnte, eingeleitet wird – und wenn ja, von wem und gegen wen.