Interview mit Lorenz Böllinger über Beratungsresistenz in der Drogenpolitik

»Es muss tiefer liegende Gründe geben«

Lorenz Böllinger ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bremen. Zuvor arbeitete er als Rechtsanwalt und Professor für Sozialarbeit. Darüber hinaus ist er Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker. Drogendelinquenz ist einer seiner Forschungsschwerpunkte.

Sie sind Professor für Strafrecht und Kriminologie und setzen sich für ein Ende der Drogenprohibition ein. Stehen Sie damit als Strafrechtler alleine da?

Keineswegs, die Strafrechtler sind weiter als die Politik, wir haben 300 Strafrechtsprofessoren in Deutschland, grob geschätzt würden mindestens 100 für die Legalisierung im Sinne einer gesundheitsrechtlichen Regulierung eintreten – vielleicht mit unterschiedlichen Begründungen, aber im Wesentlichen mit der, dass das Strafrecht das falsche Mittel im Umgang mit dem Problem ist.
Weil die Juristen auch selbst die Auswirkungen der Prohibition spüren?
Die Strafrechtsprofessoren tendieren eher dazu, die Prohibition aus grundsätzlichen rechtstheoretischen Überlegungen abzulehnen. Zum Einen darf ein Verhalten nur bestraft werden, wenn es erwiesenermaßen fremdschädigend ist, Drogenkonsum ist aber logischerweise allenfalls selbstschädigend. Es gilt zum Anderen das verfassungsrechtliche Prinzip, dass der Staat seinen Bürgern nicht schaden darf, und man hat schon längst erkannt, dass die Prohibitionspolitik den Bürgern eher schadet als nützt, weil sie einen sinnvollen Umgang mit dem Problem Drogenabhängigkeit geradezu verhindert; weil sie Menschen, die eigentlich krank sind, straffällig macht; weil die Drogen, die durch den Schwarzmarkt gepresst werden, erst recht gesundheitsschädlich sind. Dazu kommt, dass durch die Prohibition ein Schwarzmarkt mit Eigengesetzlichkeiten entsteht. Die hohen Profite sind Anreiz für organisierte Kriminalität – bis hin zu dem, was wir in Mexiko und in Afghanistan beobachten.

Die Politik ist nicht unbedingt gewillt, auf juristische oder wissenschaftliche Einwände zu hören. David Nutt, der als Drogenexperte zum Drogenberater der britischen Regierung ernannt worden war, wurde gefeuert, weil seine wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht dem entsprachen, was die Politik hören wollte.

Die Erfahrung der Beratungsresistenz habe auch ich immer wieder machen müssen. Das, was da in England stattgefunden hat, war nur ein Extremfall. Wenn hier etwa ein Drogenbeirat gebildet wird, wird oft so handverlesen, dass nur Leute hineinkommen, die von vornherein die Drogenpo­litik unterstützen. Die ist zwar heute auch nicht mehr so rabiat, immerhin gehört mittlerweile auch harm reduction zu den akzeptierten Säulen der Drogenpolitik. Aber das Entscheidende, die Legalisierung, darf nicht vertreten werden, wenn man in diese Beiräte kommen will. Das gilt auch für Gutachten. Das Bundesgesundheitsministerium hat ein Gutachten an Dieter Kleiber über die Schädlichkeit von Cannabis vergeben. Als sein Gutachten nicht das gewünschte Ergebnis erzielte, ist es in der Schublade verschwunden.

Woran liegt das?

Das kann man so erklären, dass die Politik eine Art Subkultur ist, sie hat Eigengesetzlichkeiten, da werden Kompromisse ausgehandelt, die Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen fällt dabei schwer. Es gibt viele Politiker, die hinter vorgehaltener Hand sagen, sie wüssten ja, dass Prohibition nichts nützt. Aber niemand will der erste sein, auf den man dann mit Fingern zeigt und dem man sagt, er sei ein »Jugendverderber«. Aber man muss auch fragen, warum es nicht einzelne Mutige gibt, die daraus durchaus politischen Profit ziehen könnten. Bei großen Teilen der Jugend könnte man durch eine offensive Modernisierung Respekt erlangen.

Sie schrieben, die Gesellschaft habe in Bezug auf Drogen eine Art kollektive Neurose.

Es muss tiefer liegende Gründe geben, warum die Politik auf der Prohibition beharrt. Da war meine Theorie, dass es bei den Drogen eine Besonderheit gibt, eine Qualität, die sie mit Angst, mit einer Bedrohung assoziieren, die bei anderen politischen Themen nicht vorhanden ist.

Ist nicht verständlich, dass man in der bürgerlichen Gesellschaft Angst vor Drogen hat, weil Rausch und Abhängigkeitserfahrungen zeigen, dass das Ich nicht immer Herr im Haus ist?

Als Angst ist das verständlich, das ist die Urangst von uns Menschen, die hier gleichsam ausgebeutet wird. Wenn man sich mit Drogen beschäftigt, wird man herausfinden, dass diese Angst weit übertrieben ist. Die Bedingungen für Drogenwirkungen sind sehr komplex. Sie hängen zum Einen von konkreten Persönlichkeitsaspekten ab, nur etwa fünf Prozent derjenigen, die Alkohol, Kokain oder sonst etwas benutzen, sind von wirklichen Abhängigkeiten bedroht. Die Drogenwirkung ist nicht zwingend im Tiefsten erschütternd, sondern steuerbar, wenn die Drogen entsprechend sinnvollen Gebrauchsregeln benutzt werden. Natürlich gibt es Ausnahmen. Menschen, die mit einer latenten Psychose Drogen nutzen, sind etwa stärker gefährdet. Das sind aber Fragen gesundheitlicher Aufklärung, und mit diesen kann man besser umgehen, wenn man über die Substanzwirkungen öffentlich reden kann. Zum Anderen hängen die Drogenwirkung und Gefahren entscheidend von den gesellschaftlichen und situativen Bedingungen ab, unter denen Drogen konsumiert werden: Stresskonsum von Heroin in der Bahnhofstoilette wirkt anders als hygienischer Gebrauch einer kontrollierten Substanz in der gepflegten Ambulanz.

Was müsste sich gesellschaftlich ändern, damit eine andere Drogenpolitik möglich würde?

Wir brauchen fundierte Aufklärung und einen offenen Diskurs. Ich würde mir wünschen, dass die Medien mehr Diskussion zulassen.