Mode unter Mussolini. Über den Bildband »Fashion at the Time of Fascism«

Heroes in Style

»Fashion at the Time of Fascism« dokumentiert das Making of der Modeindustrie in Italien während des Faschismus und zeigt die Vorge­schichte der prosperierenden Textilindustrie.

Nach Ansicht Mussolinis gab es sie 1932 noch nicht, die italienische Mode, die erst durch nationale Anstrengungen des Regimes geschaffen werden sollte. Dazu wurde im Dezember 1932 eine eige­ne nationale Modebehörde nach französischem Vorbild geschaffen. Die sollte die schrittweise Modernisierung technischer Abläufe und die Innovationen bei Design und Material vorantreiben und eine international konkurrenzfähige italienische Modeindustrie etablieren.
Mussolini setzte darauf, dass die Mode ein bedeutsamer Wirtschaftszweig sein würde, von dem wichtige Impulse für die Modernisierung der gesamten Industrie des Landes ausgehen sollten, und schrieb ihr auch eine strategische Schlüsselfunktion für die Vermarktung italienischer Kultur sowohl im Inland als auch im Ausland zu. Eine Reihe von Vorschriften und Gesetzen wurde erlassen, um die Modeindustrie zu »italienisieren« und ein nationales Brand zu kreieren, das dem französischen Chic den Rang ablaufen sollte. Verstanden wurde das sowohl als Wirtschafts- wie auch als Kulturförderung.
Die besondere Funktion, die die Mode bei der Herausbilung eines italienischen Lifestyles in den Jahren zwischen 1922 und 1943 hatte, dokumentieren Mario Lupano, Professor für Modegeschichte und -kritik an der Universität Venedig, und Alessandra Vaccari, Dozentin für Mode und Gestaltung, in einem großen visuellen Essay mit dem Titel »Fashion at the Time of Fascism«, der bei Damiani erschienen ist. Das Coffee-Table-Album geht das Thema italienische Mode in Zeiten des Faschismus auf sehr visuelle Weise an und zeigt viele Original-Layouts aus Magazinen und Filmzeitschriften. Nach umfangreichen Recherchen in italienischen Mode- und Gesellschaftsmagazinen, Filmen, Fotoarchiven und Katalogen haben die Herausgeber einen Katalog erstellt, der den Einfluss der Mode auf die Schaffung einer Kultur der sich entwickelnden Industriegesellschaft dokumentiert.
Unter den Überschriften »Maße«, »Modell«, »Marke« und »Parade« werden die Traditionen und Lebensweisen des damaligen Italien anschaulich gemacht und der Einfluss der Mode auf Design, Architektur und Lifestyle sowie die Choreographie des Faschismus gezeigt. Die erklärenden Bildlegenden und Kurztexte des Buches versuchen eine Einordnung, ein umfangreiches Glossar sowie eine Liste der wichtigsten Modezeitschriften Italiens erleichtern eine weitergehende Recherche.
Die Bestrebungen zur Faschisierung der Alltagsäthetik waren vielfältig und reichten von der Uniformierung der Jugend bis zum Stoffmuster mit M-Design (M für Mussolini) in der Damenmode.
Aus echtem Heldenmaterial gemacht und alla fascista gekleidet war Mussolini, der, wie Hitler in Deutschland, im faschistischen Italien die Superikone war und mit seiner Inszenierung als standhafter, hypersexueller und kriegerischer Mann das Role-Model des dominatore schuf, das im Faschismus hegemonial wurde und dann auch wieder verschwunden ist. (Je älter und massiger Berlusconi wird, desto mehr erinnert aber seine Physis wieder an die eines dominatore und sein Gesicht an das wie aus Marmor gehauene Mussolini-Face.) Anhand der Bilder des Buches kann man studieren, wie Mussolini, dessen Körperbau eigentlich weniger vertikal als horizontal angelegt war, auf Fotografien, Postkarten oder in den Wochenschauen eine Blickrichtung von unten nach oben, als Blick der sich formierenden Masse auf ihren in Szene gesetzten harten, aufrecht stehenden Helden, eröffnet. Fotografieren ließ er sich als Monument seiner selbst, breitbeinig, die Hände an der Hosennaht und immer mit angespanntem Kiefer.
Der »neue Italiener« sollte dem Vorbild möglichst nahekommen, und als erzieherisches und disziplinarisches Mittel zur Schaffung von Alltagshelden wurde auch die Kleidung angesehen. In seinem Aufsatz »Vestire alla fascista« (»Die faschistische Kleidung«) stritt Francesco Salvori 1934 mit Vehemenz dafür, auch die Zivilbevölkerung in Uniformen zu stecken, um eine stärkere Identifikation des Einzelnen mit der Gesellschaft zu erreichen und für alle möglichen Berufs- und sozialen Gruppen formale Kleidungsstandards zu schaffen, die auch den Zivilisten in seiner jeweiligen Funktion erkennbar machen würden: »The new Italians must live like heroes; if not all of them, with magnanimous gestures which is impossible, at least with their thoughts and desires. Being heroes in style at least is very often the first step towards the substance of real heroes.«
Der »neue Mensch«, wie ihn die faschistische Massengesellschaft hervorbringen sollte, war nach Ansicht Salvoris nicht zuletzt ein Produkt seiner Kleidung. Auch wenn die textile Durchuniformierung der Bevölkerung zu den Projekt gebliebenen Ideen des Faschismus zählt, zitierte die Alltagsmode sowohl der Männer als auch der Frauen Schnitte und Stoffe der Uniformen und Details wie die Epauletten.
Auch die Sportmode hatte ihren ersten Boom. Das liegt zum einen an der ideologischen Unterfütterung, die sowohl der nationale Profisport als auch der Breitensport erfahren, als auch da­ran, dass sich immer mehr Leute einen sportlichen Lifestyle leisten können. Ein frühes Beispiel für ein geniales Unternehmens- und Marketingkonzept ist die Schaffung der Marke »Nicky Chini«, hinter der der Industrielle Nicola J. Chini stand, der sich Ende der zwanziger Jahre mit seinen »Nicky-Krawatten« einen Namen gemacht hatte, über deren internationalen Erfolg er 1928 in dem Magazin L’industria della moda einen Artikel publizierte. Das Label stand für arrogantes Understatement, kühle Eleganz und eine geometrische Formensprache. Auf jeden Fall muss der Mann ein Merchandising-Genie gewesen sein, der einen Coup nach dem anderen landete. Sein Krawatten-Imperium bot ihm die geeignete Kulisse, um gleich wieder ein neues Produkt zu lancieren, das in einem sektflaschenförmigen Flacon verkaufte Aqua profumata di Sicilia. Neben einer Kosmetiklinie (dazu gehörte das Körperpuder »Poudre de Riz« aus der Serie »Sex Appeal«) entwickelte er eine eigene Sportmode-Kollektion und war ein Pionier auf dem Gebiet der Logo-Kleidung. Den lässigen, weißen Ski-Sweater mit dem schwarzen Chini-Logo auf Brusthöhe würde man auf jeden Fall auch heute noch tragen wollen.
Es ist die schiere Materialfülle, die das Buch zu einem Standardwerk macht, es aber andererseits auch einer gewissen Beliebigkeit unterwirft. Nicht immer ist die Politik der Moden und Stile dieser Zeit eindeutig faschistisch codiert. Der vom Faschismus propagierte neue Lifestyle, der sich in den Idealen von Schnelligkeit, Wandel, Stärke, Modernität manifestiert, überschneidet sich vielfach mit den Forderungen des Futurismus und der Avantgarde. Das Fehlen übergeordneter Fragestellungen führt dann leider auch dazu, dass eine politische Zu- und Einordnung des Materials lückenhaft und zufällig bleibt. Der kulturalistische Ansatz, der alle Mode­phänomene aus der Zeit des Faschismus einer Choreographie des Faschismus zuordnet, unterscheidet qualitativ auch nicht mehr zwischen der Reitgerte im Stiefelschaft Mussolinis und dem Hüftmieder der körperbewussten Hausfrau.
Das Verdienst des Bandes aber ist, dass er das Making of der Modeindustrie in Italien während des Faschismus und die Vorgeschichte der prosperierenden Textilindustrie erzählt. Wenn man mit diesem Bildband durch ist, wird man die italienische Mode und die ultraheroischen Inszenierungen à la Dolce & Gabbana vielleicht nochmal mit etwas anderen Augen sehen und das auf den Säulen Qualität, Eleganz und Tragbarkeit errichtete italienische Prêt-à-porter-System weniger unschuldig finden als zuvor. Vor allem hält man Italien nicht mehr für das Land, wo die Designer auf den Bäumen blühen, sondern kennt die Tradtionslinie einer Industrie, die nicht zuletzt über den Faschismus führt.

Alle Abbildungen stammen aus dem Buch: Mario Lupano / Alessandra Vaccari: Fashion at the Time of Fascism. Italian Modernist Lifestyle 1922–1943. ­Damiani / Bildschöne Bücher, Mailand / Berlin, 400 Seiten, 35,95 Euro