Friedensnobelpreis für das Internet?

Wie Flugzeuge

Keinen Friedensnobelpreis für das Internet!
Von

Dem Internet den Friedensnobelpreis zu verleihen, dies hat das US-amerikanische Technologie-Magazin Wired vorgeschlagen. Giorgio Armani hat den Appell bereits unterschrieben. Nachdem gerade erst ein US-Präsident den Preis bekommen hat, wäre es naheliegend, auch das Pentagon, den Erfinder des Internets, auszuzeichnen. Doch die Begründung ist abenteuerlich: »Das Netz ist als erste massentaugliche Waffe (sic!) gegen Hass und Konflikte und als Propagandamaschine für Frieden und Demokratie zu verstehen«, sagte der italienische Wired-Chefredakteur Riccardo Luna und bezog sich damit auf die Rolle, die Twitter und Youtube bei den Protesten im Iran gespielt haben und noch spielen.
Tatsächlich hat sich gezeigt, wie wertvoll es sein kann, wenn jeder und jedem die Veröffentlichung von Meinung und Information möglich wird. Und wie sinnvoll, wenn der Staat eben nicht in der Lage ist, das alles zu kontrollieren. Aber ist das ein Beitrag zur Demokratisierung? Sicher ist es ein Zeichen einer Demokratie, dass jeder sagen darf, was er will, und dazu auch die Möglichkeit bekommt. Und es ist eine demokratische Aneignung, dies innerhalb einer Diktatur wie dem Iran zu tun. Aber es ist deshalb noch lange keine demokratische Betätigung, das Maul aufzureißen. Wer im Sportpalast »Ja« gerufen hat, als der anwesenden Social Community die Frage gestellt wurde: »Wollt ihr den totalen Krieg?«, der hat damit nicht unbedingt demokratische Meinungsbildung betrieben, und auch als Apo-Aktivisten 25 Jahre später in derselben Halle Frank Zappa von der Bühne trieben, weil er sich weigerte, zu einer antiamerikanischen Demonstration aufzurufen, waren die Eier und Tomaten, mit denen Zappa beworfen wurde, kein Ausdruck eines demokratischen votings.
Zurück zum Internet: Iran – das ist die Ausnahme und nicht die Regel. Die Regel ist, dass Menschen im Netz mit sich selber reden oder für eine kleine Gemeinde zwitschern und posten, die sie sonst am Kneipentresen treffen würden. 90 Prozent der Kommunikation sind Quatsch. Früher hat man gesagt, die Kulturindustrie verblöde uns, heute verblöden sich die Leute gegenseitig. Ein Irrer gilt als irre. Zwei Irre bilden bereits ein Parallel­universum. Vernetzen sich tausend von ihnen, vermögen sie schnell, tausend weitere zu überzeugen. Ein Geraune wird »Wahrheit«. Die »Infokrieger«, die die idiotische 9/11-Verschwörungstheorie durchs Internet gejagt und wie einen Schneeball immer größer gerollt haben, sind dafür ein warnendes Beispiel, sie haben die öffent­liche Meinung sehr erfolgreich beeinflusst.
Das Internet bietet, wie andere Kommunikationstechnologien auch, viele positive Möglich­keiten der Partizipation und der Verbreitung von Informationen und Meinungen, und es bietet die Möglichkeit zur Verbreitung von Unwahrheiten, Lügen, Hass und Gewalt. In Internetvideos kann man sehen, wie iranische Polizisten Demonstranten zusammenschlagen, aber auch, wie al-Qaida-Terroristen zum Jihad aufrufen. Per Telefon kann man sich zum Frieden verabreden oder zum Krieg. Ein Flugzeug kann Menschen zueinander bringen oder eine Waffe sein. Zeitungen können gegen Rassismus argumentieren oder rassistische Stimmungen schüren. Wer käme auf die Idee, dem Telefon, dem Flugzeug oder der Zeitung den Friedensnobelpreis verleihen zu wollen? Ebenso absurd wäre es, diese Dinge zu verteufeln. Und das gilt auch für das Internet.
Demokratie braucht aufgeklärte, gebildete Menschen. Dabei kann das Internet eine Rolle spielen, eine kleine – und manchmal, wie jetzt im Iran, auch eine größere. Entscheidend aber ist eine Gesellschaft, die die sozialen, ethischen und wissenschaftlichen – sprich: die politischen – Grundlagen zu solcher Bildung bietet.